Finissage im Wasserturm:Wiedersehen mit Fred

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Die Finissage im Dachauer Wasserturm ist sehr gut besucht. (Foto: Josef Lochner)

In Filmaufnahmen lebt der 1984 verstorbene Maler Zigldrum wieder auf

Von Andreas Förster, Dachau

Dass Fred Zigldrum nach dem Motto lebte "Lebe intensiv und sterbe jung", ist nicht neu. Aber Augenzeuge zu sein, wie er mit Zigarette im Mundwinkel und Bierflasche in Griffweite seine Bilder malt, dabei laut Musik von Leonard Cohen oder Bob Marley hört, ist etwas ganz anderes. Vor allem, wenn dabei das Gefühl entsteht, ihm beim Leben und beim Sterben zuzuschauen. Die Zerbrechlichkeit des Künstlers ist fast in jeder Einstellung der vier Essays zu erkennen, die sein ehemaliger Malschüler Dieter Hentzschel zwischen 1980 und 1983, zum Teil noch auf Super-8-Film, gedreht hat. Der letzte Film zeigt Eindrücke von Zigldrums finaler Atelierausstellung in der Moosschwaige, datiert am 2. Dezember 1983, auf den Tag genau 35 Jahre vor der Finissage der Zigldrum-Schultheis-Retrospektive im Dachauer Wasserturm.

Der Besucherandrang damals und heute ist ein Beweis für die Anziehungskraft, die vom Künstler und Lebemann Zigldrum (1941 - 1984), aber auch von seinem Kunstlehrer Joles Bickel-Schultheis (1905 - 1988) ausgeht. Die war auch den drei Wochenenden der Ausstellung zu spüren. "Viele Besucher kamen zum ersten Mal in den Wasserturm und nicht wenige waren vorher noch nie in einer Kunstausstellung", berichtet Kunstsammler und Galerist Josef Lochner. Mit seiner Frau Ursula und dem befreundeten Sammlerehepaar Karl und Hilde Allwang initiierte er die Ausstellung, die Bilder stammen aus ihrem privaten Besitz. Die Reaktionen seitens der Besucher waren durchweg positiv: "Viele haben sich bedankt, dass wir mit unserer Ausstellung zwei Künstler ins Rampenlicht rücken, die nicht in Vergessenheit geraten dürfen", sagt Lochner.

Das gilt in ähnlicher Weise für die Filme, die Dieter Hentzschel mit Zigldrum gedreht hat. Der Dachauer Filmemacher war es zunächst selbst, der die Initiative für die Aufnahmen ergriff, weil er sich als "gelangweilter Büromensch" - damals arbeitete er als Betriebsleiter in einem Elektronikunternehmen - einen Blick in die ihm abenteuerlich erscheinende Kunstwelt erhoffte. Den bekam er auch und freundete sich so mit dem Maler-Unikum Zigldrum an. "Später war es Fred, dem die Filmaufnahmen immer wichtiger wurden", erklärt Hentzschel. "Er spürte, dass ihm nicht viel Zeit blieb und dass das Medium Film eine Möglichkeit war, die Sterblichkeit zu überwinden." Über die schwere Diabetes-Erkrankung selbst wurde nicht gesprochen, Privates oder Persönliches gab Zigldrum nicht preis. Im Nachhinein ist es für den Betrachter aber unschwer zu erkennen, wie sich der mit 43 Jahren viel zu früh verstorbene Künstler in seinen späteren Jahren manchmal gequält haben muss, so auch bei einem Außendreh im Hackermoos: "Ich musste Fred fast dazu zwingen, mit mir im Sommer die Außenaufnahmen zu machen. Die Hitze setzte ihm da schon extrem zu." Bei der Atelierausstellung im Dezember 1983 wirkte er schon sehr abwesend, schien die Boheme aus Schwabing oder die Groupies kaum noch wahrzunehmen. Wenige Woche später fiel Zigldrum ins Unterzucker-Koma, aus dem er nicht mehr erwachte. Die Intensität der Videoaufnahmen ging den Zuschauern wie dem Karlsfelder Bildhauer Klaus Herbrich sichtlich unter die Haut.

Josef Lochner bewegten darüber hinaus die überraschenden Begegnungen, die sich durch die Ausstellung ergaben. So erzählte ihm der Vermieter von Zigldrums Wohnung in Hebertshausen, dass der chronisch klamme Künstler seine ersten Mieten mit Bildern bezahlt habe. Ein anderer berichtete, wie der groß gewachsene Schultheis vier Glücksklee-Dosen unter die Tischbeine geschoben hatte, damit er zuhause am Esstisch malen konnte. Schier unglaublich aber war das zufällige Aufeinandertreffen von zwei ehemaligen Freunden, die mit Zigldrum in Deutenhofen regelmäßig um die Häuser zogen, mittlerweile aber an ganz anderen Orten wohnen. Allein dafür habe sich die Ausstellung gelohnt, sagt Lochner.

© SZ vom 04.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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