Filmvortrag:Kein Land in Sicht

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Die Nichtregierungsorganisation "Jugend Rettet" hat vor vier Jahren das Schiff mit den Namen Iuventa gekauft, um damit Flüchtlinge vor dem Ertrinken im Mittelmeer zu retten. In Karlsfeld spricht der ehemalige Kapitän über die Schwierigkeiten, mit denen die Gruppe zu kämpfen hat

Von Dajana Kollig, Karlsfeld

Iuventas. In der römischen Mythologie ist sie die Göttin der Jugend, des Jugendmutes. Iuventa ist auch der Name des Schiffes, mit dem die Nichtregierungsorganisation (NGO) "Jugend Rettet" auf dem Mittelmeer Geflüchtete aus der Seenot gerettet hat. Im Rahmen der 72 Stunden Aktion der katholischen Jugendorganisation zeigte der Pfadfinderstamm Anjo II aus Karlsfeld den Film "Seenotrettung - ein Akt der Menschlichkeit" von Michele Cinque. In diesem wird die Organisation "Jugend Rettet" bei einer ihrer Missionen vorgestellt. Benjamin Funke, der frühere Kapitän des Schiffes, war als Ansprechpartner für Fragen zu der Filmaufführung nach Karlsfeld gekommen.

Eine Gruppe junger Menschen gründete "Jugend rettet" 2015 in Berlin. Es sollte eine Reaktion auf das Massensterben im Mittelmeer sein, in dem Tausende Flüchtlinge auf dem Weg nach Europa ertrinken. Ziel der NGO war es, politischen Druck aufzubauen und Aufmerksamkeit auf das Thema zu lenken. Die Jugendlichen kauften ein Schiff, die Iuventa, bauen es um und beginnen mit ihren Rettungsaktionen. Alleine bei der ersten Mission konnten sie 2000 Menschen von den Schlepperbooten retten und an Land bringen.

Gerade in Zeiten eines politischen Rechtsrucks in ganz Europa hat die Gruppe auch mit vielen Feinden zu kämpfen. Die Kritik an den Einsätzen wird immer lauter. 2017 wird die Iuventa bei einer Routineuntersuchung auf Lampedusa beschlagnahmt. Auch viele andere private Rettungsschiffe, wie das von "Sea Watch" zum Beispiel, erleiden das selbe Schicksal. Mittlerweile müssen sich zehn Mitglieder der Crew von Jugend Rettet gegen strafrechtliche Ermittlungen wegen Beihilfe und Anstiftung zur illegalen Einwanderung verteidigen.

Mit dem Schiff Iuventa rettete die Organisation "Jugend Rettet" Geflüchtete im Mittelmeer vor dem Ertrinken. (Foto: Jule Müller)

Auch von der hiermit verbundenen Desillusionierung der Jugendlichen handelt der Film. Davon, wie aus jugendlichen Idealen bitterer Ernst wird. Davon, dass sie in dem Film immer wieder betonen, ihnen könne nichts passieren. Weil sie ja das Gesetz befolgen. Das tun sie auch, nach internationalem Seegesetz ist ein Schiff dazu verpflichtet, Seenotrettung zu leisten.

Das Problem ist, wie Benjamin Funke, der frühere Kapitän der Iuventa, erklärt, dass der Begriff Seenot rechtlich nicht festgelegt ist. Dennoch gibt es viele juristische Definitionen, ab wann ein Schiff zu retten ist. Die Tatsache, dass ein Boot ohne fremde Hilfe nicht mehr in Sicherheit kommen kann, zählt dazu. "Da müssen nicht erst Menschen ertrunken sein", so Funke.

Der Auslöser für die Ermittlungen waren zwei Sicherheitsfachmänner an Bord des Schiffes "Save the Children", das zu einer anderen privaten Rettungsorganisation gehörte. Die beiden Männer deuteten einige ihrer Eindrücke so, als würden die Rettungsorganisationen mit Schleppern kooperieren. Das leiteten sie an die rechte Partei Lega Nord des italienischen Innenministers Matteo Salvini weiter, der die subjektiven Einschätzungen der Männer benutzte, um öffentlich gegen die Rettungseinsätze zu hetzen.

Auch in Deutschland gab es kritische Stimmen, die behaupteten, die Helfer würden das Elend überhaupt erst ermöglichen. Die Vorwürfe schockieren Funke. Man habe in Europa das Bild von dem Wirtschaftsflüchtling, der sich aus freien Stücken dazu entschließt, sich in ein Schlauchboot zu setzen und nach Europa zu gehen. "Da gibt's doch keine Ablegepier, wo Europa drauf steht", schimpft er. Die Menschen auf den Boot kämen meist aus Arbeitslagern in Libyen. Dort seien sie prostituiert worden oder hätten Zwangsarbeit verrichten müssen. "Wenn aus denen dann nichts mehr rauszuholen ist, werden sie auf ein Boot gesetzt", sagt Funke. "Diese Menschen dann sterben zu lassen, ist Mord."

Der Pfadfinderstamm Anjo II aus Karlsfeld zeigte im Rahmen der 72 Stunden Aktion der katholischen Jugendorganisation einen Film über die Gruppe. (Foto: Toni Heigl)

Die Organisation "Jugend Rettet" hat die Vorwürfe auch finanziell zu spüren bekommen, die Spenden brachen nach den ersten Anschuldigungen ein. Laut Funke besteht der einzige Grund für die Ermittlungen darin, dass die Staatsanwaltschaft in Italien eine Entschuldigung benötigt, um das Schiff Iuventa noch weiter im Hafen festzuhalten. Zuerst war es ein vermeintlich zu kleiner Wassertank, danach kamen andere Vorwürfe. "Der Anwalt hat mindestens eine politische Färbung, um es mal so auszudrücken", meint Funke. Sollte es zu einer Anklage gegen die Gruppe kommen, würde diese gegen das Völkerrecht verstoßen.

Letztendlich, auch das zeigt der Film, hat die NGO ihr eigentliches Ziel verfehlt. Die Gruppe wollte politischen Druck erzeugen, um eine Lösung für die gefährliche Fluchtroute im Mittelmeer zu finden. Mehr und mehr werden die privaten Seenotretter allerdings in die Rolle gedrängt, die eigentlich der staatlichen Seite zustünde. "Mit der Zeit konnte man sehen, dass immer weniger staatliche Seenotrettungsboote unterwegs waren", sagt Funke. Die Verantwortung für die Rettungsmissionen bleibt auf den Schultern der NGOs liegen. Offene Briefe an diverse politische Instanzen werden nicht beantwortet, die mediale Aufmerksamkeit blieb nach den Vorwürfen lange Zeit aus. In der letzten Zeit werden die Vertreter von "Jugend Rettet" wieder öfter zu Gesprächen eingeladen. "Mittlerweile retten wir auch niemanden mehr, da ist der politische Druck nicht so groß", sagt Funke dazu.

Laut ihm besteht das Problem auch darin, dass die Europäische Union (EU) auf der Suche nach einer Lösung mit der libyschen Einheitsregierung zusammen arbeitet. Europäische Länder finanzieren die libysche Küstenwache, welche UN-Berichten zufolge in enger Verbindung zu den Schlepperbanden und Menschenhändlern steht. "Die EU verliert ihre Fähigkeit zu Friedensmissionen, wenn alle Missionen nur auf die Einschränkung von Migration begrenzt werden", sagt Funke.

Durch die Kriminalisierung sind heute viel weniger Hilfsorganisationen im Mittelmeer unterwegs. Die Arbeit wird häufig behindert, Schiffe werden beschlagnahmt und die Helfer fürchten Strafen. "In Deutschland macht man sich keine Gedanken darüber, dass wenn weniger Menschen hier ankommen, es auch bedeutet, dass mehr ihr Leben im Mittelmeer lassen", so Funke.

Momentan sammelt die Organisation Spenden für die zehn Mitglieder, gegen die namentlich ermittelt wird. Auf sie kommen knapp 500 000 Euro Gerichtskosten zu. Außerdem drohen ihnen bis zu 20 Jahre Gefängnis. Die Betroffenen haben eigens die Unterorganisation "Solidarity at Sea" gegründet. Sie treten bei Veranstaltungen auf und versuchen weiterhin, die Aufmerksamkeit auf die humanitäre Katastrophe im Mittelmeer zu lenken.

© SZ vom 04.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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