Festnahme auf dem Oktoberfest:Taschendieb kommt mit Bewährungsstrafe davon

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Staatsanwalt fordert lange Haftstrafen auch für seine zwei Begleiter, doch das Gericht sieht den Vorwurf des Bandendiebstahls als nicht erwiesen an

Von Benjamin Emonts, Dachau

Welch strengen Kurs die bayerische Justiz gegen organisierte Taschendiebe fährt, wird aus dem Plädoyer des Staatsanwalts ersichtlich. Er glaubt den beiden Berliner Polizisten, die vor dem Dachauer Schöffengericht beteuern, die mutmaßlichen Taschendiebe seien auf dem Oktoberfest 2016 gemeinschaftlich und durchaus professionell vorgegangen. Für zwei 27-Jährige fordert er Haftstrafen von einem Jahr und sechs Monaten, obwohl sich die Männer vorher noch nie strafbar gemacht hatten. Für den Dritten, er stammt aus dem Landkreis Dachau, galt zum Tatzeitpunkt noch das Jugendstrafrecht. Er soll drei Wochen in Jugendarrest.

Dass in München rigoros gegen organisierte Taschendiebe vorgegangen wird, ist hinlänglich bekannt. Zum Münchner Oktoberfest reisen jedes Jahr etliche Taschendiebstahlsfahnder aus der ganzen Welt an, um die Münchner Polizei zu unterstützen. In Tracht oder normaler Kleidung streifen sie rund um die Uhr durch die Zelte und über die Wirtsbudenstraßen. Durch jahrelange Übung sind ihre Augen so geschult, dass nahezu jeder Anfangsverdacht auch ein Treffer ist. "Es ist nicht unbedingt eine gute Idee, bei uns am Oktoberfest als Taschendieb tätig zu werden", sagt der Sprecher des Münchner Polizeipräsidiums Wolfgang Behr. Die Zahl dieser Delikte auf dem Oktoberfest war zuletzt auf 227 gesunken - im Vergleich zum Vorjahr 2015 ein Rückgang von 38 Prozent.

Der Anfangsverdacht der Fahnder hatte sich auch am 24. September des vergangenen Jahres bestätigt. Um 22.40 Uhr strömten die Menschen aus dem Hofbräu-Zelt. In der Menge fiel zwei Fahndern aus Berlin, wie sie erklärten, eine nervöse Dreiergruppe Männer auf. Nach Ansicht der Polizisten machten sie gemeinsame Sache: Zwei der Verdächtigen deckten das Tatgeschehen ab, und der andere versuchte, Wertsachen aus Taschen von Oktoberfestbesuchern zu fischen. Drei solcher Versuche sollen die Männer unternommen haben, allesamt erfolglos. Als sie sich schließlich außerhalb des Zeltes ein pinkfarbenes Handy ansahen, veranlassten die Berliner Fahnder die Festnahme der Männer. Es stellte sich raus, dass das pinke Handy kurz zuvor einer Frau im Bierzelt gestohlen worden war.

Die drei Angeklagten mussten sich nun wegen schweren Bandendiebstahls vor dem Dachauer Schöffengericht verantworten. Der erste Prozesstag fand bereits vor drei Wochen statt. Einer der 27-jährigen Angeklagten gestand den Diebstahl und die erfolglosen Diebstahlsversuche. Er habe jedoch sämtliche Taten alleine begangen, erklärte er vor Gericht. Da die beiden anderen Angeklagten ihre Mittäterschaft bestritten, ging es für das Schöffengericht zentral um die Frage, ob die Männer geplant und gemeinschaftlich vorgegangen waren oder ob es tatsächlich eine Einzeltat war.

Eine vorherige Absprache konnte den Männern nicht nachgewiesen werden, sodass sich der Vorwurf des schweren Bandendiebstahls nicht aufrecht erhalten ließ. Der Staatsanwalt aber vertraut auf die jahrelange Erfahrung der Berliner Taschendiebstahlsfahnder und glaubt ihrer Einschätzung, wonach die Männer "hundertprozentig" zusammen gearbeitet haben. Er fordert Haftstrafen wegen gemeinschaftlich begangenen Diebstahls in einem besonders schweren Fall, einmal vollendet, und dreimal versucht. "Es war ein gemeinsames Vorgehen mit einer gewissen Professionalität."

Amtsrichter Daniel Dorner und die Schöffen kommen letztlich zu einem stark abweichenden Urteil. Die beiden Berliner Polizisten hatten sich trotz ihrer jahrelangen Erfahrung in dem Prozess erstaunlich schwer getan, den konkreten Tathergang zu rekonstruieren. Unmittelbar nach dem Vorfall hatten sie einen lückenhaften Aktenvermerk formuliert, der viele Fragen offen ließ. Amtsrichter Dorner moniert "Widersprüche" und "Erinnerungslücken" in den Aussagen der Beamten. "Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass auch die seit Jahren tätigen Fahnder die Situation in diesem Moment falsch eingeschätzt haben und tatsächlich nur einer die Diebstahlsversuche begangenen hat", sagt der Amtsrichter. Die beiden angeblichen Mittäter spricht er frei.

Den Geständigen verurteilt das Schöffengericht zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten zur Bewährung. Nach dem Schock über den Antrag des Staatsanwalts, der dem 27-Jährigen sichtlich zugesetzt hatte, wirkt der Mann sehr erleichtert und nimmt das Urteil sofort an. Er muss nun die Gerichtskosten tragen und 120 Sozialstunden leisten.

© SZ vom 14.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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