Erzieherinnen:"Ihr spielt ja bloß"

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Fast jeden Tag, bei Wind und Wetter, gehen Renate Mehlhase und ihre Kolleginnen mit den Kindern in den Garten. Am Montag streiken sie. (Foto: Toni Heigl)

Erzieher in Bergkirchen und Dachau streiken. Sie fordern mehr Respekt und eine bessere Bezahlung. Von Montag an bleiben kommunale Kindertageseinrichtungen teilweise geschlossen

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Renate Mehlhase ist seit 29 Jahren Erzieherin. Seit 2001 leitet sie den städtischen Kindergarten Am Stadtwald. Fünf Tage die Woche kümmert sie sich dort mit ihren Kolleginnen um 75 Kinder. Doch am kommenden Montag bleibt die Tür der Kita verschlossen. Die Erzieherinnen sind an diesem Tag bei einer Kundgebung in München: Sie streiken. Mehr als 90 Prozent der Mitglieder von Verdi, Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sowie des Beamtenbundes (DBB) hatten für einen unbefristeten Streik gestimmt. Auch kommunale Kitas in Dachau und Bergkirchen beteiligen sich.

Der Kindergarten Am Stadtwald ist die erste Einrichtung in Dachau, die einen Tag lang schließt. Die Eltern müssen sich an diesem Tag eine Alternative suchen. Dennoch stehen sie hinter den Erzieherinnen: "Wir haben nur zustimmende Reaktionen bekommen", sagt Renate Mehlhase. Für sie ist es nun Zeit, Gesicht zu zeigen. "Immer wieder wurde in den letzten Jahren in anderen Städten gestreikt. Dachau, die große Kreisstadt, kann nicht immer außen vor sein." Die Kita-Leiterin ist überzeugt, dass der Streik der richtige Weg ist. "Die Anforderungen an uns Erzieher sind in den vergangenen 30 Jahren ständig gestiegen", sagt sie. Heute müssten die Kinder schon in der Krippe auf den Übergang in den Kindergarten und später in die Grundschule vorbereitet werden. Auch mit den Eltern werden Gespräche geführt. "Das sind teils regelrechte Therapiegespräche", sagt Mehlhase. Neben der Arbeit mit den Kindern kümmern sich die Erzieherinnen um die Anleitung und Betreuung der Praktikanten. Auch die Vorbereitung und Dokumentation der Arbeit fällt in die Betreuungszeit. "Für Kinder muss man sich Zeit nehmen", sagt Mehlhase, "und die fehlt." Trotzdem bekämen die Erzieher immer noch Sätze wie "Ihr spielt ja bloß" zu hören. "Kindergärtnerin" sei ein Begriff, der häufig Abwertung ausdrücke. "Das trägt nicht dem Rechenschaft, was in diesem Beruf geleistet wird."

Deshalb wollen die Erzieher, dass ihre Arbeit endlich anerkannt wird. Mehlhase wünscht sich feste Zeiten für die Vorbereitung und Praktikantenbetreuung, eine Besserstellung ihrer Stellvertreterin und eine höhere Entlohnung. Laut Tarifvertrag vom März 2015 bekommen Erzieher in Vollzeit ein Brutto-Einstiegsgehalt von etwa 2360 Euro, das nach sechs Berufsjahren auf rund 3300 Euro steigt. Entsprechend verdienen Kinderpfleger gerundet 2000 und 2700 Euro brutto, Leiterinnen von Kitas ab 70 Kindern 2900 und 4000 Euro. Viel bleibt davon nach Steuern und Sozialabgaben nicht übrig.

Und das, obwohl die Ausbildung zum Erzieher ganze fünf Jahre dauert. Lediglich im Anerkennungsjahr verdienen die Auszubildenden laut Mehlhase rund 1000 Euro brutto. Das ist zu wenig, findet sie. "Es dürfen nicht nur die Anforderungen an uns steigen, parallel muss eine Aufwertung des Berufs folgen." Ihre Kollegin Stephanie Wittmann-Wallner prangert an, dass zwar Geld in den Bau von Kitas gesteckt werde, jedoch nichts davon bei den Erziehern direkt ankomme. "Dabei ist das Personal ausschlaggebend für die Qualität", sagt sie, "nicht das Haus."

Welche der elf kommunalen Kitas in Dachau noch streiken werden, ist bisher unklar. "Es wird individuell gestreikt", sagt Mehlhase. Die Eltern werden jeweils mehrere Tage vorher informiert. In Bergkirchen streiken das Kinderhaus Regenbogen, der Integrationskindergarten Wichtelburg und der Eulenhort unbefristet. Eine Notfallbetreuung, heißt es auf der Internetseite der Gemeinde, könne leider nicht angeboten werden.

In der überwiegenden Zahl der kommunalen Kitas läuft der Betrieb jedoch normal weiter. Auch im Kinderhaus Haimhausen. Zwar prangert dessen Leiterin Tina Langhorst die mangelnde Wertschätzung des Erzieherberufes entschieden an. Doch einen unbefristeten Streik hält sie für die falsche Strategie. Damit treffe man nicht die Arbeitgeber, sondern Eltern und Kinder. Langhorst sorgt deshalb lieber für "interne Aufklärung". Sie spricht mit den Eltern und regt sie an, Petitionen zu unterschreiben. Renate Mehlhase kann das nicht nachvollziehen. "Jetzt haben wir die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und die Gelegenheit, etwas zu verändern. Warum sollten wir also nicht streiken? Irgendwann muss man da mal durch."

Als Martina Sedlmaier im Kindergarten Am Stadtwald ihrer Gruppe erklärt, warum die Kita am Montag geschlossen bleibt, ist die Reaktion unmissverständlich. "Dann sag' ich der Mama gleich, dass wir dir 20 Euro in einen Umschlag tun", sagt der kleine Simon. "Der Job ist einfach toll", findet Renate Mehlhase, "auch wenn er schlaucht." Sie war zwölf Jahre alt, als ihr klar wurde, dass sie im Kindergarten arbeiten will. 42 Jahre später steht sie noch immer hinter ihrer Entscheidung. Und sie will für die Anerkennung ihres Berufes kämpfen: "Jetzt ist es Zeit."

© SZ vom 09.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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