Erdweg:Blasi, der Humanist

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Unternehmer, Sonderschullehrer, Politiker: Der berufliche Weg von Blasius Thätter hatte viele Stationen. Seine offene und umgängliche Art öffnete ihm viele Türen. An diesem Mittwoch wird der ehemalige CSU-Landtagsabgeordnete 80 Jahre alt

Von Benjamin Emonts, Erdweg

Blasius Thätter sitzt in der Stube seines Anwesens in Großberghofen. An den Wänden hängen seine Sammlerstücke, alte Backformen, Krüge, christliche Votivtafeln. Thätter hat leicht rote Wangen, seine Haut ist nahezu faltenfrei. Er lacht, gestikuliert und blickt einem dabei in die Augen. Er ist der geborene Erzähler. Aus ihm sprudeln unzählige Anekdoten, die lebendig und erfrischend aus einem bewegten Leben erzählen.

An diesem Mittwoch feiert Blasius Thätter seinen 80. Geburtstag. Hier in seinem Wohnhaus wird der ehemalige CSU-Landtagsabgeordnete Familienmitglieder, alte Weggefährten und politische Prominenz begrüßen. Vorher aber nimmt Thätter sich die Zeit, aus seinem Leben zu erzählen. "Ich hatte eine schöne Kindheit", schickt er voraus. Wenn Thätter, 1936 in Großberghofen geboren, über jene Zeit berichtet, kommt er unweigerlich auf seinen Vater zu sprechen. Blasius Thätter senior war ein überzeugter Nationalsozialist und Mitglied der SA. Sein 1932 gegründetes Zimmerer-Unternehmen profitierte vom anfänglichen Aufschwung in der NS-Zeit. "Der Betrieb war kriegswichtig. Er hat bombardierte Hallen zusammen geflickt, Luftschutzbunker errichtet und Flak-Türme gebaut." Thätter gibt zu, dass des Vaters Begeisterung über die anfänglichen Kriegserfolge sich im Kindesalter auf ihn übertragen hatte. "Ich war von meinem Vater beeindruckt", sagt er.

Trotz der Fliegerangriffe war er zu Kriegszeiten immer draußen unterwegs mit seinen Freunden. "Wir waren kleine Abenteurer und haben überall Munition, Gewehre und Bombensplitter gesucht." In seinen späteren Jugendjahren - ein kriegsversehrter Lehrer hatte ihn deutlich beeinflusst - wichen die verklärten Erinnerungen an die Kriegszeit kritischen Fragen an seinen Vater. Thätters Sicht auf den Krieg und die Gewaltherrschaft der Nazis hatte sich grundsätzlich geändert. Sein Vater wurde im Zuge der Entnazifizierung als Mitläufer eingestuft und musste 3000 Mark bezahlen. "Die Einsicht, dass alles falsch war, an das er geglaubt hatte, machte ihm schwer zu schaffen."

Thätter erzählt, wie er während des Krieges mit osteuropäischen KZ-Häftlingen Lebensmittel gegen selbst gebaute Spielzeuge getauscht hat. Sein Vater leitete damals in Erdweg den Bau einer Halle für die Nazis. Der junge Blasius durfte regelmäßig mit auf die Baustelle und gelangte so in Kontakt mit den Dachauer Häftlingen, die täglich mit zwei Bussen nach Erdweg gebracht wurden. Erst vor wenigen Jahren, so erzählt Thätter, ist bei einem Freund ein bemaltes Flugzeug aus Holz aufgetaucht, das ein Häftling für sie geschnitzt hatte. Thätter wird nachdenklich. "Meine positiven Erfahrungen mit den Häftlingen standen schon damals im Widerspruch zur Darstellung meines Vaters, der die Juden als böse Menschen bezeichnete."

Ein jung gebliebener Geist: Blasius Thätter in seiner Stube auf dem Großberghofener Anwesen. (Foto: Toni Heigl)

Thätter, der als Ministrant ungewöhnlich schnell lateinische Gebete auswendig lernen konnte, wurde nach dem Krieg auf Anraten des Großberghofener Pfarrers auf die Klosterschule in Schäftlarn geschickt. Die Erziehung dort war streng. "Eine Laufbahn als Geistlicher ist für mich nie in Frage gekommen", sagt Thätter. Die harte Internatszeit habe ihn schließlich gelehrt, "dass Geistliche auch nur Menschen sind". "Mit Gottes irdischem Personal habe ich es seitdem nicht mehr so." Stattdessen besuchte Thätter fortan das humanistische Max-Gymnasium in München, worauf er heute noch stolz verweist. Nach dem Abitur im Jahr 1956 entschied sich der damals noch Orientierung suchende, junge Mann für ein Lehramtsstudium in den Fächern Altphilologie und Germanistik. Von 1964 an arbeitete er vier Jahre lang als Lehrer an verschiedenen Volksschulen. Thätter lag der Beruf. Schließlich aber musste er nach dem Tod des Vaters im Jahr 1966 mehr oder weniger unfreiwillig dessen Bauunternehmen übernehmen. Er wurde zum Zimmer- und Betonmischermeister. Seine Leidenschaft allerdings blieb der Beruf als Lehrer.

Thätters Frau Christl, die er 1956 beim Tanz in Großberghofen kennen gelernt hatte, kümmerte sich zunehmend um den Betrieb, der nach und nach verkleinert wurde. Ende der Siebzigerjahre nahm Thätter eine Aushilfsstelle der Kreissonderschule Dachau in der Außenstelle Niederroth an. Bei einer unangekündigten Lehrprobe konnte er die Prüfer derart überzeugen, dass ihm bei laufender Bezahlung ein Studium der Sonderpädagogik angeboten wurde. Im Alter von 40 Jahren drückte Thätter also nochmals die Schulbank. Anschließend wurde er wieder an der Kreissonderschule Dachau aufgenommen, an welcher er bis 1994 arbeitete.

Thätter erzählt mit Begeisterung über seine Zeit als Sonderschullehrer. Bei den schwer erziehbaren Kindern war er überaus beliebt und angesehen, wie Außenstehende berichten. Seine Schüler kamen aus schwierigen Familienverhältnissen. Thätter aber schaffte es mit seiner offenen Art, eine persönliche Beziehung zu den Kindern aufzubauen. "Sie sind für dich durchs Feuer gegangen", sagt Thätter. "Mir hat das wahnsinnig viel Spaß gemacht und Anerkennung gebracht."

Thätters Sitz im Landtag steht mittlerweile in Großberghofen. (Foto: Toni Heigl)

Die politische Laufbahn des passionierten Fußballers und Theaterspielers ("zeitweise leider auch Pfeifenraucher") hatte damals bereits begonnen, anno 1972 im Erdweger Gemeinderat. Als der amtierende Bürgermeister Ludwig Ostermair erkrankte, kam es 1980 zu Neuwahlen. Thätter, der politische Spätstarter, kandidierte. Es erwies sich jedoch als Problem, dass er, um in den Staatsdienst aufgenommen zu werden, weiterhin seiner Tätigkeit als Lehrer nachgehen musste. Folglich entschied der Gemeinderat zu Thätters Gunsten, das Bürgermeisteramt wieder als Ehrenamt zu deklarieren. Thätter erinnert sich, wie die Zuschauer aus Verärgerung über die Entscheidung pfiffen. Die Bürger hatten offensichtlich die Befürchtung, Thätter könnte als ehrenamtlicher Bürgermeister nicht genug Zeit für sein Amt aufbringen. Die Wahl endete schließlich mit einer krachenden Niederlage für Thätter: Er erhielt lediglich 16 Prozent der Stimmen.

Das Verhältnis zum Wahlsieger Michael Reindl, der 34 Jahre lang Erdwegs Bürgermeister bleiben sollte, erholte sich von dem emotionalen Wahlkampf nie. Nach permanenten Auseinandersetzungen trat Thätter als dessen Stellvertreter im Jahr 1987 zurück. Im Rückblick sagt er: "Ich hab' das einfach nicht mehr geschafft - so ein Irrsinn war das mit uns beiden."

Thätters Karriere allerdings nahm dadurch einen noch steileren Verlauf. Bei der Kommunalwahl 1984 errang er ein Mandat im Kreistag des Landkreises Dachau. Dort war er von 1990 an 18 Jahre lang Vorsitzender der CSU-Kreistagsfraktion. In dem Gremium brachte er gewinnbringend seine Erfahrungen aus dem Bildungswesen ein. So wurden Zeit seines Wirkens zwei Gymnasien und zwei Realschulen gebaut, ein großes Berufsschulzentrum fertig gestellt und für die Förderschule die alte Berufsschule umgebaut und erweitert. Der langjährige Dachauer Landrat Hansjörg Christmann, mit dem Thätter eng zusammen arbeitete, sagt über ihn: "Er ist ein liebenswerter Mensch, der immer hinter die Kulissen geschaut hat. Für die Kreis-CSU war er über Jahrzehnte eine wirkliche Bereicherung mit seiner umfassenden, humanistischen Bildung."

Auch der Wähler honorierte diese Eigenschaften - und machte Thätter im Jahr 1994 zum Landtagsabgeordneten. "Dort kannte mich nach zwei Wochen jeder", erzählt Thätter und strahlt. Den ungewöhnlichen Namen Blasius trug seinerzeit nämlich auch der Protagonist der populären Kolumne "Blasius, der Spaziergänger", die der Münchner Journalist Siegfried Sommer für die Abendzeitung verfasste. Schon bald nannten Thätter alle bloß noch Blasi im Landtag.

Sport war für den jungen Blasius Thätter eine große Leidenschaft. (Foto: Toni Heigl)

Was nicht heißen soll, dass der Großberghofener nicht auch politisch auf sich aufmerksam gemacht hätte. Seine Schwerpunkte lagen im Landtag auf den Themen Inklusion und Integration im Förderschulwesen. Gerade Mitte der Neunzigerjahre, als sich in Bayern eine mächtige Bewegung von Eltern und Verbänden für mehr Integration von behinderten Kindern einsetzte, erwies sich Thätters berufliche Erfahrung als äußerst nützlich. "Es kannte sich in der CSU ja keiner mit dem Thema aus. So bin ich in ganz Bayern bekannt geworden."

Im Jahr 2008, im Alter von 74 Jahren, zog sich Thätter aus der aktiven Politik zurück. In der CSU galt er rückblickend immer als liberal. Als Bildungspolitiker arbeitete er mit Grünen und SPD eng zusammen. "Das war unüblich zu dieser Zeit. Aber ich war immer schon einer, der sich seine eigenen Gedanken gemacht hat."

Aus den politischen Debatten der Gegenwart versucht Thätter, sich so gut wie möglich rauszuhalten. Hie und da äußert er sich noch zu bildungspolitischen Themen oder spricht auf CSU-Veranstaltungen. Die meiste Zeit aber widmet sich der 80-Jährige der Historie seiner Heimat und ergänzt diese mit persönlich erlebten Geschichten, die er in zwei Büchern zusammengefasst hat. "Eigentlich ist das eine kleinkarierte Beschäftigung", sagt Thätter bescheiden. "Aber sie macht mir einfach viel Spaß."

Im Jahr 1998 war Thätter maßgeblich an der Eröffnung des Hutter-Museums in Großberghofen beteiligt - noch heute hält er in dem Heimatmuseum Vorträge zu historischen Themen. Bei seinen Großberghofener Nachbarn gelten Thätter und seine Frau Christl seit jeher als offenherzig und tolerant. Ihr groß angelegter Garten war für ihre drei Kinder und deren Freunde immer eine große, offene Spielwiese. "Wenn man uns glauben lässt, dass man uns mag, sind wir sehr großzügig", sagt Thätter humorig. Seine Frau freut sich, dass das Leben inzwischen ruhiger und harmonischer geworden ist seit Blasis Ausstieg aus der Politik. Sie sagt: "Ich würde ihn jederzeit wieder heiraten."

© SZ vom 23.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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