Ein Lebensthema:Eindringliches Spiel

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Wie Michael Lerchenberg mit der Kunst des Vortrags die Lesung aus seinem Thoma-Buch zu einem Erlebnis macht

Von Renate Zauscher, Markt Indersdorf

Ludwig Thoma, Autor ungezählter Theaterstücke, Romane, satirischer Gedichte und Erzählungen ebenso wie antisemitischer Hetzartikel im M iesbacher Anzeiger: Für den Schauspieler und Regisseur Michael Lerchenberg sind dieser Mann und sein Werk zum Lebensthema geworden. Lerchenberg hat sich über Jahrzehnte mit Thoma auseinandergesetzt, hat in Film- und Theaterproduktionen Rollen aus dessen Stücken gespielt oder bei den Luisenburg-Festspielen in Wunsiedel den Roman "Der Wittiber" für die Bühne umgearbeitet und inszeniert. Seit langem gilt Lerchenberg auch als einer der besten Interpreten der "Filserbriefe" oder von Thomas "Heiliger Nacht". Nicht zuletzt stammt der Schauspieler aus Dachau, wo Ludwig Thoma einige wichtige Jahre als Gerichtsreferendar gelebt hat.

Im vergangen Jahr hat Michael Lerchenberg anlässlich des 150. Geburtstags von Ludwig Thoma ein Buch über den gebürtigen Oberammergauer veröffentlicht, dem er den Titel "Von Scheinheiligen und Heiligen" gab; der Untertitel lautet "Pfaffen, Pfarrer und Pastoren bei Ludwig Thoma". Am Freitag war Lerchenberg zu Gast beim Indersdorfer Kulturkreis, las Passagen aus dem Buch und sprach über sein persönliches Verhältnis zu Thoma - einen "schwierigen, widersprüchlichen" Menschen und einen Autor, dessen Rezeption vor allem nach der Diskussion um seine Beiträge im Miesbacher Anzeiger "schwierig" geworden sei.

Michael Lerchenberg bei der Lesung aus seinem Thoma Buch. (Foto: Toni Heigl)

Der Titel von Lerchenbergs Buch verweist bereits auf den Themenbereich, auf den der Autor sich konzentriert hat. Es geht um Thomas Haltung zur katholischen wie zur evangelischen Kirche und deren Vertretern und um seine erbitterte Kritik an der konservativen, in hohem Maß von Kirchenmännern beherrschten Zentrumspartei - der Vorläuferin von CSU und CDU.

Vieles von dem, was in Thomas Romanen wie "Andreas Vöst", in Theaterstücken wie "Magdalena", in satirischen Gedichten und Beiträgen etwa für den Simplicissimus seinen Niederschlag fand, kannte Thoma aus dem eigenen Leben: den frömmelnden, salbadernden Pfarrer etwa, der sich in die Politik einmischt und den realen Sorgen der Menschen mit Arroganz begegnet. Er hat solche Pfarrherren schon als Kind im Religionsunterricht erlebt und später während seiner Zeit als Referendar in Dachau. Erfahrungen, die seine Haltung zur Kirche ein Leben lang bestimmten - auch wenn es das ein oder andere Gegenbeispiel in Thomas Werk gibt, die "heiligen" weil mitfühlenden, gütigen Geistlichen.

Michael Lerchenberg stellt in seiner Arbeit über Ludwig Thoma Betrachtungen über den Menschen und den Autor neben Originaltexte Thomas und illustriert dessen satirische Gedichte, von denen eines Thoma sogar für mehrere Wochen ins Gefängnis brachte, mit Karikaturen aus der Zeit. Vor allem aber schildert er die politischen wie kirchenpolitischen Zeitumstände, die Thomas Spott über "Sittlichkeitsvereine", über spießbürgerliche Doppelmoral wie den Klerus beider Kirchen und seinen Kampf für eine Trennung von Kirche und Staat überhaupt erst verständlich machen.

Als kongenialer musikalischer Begleiter der Lesung erweist sich der Münchner Komponist und Musiker Florian Burgmayr auf der Tuba. (Foto: Toni Heigl)

Eine Entdeckung hat Lerchenberg bei seinen Recherchen besonders gefreut. In der Karnevals-Nummer des Simpl von 1907 fand er eine Satire mit Zeichnungen von Olaf Gulbransson ohne Nennung des Verfassers, die auf Grund stilistischer Merkmale jedoch Thoma zuzurechnen ist. Darin geht es - auf makaber aktuelle Weise - um muslimische Missionare, die über hiesige Sitten, vor allem das übermäßige Biertrinken, entsetzt sind und zuletzt von betrunkenen Bauern in Dachauer Tracht ermordet werden.

Was Lerchenbergs Lesung in Markt Indersdorf zu einem Erlebnis machte, ist seine Vortragskunst. Lerchenberg liest nicht nur, er spielt die vorgetragenen Passagen mit einer Eindringlichkeit, die ihresgleichen sucht. Atemlose Stille herrscht in der Schulaula, als er den Dialog einer sterbenden Bäuerin mit dem "Kooperator" der Pfarrei aus Thomas Drama "Magdalena" vorträgt: die tiefe Not einer Mutter, die ihre "gefallene" Tochter aus der Stadt zurückerwartet, auf der einen Seite - und auf der anderen nichts als leeres, salbungsvolles Geschwätz des Geistlichen.

Als kongenialer musikalischer Begleiter der Lesung erweist sich der Komponist und Musiker Florian Burgmayr auf der Tuba. Ob dramatisches Geschehen oder bös schillernde Satire: Mit seinen Eigenkompositionen und dem ein oder anderen musikalischen Zitat etwa aus dem Bayerischen Defiliermarsch verleiht der Münchner den vorgetragenen Texten zusätzliche Tiefe und ironischen Witz.

© SZ vom 12.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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