Gericht entsetzt Bürger:Ampermochinger Posse

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Die Ampermochinger benutzen die Purtlhofer Straße schon seit mindestens 40 Jahren - doch für die Juristen existiert sie erst seit der Sanierung 2012. (Foto: Toni Heigl)

Die Dokumente zur Purtlhofer Straße aus den 1970er Jahren sind verschwunden. Für die Juristen gibt es sie deshalb erst seit der Sanierung 2012 - mit der Folge, dass die Anlieger nun nachträglich viel Geld dafür zahlen müssen

Von Petra Schafflik, Ampermoching

Am Kriegerdenkmal in Ampermoching zweigt mitten im Ort die Purtlhofer Straße ab. Die Ampermochinger benutzen sie seit jeher, um ins Pfarrheim, zum Friedhof oder in die Kirche Sankt Peter zu gelangen. Die uralte Straße zum Nachbardorf wurde vor 40 Jahren ordentlich ausgebaut. So erinnern sich Bürger. Doch die Straße gibt es gar nicht - juristisch gesehen. Das Verwaltungsgericht bezweifelt, ob die Purtlhofer Straße, die 2012 saniert wurde, überhaupt "erstmals hergestellt" worden ist. Denn die entscheidenden Dokumente aus den 1970er Jahren sind im Rathaus nicht auffindbar. Nun würden die Ampermochinger über diese Posse herzlich lachen, die juristische Bewertung könnte für die Anwohner jedoch teure Folgen haben.

Bürgermeister Richard Reischl (CSU) berief deshalb rasch eine Sondersitzung des Gemeinderats ein: Die Kommunalpolitiker bewilligten nachträglich den Straßenbau von damals. "Um Schaden von den Anliegern abzuwenden", wie Reischl betont. Vor dem Rathaus hatte sich ein BR-Team postiert, um Statements von Gemeinderäten einzufangen. Während der Sitzung mussten die Reporter vor der Tür warten, weil nicht alle Gemeinderäte mit Film- und Tonaufnahmen einverstanden waren. Die BR-Sendung Kontrovers hatte bereits 2012 aus Ampermoching berichtet, als Anwohner gegen den Ausbau der Purtlhofer Straße protestierten.

Der Fall ist so ungewöhnlich wie komplex: Als die Gemeinde die Erneuerung der Purtlhofer Straße beschloss, kam Widerstand von den Anliegern. Die müssen sich auf Basis der Straßenausbau-Beitragssatzung an den Sanierungskosten beteiligen und forderten deshalb eine preiswertere Lösung. Doch die Gemeinde hielt an ihrem Konzept fest. Als dann die Gebührenbescheide eintrudelten, legten einige Anwohner Widerspruch ein. Zwei Bürger klagten, als das Landratsamt ihre Widersprüche abwies. Die Kalkulation von Straßenausbau-Beiträgen ist keine simple Angelegenheit, Widersprüche und auch Klagen sind keine Seltenheit. Doch im Fall der Purtlhofer Straße meldete jetzt das Verwaltungsgericht nach dem Aktenstudium noch vor der Verhandlung grundlegende Zweifel an, ob die Straße, über die man sich stritt, überhaupt existierte.

Der Purtlhofer Straße aus den 1970er Jahren fehlt sozusagen die Geburtsurkunde: damit würde rechtlich gesehen, die Sanierung von 2012 als "erstmalige Herstellung" gelten. Urkunden über den Straßenbau vor etwa 40 Jahren existieren zwar doc.h Der juristisch entscheidende Beschluss des in jener Zeit noch selbständigen Gemeinderats Ampermoching ist tatsächlich nicht vorhanden, wie der Bürgermeister einräumt. Für die Sanierung der Straße vor drei Jahren haben die 15 Anlieger mit 138 000 Euro einen Anteil von 30 Prozent der Baukosten bezahlt. Wenn das Gericht nun zur Auffassung kommt, dass die Purtlhofer Straße quasi erst 2012 gebaut wurde, hätte das für die Anwohner gravierende Auswirkungen. Der Anwohner-Anteil läge dann gesetzlich vorgegeben bei 90 Prozent, wäre mit 355 000 Euro dreimal so hoch. "Wir reden über hohe Einzelbeträge bis zu 80 000 Euro", betonte der Bürgermeister. Zahlen müssten nicht nur die beiden Kläger, die ungewollt das Gericht auf diese Spur gebracht haben, sondern alle Anwohner.

Genau das wollte der Gemeinderat verhindern. CSU und Freie Wähler waren sich einig, per "Vorratsbeschluss" die Fehler der Vergangenheit auszubügeln. "Wir bekräftigen, dass wir die Straßenbaumaßnahme als Ausbau sehen und nicht als Erstherstellung", betonte Andreas Schaller (CSU). "Sonst müssten alle zahlen", warnte Eva-Maria Kutscherauer-Schall (FW). Ein Einwand kam von SPD-Fraktionssprecherin Marianne Klaffki, die "widersprüchliche Formulierungen" in der Verwaltungsvorlage monierte. Es gebe doch abseits vom fehlenden Gemeinderatsbeschluss viele weitere Dokumente zum Straßenbau von 1970, so Klaffki. "Es lässt sich doch unschwer nachweisen, dass das heute keine Erst-Erschließung ist." Urkunden und Akten habe die Gemeinde aber dem Gericht schon vorgelegt, sagte der Bürgermeister. Die SPD-Gemeinderäte blieben skeptisch, ob nicht gerade der aktuelle Beschluss zur "Herstellung der Purtlhofer Straße" die Grundlage schaffe, dass die Gemeinde am Ende die höheren Herstellungsbeiträge abrechnen muss. "Wir riskieren, dass jemand benachteiligt wird", warnte Klaffki. Drei SPD-Gemeinderäte stimmten deshalb mit Nein.

CSU-Gemeinderat Vogl merkte an, der Schaden könnet abgewendet werden, wenn die zwei Anwohner ihre Klage zurückziehen würden. Tatsächlich, so Reischl, rate das Gericht zu einer "unstreitigen Erledigung". Weil Fehler im strittigen Gebührenbescheid seien - zugunsten wie zu Lasten der Bürger. Auch nach korrekter Berechnung hätte der Kläger mit höheren Kosten zu rechnen, so Reischl. Das Verwaltungsgericht verhandelt am Dienstag, 12. Mai.

© SZ vom 11.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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