Im Keller von Willi Beck stehen an die zehn Tonnen Blei. Sie sind fein säuberlich sortiert in kleine und große, magere, fette und halbfette Buchstaben, Zahlen und Zeichen. Schublade für Schublade, Schrift für Schrift. Doch Willi Beck ist nicht etwa ein fanatischer Sammler, der unnützen Kram anhäuft - nein, Willi Beck ist pensionierter Schriftsetzer und Grafikdesigner. Und auf den wenigen Quadratmetern im Kellern seines Hauses in der Oskar-von-Miller-Straße 5a betreibt er seine Manufaktur für Bleisatz und Buchdruck.
Neben den zahlreichen Setzkästen gibt es hier eine alte von Hand betriebene Druckmaschine und allerlei andere Gerätschaften. Satzschiff, Winkelhaken und Typometer, Farbdosen, Handwalze und Papierbögen - all das und noch einiges mehr benötigt der Profi für seine Arbeit.
Wer jetzt stirnrunzelnd überlegt, um was es sich bei diesen Werkzeugen handelt und wie genau sie für das Drucken verwendet werden, dem sei gesagt: Am Samstag, 16. März, kann man es von Beck höchstpersönlich erfahren. Denn im Rahmen der bundesweiten Veranstaltungen zum Tag der Druckkunst am heutigen Freitag ist seine Werkstatt für jedermann geöffnet - allerdings, wie gesagt, eben erst tags darauf, am Samstag. Dann möchte Beck Neugierigen das Handwerk des Schriftsetzers und Buchdruckers näherbringen.
Der Schriftsetzer gilt zumindest als Lehrberuf bereits als ausgestorben, der Buchdrucker ist ebenfalls sehr rar geworden. Um zu verhindern, dass mit dem Ableben der letzten gelernten Setzer und Drucker das Handwerk vollkommen ausstirbt, macht sich der Verein für die Schwarze Kunst e. V. nun nicht nur an diesem speziellen Tag, sondern das ganze Jahr über auf die Suche nach jungen Interessenten. "Unser Ziel ist, das handwerkliche Können und die traditionellen Berufe des Schriftgießers, Schriftsetzers und Buchdruckers zu bewahren, zu fördern und die Wissensvermittlung an nachfolgende Generationen zu unterstützen", heißt es auf der Website des Vereins, der seit 2013 besteht.
Beck ist Mitglied seit der ersten Stunde, im Vorstand aktiv und federführend, wenn es um das Finden von Nachwuchs geht. Unter anderem durch sein Engagement wurde das Projekt der Walz gestartet. Dabei handelt es sich um ein zweimonatiges Stipendium, bei dem die Teilnehmer das Handwerk wandernd erlernen sollen - ganz im Sinne des jahrhundertealten Rituals der Handwerkszünfte. "Wir wollen nicht nur über den Niedergang des Handwerks jammern", erklärt Beck, "sondern dieses Problem offensiv angehen und unser Wissen kostenlos zur Verfügung stellen." Denn kostenpflichtige Workshops seien auf Dauer nicht geeignet, um in die Tiefe gehendes Wissen zu vermitteln. Ebenso könnten sich die Teilnehmer der Walz, die jünger als 30 Jahre sein sollten und sich somit häufig noch in der Ausbildung befinden, diese zweimonatige Auszeit ohne Vergütung selten leisten. Deshalb fasste der Verein den Beschluss, die Stipendien mit jeweils 1000 Euro zu honorieren.
Eine der drei, die sich in diesem Jahr erfolgreich beworben hat, ist die Münchnerin Selina Wittemer. Nach ihrer Ausbildung für Kommunikationsdesign an der Designschule München studiert sie derzeit an der Berliner Beuth Hochschule für Technik Druck- und Medientechnik. Die ersten zwei Wochen ihrer Walz verbrachte sie bei Willi Beck - dort hat sie zum ersten Mal das Handwerk ausprobiert und ist vollauf zufrieden mit ihrer Entscheidung. "Es ist gut, mal vom Computer wegzukommen", sagt die Kunstdrucker-Stipendiatin. "Hier lernt man ein ganz anderes Arbeiten." Denn während Designer und Grafiker am Computer schnell viele Entwürfe produzieren, "muss man hier vorher gut überlegen und planen".
Bis eine Seite fertig gedruckt ist, sind zahlreiche Schritte vonnöten. Auf dem Satzschiff, einer Art Tablett für die Buchstaben, müssen die Wörter aus den einzelnen Lettern zusammengesetzt werden. Zwischen den einzelnen Zeilen müssen Abstände gesetzt werden. Damit beim Blocksatz die Wortzwischenräume gleichmäßig aussehen, ist viel Rechenarbeit nötig, die heute normalerweise Computer erledigen. "Hier muss man richtig tüfteln und ausprobieren - obwohl das ziemlich mühsam sein kann, macht mir das viel Spaß", erzählt Wittemer. Steht der sogenannte Satz, wird er millimetergenau in der Druckmaschine eingespannt. Dann gilt es, die gewünschte Farbe anzumischen und auf der Druckwalze zu verteilen. Als nächstes wird noch das Papier eingespannt; dann kommt es endlich zum eigentlichen Druck, bei dem der Papierbogen mit einem speziellen Mechanismus über die Druckplatte bewegt wird. Jetzt kann das Werk trocknen; ist ein mehrfarbiger Druck gewünscht, ist pro Farbe ein separater Druckgang nötig. Bei komplizierteren Werken können so pro Stunde 60 bis 70 Drucke einer Seite gefertigt werden.
Doch was kann man heute noch mit dem Wissen über diese fast 570 Jahre alte Technik anfangen? "Ich habe gelernt, beide Sprachen zu verstehen - die der Designer und die der Setzer", sagt Wittemer. Außerdem könne man so noch besser verstehen, warum bestimmte Gestaltungsrichtlinien beim Design gelten und so Projekte anders angehen. Dieser Meinung war auch Beck: Als er seine Lehre zum Schriftsetzer 1969 begann, lernte er bereits einen "toten Beruf", tat dies jedoch bewusst in Vorarbeit auf sein späteres Grafikdesignstudium. "Ich wollte die Schrift auf allen Ebenen begreifen." Dass damit nicht nur das Fingerspitzengefühl gemeint ist, das Beck beim Setzen der kleinen Buchstaben braucht, verdeutlicht einer seiner Drucke, der über seiner Arbeitsfläche im Keller hängt: "Im Bleisatz hat das Wort noch Gewicht". Denn Buchstabe für Buchstabe, Zeile für Zeile, bewegt Beck das tonnenschwere Blei in seinem Keller.