Demokratiekonferenz in Dachau:"Radikale Ideen sind auch Ausdruck jugendlicher Rebellion"

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Besonders gescheiterte junge Leute seien für extreme Ideologien empfänglich, sagt Ludwig Gasteiger vom Kreisjugendring. Er setzt sich für Prävention und Aufklärung ein.

Interview von Sebastian Jannasch

Der Dachauer Kreisjugendring und das Landratsamt veranstalten am Donnerstag, 10. März, die erste Demokratiekonferenz der Partnerschaft für Demokratie im Landkreis Dachau. Im Fokus steht die rechtsradikale und islamistische Radikalisierung von Jugendlichen. Ludwig Gasteiger, stellvertretender Geschäftsführer des Kreisjugendrings, erklärt im SZ-Interview, warum besonders junge Leute empfänglich für extreme Ideologien sind.

SZ: Gibt es im Landkreis Jugendliche, die radikalislamischem Gedankengut anhängen?

Ludwig Gasteiger: Eine genaue Zahl kenne ich nicht. Von Lehrern habe ich allerdings die Rückmeldung bekommen, dass an Schulen einzelne Jugendliche damit auffallen, dass sie Mitschüler als "Ungläubige" bezeichnen und sie herabwürdigen. Die Gefahr einer religiös begründeten Radikalisierung besteht also durchaus. Wir wollen Pädagogen dafür sensibilisieren.

Sind diese Sprüche ernst gemeint oder handelt es sich um pubertäre Abgrenzungsversuche?

Fest steht, dass sich radikale Überzeugungen bei bestimmten Jugendlichen verfestigen können, wenn man nicht dagegen vorgeht. Deshalb haben Lehrer eine Verantwortung Stellung zu beziehen, wenn sie solche Sprüche hören. Es ist wichtig, diffamierende und extremistische Aussagen im Unterricht zu thematisieren und sie nicht zu ignorieren, um den Stoff durchzubekommen.

Warum sind gerade junge Leute anfällig für extreme Ideologien?

Totalitäre Weltsichten sind attraktiv, weil sie einfache Antworten auf komplexe Fragen bieten. Jugendliche befinden sich auf Identitätssuche, unabhängig von Bildungsgrad und kulturellem Hintergrund. Diese Ideologien versprechen, dem Leben einen Sinn zu geben. Dazu kommt, dass radikale Ideen auch ein Ausdruck jugendlicher Rebellion sein können. Wir wissen, dass besonders Jugendliche für extremistische Gedanken empfänglich sind, die vorher Verletzungen erfahren haben, gescheitert sind, sich nicht zugehörig fühlen. Über Propaganda-Videos auf Youtube, Online-Foren und Websites können sie Anschluss an extremistische Gruppen bekommen, die eine Kameradschaft mit Gleichgesinnten versprechen. Das gilt gleichermaßen für den Rechtsradikalismus wie den Salafismus.

Werben auch Rechtsextreme im Kreis um junge Menschen?

Soweit ich weiß, haben wir keine manifesten rechtsradikalen Netzwerke. Allerdings agiert die rechte Szene von München aus in den Landkreis hinein, zum Beispiel mit hetzenden Flugblättern. Bei uns gibt es Einzelpersonen, die versuchen, junge Leute in die rechte Szene zu ziehen, zum Beispiel über Musik, Flugblätter und direkte Kontaktaufnahme.

Macht es die Flüchtlingsdebatte den Rechten einfacher, Gehör zu finden?

Das ist zumindest wahrscheinlich. Ich glaube nicht, dass fremdenfeindliche Positionen mittlerweile salonfähig sind. Doch Rechtsradikale versuchen, die Unsicherheit für sich zu nutzen. Umso wichtiger ist es, dass Politik und Ehrenamtliche unbeirrt weiter für ein Miteinander und gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit eintreten.

Wie sollen Lehrer und Erzieher reagieren, wenn Jugendliche verachtende oder gewaltverherrlichende Positionen beziehen?

Wichtig ist es, schnell zu handeln. In jüngeren Jahren sind Jugendliche meist noch über Familie, Freunde, Vereine oder Sozialarbeiter zu erreichen. Finden sie dagegen Mitstreiter und verfestigen ihre radikalen Ansichten über Jahre, dringt man kaum noch zu ihnen durch. Lehrer sollten sich mit Kollegen besprechen und fachliche Hilfe suchen, zum Beispiel bei der Landeskoordinierungsstelle gegen Rechtsextremismus beim Bayerischen Jugendring oder bei der Fachstelle zur Prävention von religiös begründeter Radikalisierung, Ufuq. Selbstverständlich kann man sich auch an den Kreisjugendring Dachau wenden.

Lässt sich auch im Vorhinein schon etwas gegen Radikalisierung tun?

Es gibt kein allgemeines Rezept gegen Radikalisierung. Der erhobene Zeigefinger hilft nicht weiter. Jugendliche müssen sich ernst genommen fühlen. Bei manchen, die unreflektiert rechtsextreme Haltungen übernehmen, kann es schon helfen, aufzuklären, was der Nationalsozialismus wirklich bedeutete. Auch Rollenspiele und Diskussionen können ein Mittel sein, sich mit extremistischem Gedankengut auseinanderzusetzen.

Welches Ziel verfolgt die Demokratiekonferenz?

Wegen der Vielzahl von Anschlägen gegen Asylbewerberunterkünfte bundesweit, aber auch wegen der hohen Zahl an Kämpfern des "Islamischen Staates", die aus europäischen Ländern stammen, ist die Radikalisierung ein brennendes Thema. Wir wollen Akteure der Jugendarbeit im Kreis zusammenbringen. Sie können sich austauschen und vernetzen. Die Fachvorträge sollen helfen, besser zu verstehen, wie Jugendliche sich radikalisieren und was man präventiv oder akut dagegen tun kann. Im Abendvortrag, der sich an eine breite Öffentlichkeit wendet, geht es insbesondere um die Ähnlichkeiten und Unterschiede von Salafismus und Rechtsradikalismus.

Die Demokratiekonferenz findet im Erchana-Saal des Ludwig-Thoma-Hauses statt. Die Fachvorträge gehen von 14.30 bis 18.30 Uhr, das Abendprogramm läuft von 19 bis 21 Uhr. Anmeldungen sind erwünscht unter www.kjr-dachau.de.

© SZ vom 10.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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