Dachaus Kulturbetrieb in Zeiten von Corona:Die Kunst, nicht unterzugehen

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Das Hoftheater Bergkirchen kürzt die Gehälter der Mitarbeiter, die Ballettschule Taglioni stellt Antrag auf Kurzarbeit und Musiklehrer unterrichten online: Dachaus Kulturbetrieb kämpft ums Überleben

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Kein Konzert, keine Theateraufführung, keine Ausstellung, keine Lesung. Für kulturaffine Menschen ist das nur schwer auszuhalten. Doch wie ergeht es den Kulturschaffenden im Landkreis, dem Hoftheater Bergkirchen, dem Musikstudio Karlsfeld, der Ballettschule Marie Taglioni, den freischaffenden Künstlern? Wie existenzbedrohend ist ihre Situation und die ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter? Wie kommen sie damit zurecht, nicht proben oder unterrichten zu können und in eine ungewisse Zukunft zu sehen?

Hoftheater-Leiter Herbert Müller und sein Ensemble mit weiteren vier festen und mehr als 20 freischaffenden Mitgliedern auf und hinter der Bühne trifft es hart. Denn nicht nur der Spielbetrieb des einzigen professionellen Privattheaters zwischen München und Augsburg ist (vorläufig) bis zum 19. April ausgesetzt. Auch die Schultheater-Vorstellungen, die das Bergkirchener Ensemble als "Neue Werkbühne" in ganz Bayern spielt, fallen aus.

Doch Müller bleibt gelassen. "Erst einmal abwarten", sagt er am Telefon. "Wir haben die große Hoffnung, dass unsere Zuschauer wiederkommen und haben schon Zusatzvorstellungen angesetzt." Die stehen bereits auf der Website des Hoftheaters ( www.hoftheater-bergkirchen.de). Doch die finanzielle Situation sei prekär. "Seit zwei Wochen schreibe ich Anträge und mache Kalkulationen für alle möglichen Fälle. Was ist, wenn es im Juni weitergeht? Was ist, wenn erst im September wieder Spielbetrieb möglich ist? Denn dann wird es gefährlich." Mittlerweile sind die Gehälter aller seiner Mitarbeiter um 20 Prozent gekürzt, und Müller hat Kurzarbeit für "das Festensemble und die Teilmitglieder" beantragt. Dass die eigentlich erst im Sommer fälligen Zuschüsse des Kultusministeriums, des Landkreises und der Gemeinde vorzeitig ausgezahlt werden, hilft dem kleinen Theater erst einmal über die Runden, "denn wir haben ja keine Rücklagen bilden können, weil wir als Privattheater immer auf Kante wirtschaften müssen." Und wie geht es ihm persönlich? Da wird der sonst so beherrschte Herr Müller ganz leidenschaftlich: "Es ist emotional fürchterlich. Du willst doch singen und spielen. Und eigentlich hätten jetzt gerade die Proben für Schillers Maria Stuart begonnen." Und was wünscht sich der Theaterleiter Müller? "Dass unser Publikum unbegrenzt gültige Gutscheine und Abos kauft. Das würde uns sehr helfen."

Die perfekt choreografierten Auftritte der Dachauer Ballettschule Taglioni erfordern ein langes, intensives Training. 2019 beeindruckten die Elevinnen das Publikum im Karlsfelder Bürgerhaus mit der Darbietung "Die ersten Schneeflocken". Dass so etwas in diesem Jahr noch möglich ist, erscheint zweifelhaft. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Der 14. Europäische Musikworkshop Altomünster (EUMWA) wurde bereits vor Wochen abgesagt. "Ich war tagelang im Schockzustand, auch weil reihenweise Konzertabsagen eintrudelten. Das war eine richtige Vollbremsung", sagt der Organisator, Pianist Markus Kreul. "Wir hatten so tolle Anmeldezahlen beim EUMWA. Da habe ich in jeder Mail und jedem Telefonat die Vorfreude gespürt, das hat meine eigene noch gesteigert", sagt er.

Was er besonders bedauert, ist das nun ausgefallene Meisterkonzert. Dort sollte eine Version für Septett von Maurice Ravels "Ma mère l'oye - Mutter Gans" aufgeführt werden. Sie stammt von Emmanuel Ceysson, Soloharfenist an der MET, und existiert nur in handschriftlicher Form, die Ceysson seinem Musikerkollegen überlassen hat. Es wäre eine echte Erstaufführung geworden. Noch mehr trifft Kreul jedoch, dass er jetzt ohne Publikum spielt. "Du spielst ja nicht nur ein Programm, du musst das Publikum spüren, diese große Verbundenheit erleben."

Die Konzertabsagen träfen ihn finanziell noch nicht so hart, sagt er. "Ich kann meinen Lebensstandard anpassen und habe noch ein zweites Standbein als Dozent am Leopold-Mozart-Zentrum, der Musikhochschule der Universität Augsburg." Zudem gebe es seitens des Tonkünstlerverbands ein Soforthilfeprogramm, das er allen Kollegen mit Existenzsorgen ans Herz lege. Für das Leopold-Mozart-Zentrum hat er gerade ein kleines Wohnzimmerkonzert auf Facebook eingespielt mit der ersten von Ludwig von Beethovens Bagatellen op. 126. "Da habe ich das Gefühl, Beethoven hat das für uns geschrieben und nicht vor 250 Jahren. Es ist eine Verbundenheit über die Zeit hinweg."

Für Monika Fuchs-Warmhold, Gründerin des Musikstudios Karlsfeld, ist 2020 kein Jubeljahr. (Foto: Toni Heigl)

Auch Gudrun Huber hat sich vorläufig mit der Situation arrangiert. Die Geigenlehrerin, Leiterin des Dachauer Jugendsinfonie- und des Erchana-Orchesters sowie Mitglied etlicher Ensembles hat auf Einzelunterricht per Video-Chat umgestellt, "denn alle Veranstaltungen, alle Auftritte und der Gruppenunterricht fallen aus". Ihre fortgeschrittenen Schülerinnen und Schüler, die beispielsweise für das Additum, den früheren Leistungskurs am Gymnasium, üben müssen, schicken ihr zudem ihre Videos zur Korrektur. "Ein kleines Einkommen ist besser als gar kein Einkommen, und ich bin beschäftigt", meint Gudrun Huber lakonisch. Ihr Mann, der Klarinettist Florian Ewald, geht derzeit seinem "Zweitberuf" nach und repariert Klarinetten, da seine diversen Ensembles nicht auftreten können. "Wir sind alle noch einigermaßen guter Dinge. Aber wenn es ewig so weitergeht...", sagt Gudrun Huber.

Was ihr tatsächlich weh tue, sei die Absage des Konzerts "Klassik³" mit der Bigband Dachau. Einen neuen gemeinsamen Termin von Jugendsinfonieorchester und Bigband zu finden, sei schwierig, zumal das Thoma-Haus von Juli an wieder einmal geschlossen werde. "Und alle verschieben auf den Herbst. Da kommt doch keiner mehr, weil es zu viele Angebote gibt." Ihre Idee ist, dieses spezielle Konzertereignis als Open-Air-Konzert zu veranstalten. Schließlich baue die Stadt Dachau für den Musiksommer sowieso eine Bühne vor dem Rathaus auf. "Wenn wir die auch im Mai für das Seniorenkonzert mit dem Erchana-Orchester nutzen könnten, wäre das toll", sagt die Geigerin.

Die Fledermaus" ist ein Renner im Hoftheater Bergkirchen, doch was nützt das jetzt noch? (Foto: Niels P. Jørgensen)

Auch Monika Fuchs-Warmhold lässt sich von den mehr als widrigen Umständen nicht unterkriegen. Die Gründerin und Leiterin des Musikstudios Karlsfeld und des Vivaldi-Orchesters hat am 16. März ihre Musikschule mit mehr als hundert Schülern geschlossen und bietet seither Einzelunterricht per Skype an. "Ich möchte meine Schüler nicht so lange alleine lassen", sagt sie. Der Video-Unterricht hat für sie sogar Vorteile: "Er ist intensiver, weil es kein Auspacken der Instrumente gibt, weil die Schüler von Anfang an konzentriert dabei sind. Aber es geht leider nur im Einzelunterricht." Von den Eltern habe sie mittlerweile "ganz viel Positives" erfahren, obwohl "Einzelne sofort gekündigt haben. Aber das gibt es immer wieder mal." So will Monika Fuchs-Warmhold "weitermachen, egal wie, obwohl es jetzt ein großer finanzieller Einbruch ist". Schließlich "muss zurückgezahlt werden, wenn nicht unterrichtet werden kann. Und dann wird es eng". Sie hofft - auch für ihre drei Honorarkräfte - auf Hilfe über den Tonkünstlerverband, "aber ob das reicht und ob wirklich Geld kommt, das macht mir große Sorgen".

Auch Professor Carlos Reyes ist nur verhalten zuversichtlich. "Man muss sehen, wie unsere Schüler und ihre Eltern reagieren", sagt der Gründer und Leiter der Ballettschule Marie Taglioni in Dachau am Telefon. Viele hätten bereits angekündigt, die Unterrichtsgebühren weiterzuzahlen, bis das Studio seine Arbeit wieder aufnehmen könne. Doch es gebe auch vereinzelt Unverständnis und Rückforderungen. Seine 180 Schülerinnen und Schüler könne er zu seinem Bedauern nicht per Video unterrichten. "Da muss man immer dabei sein, das funktioniert sonst nicht", sagt er. Auch er hat bereits Anträge auf Kurzarbeit gestellt, auch für seine einzige Ballettlehrerin, seine Tochter, und hofft auf die staatliche Unterstützung für kleine Betriebe.

Was ihn hörbar umtreibt, ist die Sorge, dass die Höhepunkte des Ballettjahres, die beiden Vorstellungen im Juni und im November, ausfallen könnten. Nicht in erster Linie wegen des Corona-Virus, sondern weil die Elevinnen und Eleven nicht genügend Vorbereitungszeit haben könnten. "Das wäre schrecklich für sie und für mich", sagt Reyes. Und schränkt gleich darauf ein: "Aber was in der ganzen Welt gerade passiert, ist noch viel schrecklicher. Da bin ich froh, dass ich hier in Bayern lebe."

© SZ vom 28.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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