Dachauer Stipendiaten in der Coronakrise:Allein mit der Gitarre

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Wenn die Ruckteschell-Stipendiaten mal gerade nicht in Dachau sind, touren sie um den ganzen Globus. Vier Erfahrungsberichte von Musikern, für die die Welt auf einmal sehr klein geworden ist

Von Jana Rick, Dachau

Alle Konzerte abgesagt, alle Tourneen gecancelt. Die momentanen Auswirkungen des Corona-Virus treffen Musiker besonderes hart, die einen Großteil ihres Einkommens aus Konzerten und Shows beziehen. Zu denen gehören auch die drei ehemaligen Ruckteschell-Stipendiaten Dachaus sowie die verhinderte neue Stipendiatin, denn Haley Reardon konnte wegen der Reisebeschränkungen nicht wie geplant am 1. April nach Dachau kommen. Das Wohnstipendium der Stadt wird jährlich an Nachwuchskünstler aus aller Welt vergeben, die einige Monate lang in Dachau wohnen dürfen und dort auch Konzerte geben. Jetzt sind die Künstler auf der ganzen Welt verteilt und nicht immer dort, wo sie eigentlich sein wollten. Mit der aktuellen Situation gehen sie ganz unterschiedlich um. Viele von ihnen organisieren Onlinekonzerte, einige müssen zusätzlich finanzielle Hilfe beim Staat beantragen. Manche schreiben auch Songs über ihre Erlebnisse. In einem Punkt sind sich aber alle einig: Sie wollen ihre Fans nicht enttäuschen und nutzen den Stillstand schöpferisch für ihre Musik.

Die Schwedin Sofia Talvik ist regelrecht auf der Strecke geblieben. Sie steckt in den USA fest. (Foto: Niels P. Joergensen)

Sofia Talvik

Die schwedische Folksängerin und Ruckteschell-Stipendiatin aus dem Jahr 2016 ist derzeit in den USA gestrandet, wo sie eigentlich eine große Tournee geplant hatte. Diese wurde allerdings abgesagt, genauso wie ihr Flug nach Hause, nach Europa. "Ich habe durch die Absage der Tournee viel Geld verloren, das mich durch die nächsten Monate hätte bringen sollen. Ich kann nur hoffen, dass meine restlichen Konzerte dieses Jahr wie geplant stattfinden", so die Musikerin. Auf ihrer Facebookseite bietet sie nun regelmäßig sogenannte Quarantänekonzerte an und bittet die Zuhörer und Zuschauer gleichzeitig um Spenden. Im Wohnzimmer Konzerte zu geben und die Fans dabei nicht zu sehen - so richtig scheint sich Sofia Talvik noch nicht daran gewöhnt zu haben. Aber sie freut sich über die vielen positiven und aufmunternden Rückmeldungen der Zuschauer. Ihr neuester Song "Meanwhile in Winnsboro" handelt davon, wie sie in Texas, weit weg von ihrem Heimatland, die aktuelle Situation wahrnimmt. Während sie in den Medien Szenen aus Europa von Hamsterkäufen sieht, blühen in Winnsboro die Apfelbäume. "Dies ist nicht das Ende der Welt", singt Talvik hoffnungsvoll.

Christina Martin

Die Kanadierin Christina Martin muss viel Papierkram erledigen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

"Abgesagt wegen Covid 19" prangt die dicke rote Schrift auf dem Konzertplakat. Auch Christina Martin, kanadische Singer-Songwriterin, musste 33 Konzerte in Europa absagen. "Das war ein harter Schlag für mich", so die ehemalige Stipendiatin. Bisher habe sie nur zweimal in ihrer Karriere Konzerte absagen müssen, weil sie krank war. Doch jetzt fühlt sich das Ganze viel schlimmer für sie an: "Ich habe es nicht in der Hand!". Die Konzerte machen normalerweise etwa 90 Prozent ihres Einkommens aus. Nun hat sie in ihrer Not eine spezielle finanzielle Unterstützung für Musiker beantragt und versucht gleichzeitig, im Internet ein wenig Geld zu verdienen: Sie lädt dort beispielsweise Musikvideos hoch und bittet die Nutzer um Spenden. Als Dankeschön schickt sie den Spendern Postkarten. Außerdem nutzt Martin die Zeit zuhause für Papierkram. "Stornierungen von Konzerten sind mehr bürokratische Arbeit, als viele denken", erklärt sie.

Hayley Reardon aus Boston hätte jetzt eigentlich in Dachau sein wollen. (Foto: Niels P. Joergensen)

Hayley Reardon

Eigentlich hätte sie schon letzte Woche ihre Koffer packen müssen, denn am Mittwoch wäre ihr Abflugtermin nach Deutschland gewesen. Ihr Wohnstipendium in Dachau war von 1. April an geplant, doch jetzt ist alles ungewiss. Man merkt der aktuellen Stipendiatin aus diesem Jahr, Hayley Reardon, an, dass sie noch nicht wirklich weiß, wie sie mit der Situation umgehen soll. "Es ist einfach nur verrückt", sagt die 23-jährige Amerikanerin. Alle ihre geplanten Konzerte in Deutschland, Österreich und der Schweiz musste sie absagen, und ihr Aufenthalt in Dachau verschiebt sich. Sie hält sich an ihrer Musik fest, die gibt ihr Halt: "Zwar keinen finanziellen Halt, aber wenigstens emotionale Sicherheit", so die Singer-Songwriterin. Sie überlegte, ein Lied über die momentanen Umstände zu schreiben, doch es fiel ihr nicht leicht. "Es ist noch zu früh dafür", erklärt Reardon. Sie kann nur abwarten, wie sich alles entwickelt und hofft, im Sommer nach Dachau kommen zu können. In der Zeit bis dahin will sie ihr Deutsch aufbessern.

Tim McMillan verbreitet in Australien hingegen wie eh und je gute Laune - vor Publikum aus Plüsch. (Foto: Niels P. Joergensen)

Tim MacMillan

"Dringeblieben", heißt die Show, die Tim MacMillan zusammen mit seiner Duo-Partnerin für seine Fans auf die Beine gestellt hat. In seinem Garten in Australien, vor einem Publikum aus Kuscheltieren, spielt er Gitarre und filmt sich dabei. Im Hintergrund wehen Palmen im Wind. Das Video strahlt eine positive Einstellung aus, die der australische Musiker auf seine Fans übertragen möchte. Der Ruckteschell-Stipendiat aus dem Jahr 2011 lacht, wenn er über das Online-Konzert nachdenkt: "Für unsere Nachbarn muss das schon seltsam gewesen sein." Obwohl es in Australien derzeit keine Ausgangssperre gibt, hat sich der Musiker selbst dazu entschieden, nicht mehr aus dem Haus zu gehen. Seit neun Tagen lebt er "isoliert", wie er es beschreibt. MacMillan hofft, dass er seine geplante Reise nach Deutschland und die vielen abgesagten Konzerte dort bald nachholen kann. Bis dahin arbeitet er an neuen Songs und versucht, finanziell über die Runden zu kommen. Die Musik gibt ihm in dieser Zeit Halt: "So lange wir unsere Instrumente haben, ist alles in Ordnung."

© SZ vom 04.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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