Dachauer Musiksommer:Glück in der Begrenzung

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Der Dachauer Musiksommer ist in diesem Jahr nicht gewachsen. Gut so. Die Gäste schätzen die Qualität der Bands, aber auch den familiären Charakter und die unverwechselbare Kulisse

Von Gregor Schiegl, Dachau

Die englische Indie-Band Maxïmo Park ist in den vergangen Tagen ziemlich viel auf deutschen Autobahnen unterwegs gewesen. Erst ging es in den Südwesten zum "Southside Festival"; das musste wegen Unwetters nach acht Bands schon wieder abgebrochen werden. Nächster Halt: Das "Hurricane-Festival" in Norddeutschland, auch das fiel ins Wasser. Erst nach weiteren 750 Kilometern steht Paul Smith mit seinen Musikern tatsächlich auf einer Bühne, mitten in der Dachauer Altstadt. Der Himmel ist bewölkt, kurzzeitig spürt man ein paar Tröpfchen, T-Shirt-Wetter ist das nicht, aber doch fast so was wie Sommer, und die Jungs von Maxïmo Park sind froh, endlich loslegen zu können.

"Wir haben euch unsere ganze Energie mitgebracht", ruft Paul Smith, Frontmann und Sänger der Band. Sein Bewegungsdrang ist immens. Er stemmt den Mikro-Ständer in die Höhe, er grimassiert, er schwingt die Hüften, er gestikuliert. Maxïmo Park sind schon lange im Geschäft. Vor zehn Jahren kamen sie groß raus mit ihrem modern aufgebrezelten Indie-Rock-Power-Ensemble. In "Apply for Pressure", einem ihrer ältesten Stücke, scheint noch der Punk der Untertones durch. Der Sound der Band ist wie Smiths Kleidung: perfekt sitzender grauer Anzug, Dandy-Hut in der Stirn, Streifen-Shirt der Marke "gewagt" und leicht exzentrisch. Und ja, man staunt, es passt alles wunderbar zusammen.

So wie auch beim "Dachauer Musiksommer" alles zusammenpasst. "Das Konzept funktioniert", sagte Kulturamtsleiter und Organisator Tobias Schneider. "Es war wieder eine runde Sache." Stilistisch ist die Konzertreihe inzwischen recht breit aufgestellt - "aber immer mit musikalischer Qualität", wie Schneider betont. Zum Entree und Warmwerden gab es wie immer "Jazz in allen Gassen", dann die bayerische Folk-Pop-Band Django 3000, ehe die deutschsprachigen Rocker von Madsen die Überleitungen in die Independent-Kernabteilung einleitete, die jetzt mit Maxïmo Park und ihren schottischen Kollegen von Frightened Rabbit den Höhepunkt findet. Das Schöne an den Konzerten sind auch die Entdeckungen, die man dort macht, zum Beispiel bei den Vorbands. Markus Naegele singt wie der Zwillingsbruder von Frank Black in einer Münchner Band mit herrlich dreckigem Sound und dazu passendem Namen Fuck yeah. Den Namen nimmt Maxïmo-Sänger Smith nur abgekürzt als F* yeah in den Mund und gibt sich britisch steif. "Es könnte sich im Publikum ja auch ein älterer Engländer befinden, der das unhöflich finden könnte." Haha!

Paul Smith, Sänger der britischen Band "Maxïmo Park", gibt bei seiner Bühnenshow alles. (Foto: Toni Heigl)

Das Publikum beim Musiksommer ist bunt gemischt. Die meisten kommen aus dem Großraum München, aber manche Tickets werden auch schon mal über Strecken von 100 bis 150, manchmal sogar 400 Kilometer verschickt. Viele Studenten kommen, Punks und Hipster, aber auch Leute, die ihre wilden Tage schon hinter sich haben und ihre Kinder auf den Schultern tragen. "Inzwischen gibt es auch schon ein richtiges Stammpublikum", sagt Tobias Schneider. "Die sieht man auf jedem Konzert." Und alle sind sie gut drauf. Alle johlen, jubeln, klatschen.

Es sind nicht so viele wie in den Jahren vorher, die Besucherzahlen eher mittelprächtig, aber Schneider ist damit trotzdem sehr zufrieden. "Für uns ist das auch eine Verschnaufpause." Viele Besucher empfanden es als ganz angenehm, dass "Jazz in allen Gassen" nicht mehr so ein Geschiebe und Gedränge war, und mit 700 anderen Fans fühlt man sich auf dem Rathausplatz auch nicht gerade einsam. "Man muss aufpassen, dass man es mit den Superlativen nicht übertreibt", sagt Schneider. Der Musiksommer eilte davor immer von Rekord zu Rekord. Und ein bisschen war es so wie mit der Indie-Musik.

Indie hieß Independent, Underground. Subkultur, Mini-Label und auf keinen Fall Mainstream. Inzwischen ist Indie eines auf keinen Fall mehr: eine kleine Randveranstaltung. Das kann man bedauern oder nicht. Die Enge der Altstadt setzt dem Wachstum natürliche Grenzen. Es gibt verschiedene Raumkonzepte. Als Patti Smith spielte, brachte Schneider schon mal 2000 Leute vor der großen Konzertbühne unter. Aber das ist dann schon das absolute Maximum. Mehr geht nicht. 700 Leute ist eine gute Zahl. "Es fühlt sich jetzt ein bisschen an wie back to the roots." Alles ist nun wieder ein bisschen familiärer.

Die Mischung macht's: Bei "Jazz in allen Gassen" war überall was los wie hier im Café Gramsci. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Kurz vor dem Auftritt von Maxïmo Park bricht eine Gruppe von Besuchern in Gelächter aus: Island ist bei der EM innerhalb von 18 Minuten gegen Fußballnation England in Führung gegangen. "Dieses Team wollte sowieso keiner sehen außer den Engländern", sagt Smith trocken. Den deutschen Kickern widmet er das Lied "The National Elf", das eigentlich "The National Health" heißt. Politisch hadert die Band noch mehr mit ihrer Heimat. Der Brexit, die hässliche Kampagne, Rassismus, Fremdenfeindlichkeit. Smith lobt die Bundesrepublik, die so viel tue "für Leute in Not".

Man kann viel Spaß haben mit dieser Band mit ihren treibenden Beats und knackigen Breaks, aber es lohnt sich auch, den Texten zuzuhören, die man "sozialkritisch" nennen könnte, klänge das nicht so schrecklich intellektuell und verzopft. Smith singt von der Tristesse seiner englischen Heimatstadt Newcastle. In "The Risk to Exist" thematisiert er das Schicksal der Flüchtlinge, die unter Lebensgefahr das Mittelmeer überqueren. Die Nummer wird wohl auch auf ihrer neuen Scheibe zu finden sein. 2017 solle sie rauskommen, verrät der Sänger. Die Reaktion der Fans auf dem Rathausplatz: grenzenlos enthusiasmiert.

Normalerweise spielen Bands wie Maxïmo Park in riesigen Konzerthallen oder auf Festivals; von der Umgebung bekommen sie nicht viel mit. In Dachau ist das anders. Sie stehen mitten in der Stadt zwischen Rathaus und Kirche, aus den Fenstern schauen die Nachbarn. Und dann das Drumherum. "Der-die-das-Schloss ist wunderbar", schwärmt Smith. "Und der Wasserturm ist auch groß." Gelächter. Man weiß schon, was er sagen will.

Auf langen Wahlkampf-Touren kann es schon mal vorkommen, dass Politiker die Duisburger als "liebe Düsseldorfer" begrüßen. Auch Musiker, die wochenlang durch Europa tingeln, haben es oft nicht leicht, sich zu orientieren, wo sie gerade sind, geschweige denn, wo sie die letzte Woche waren. Dachau sticht heraus. Das Ambiente ist einzigartig, die Musiker bekommen etwas mit von dem Ort, an dem sie spielen, und die Fans sehen ihre Idole wirklich und nicht nur als hellen Strich in hundert Meter Entfernung oder als Bild auf Leinwand. Das ist schön, aber entwickelt sich auch immer mehr zu einem Problem.

Für einen vollen Rathausplatz sorgte "Django 3000". (Foto: Niels P. Jørgensen)

Seitdem die Bands mit Musik kaum mehr verdienen als Bauern mit dem Verkauf von Milch, generiert das Musikbusiness seine Einnahmen verstärkt über Einnahmen aus Live-Auftritten. Die Preise ziehen an. Große Festivals können sich das leisten, für die kleine Stadt Dachau mit ihrem Budget von 50 000 Euro wird die Luft dünn. "Es wird immer schwieriger, namhafte Künstler zu bekommen, die man auch bezahlen kann", sagt Schneider. Wenn eine Band montags spielt wie Maxïmo Park, kommt das zwar billiger - aber es kommen auch weniger Leute.

Ganz vorbei ist dieser Musiksommer zum Glück noch nicht. Am Samstag, 23. Juli, findet das traditionelle Barockpicknick im Dachauer Schlossgarten statt. Es spielen Lisa Wahlandt & Freunde. Beginn ist um 20 Uhr, Einlass um 18 Uhr. Der Eintritt kostet fünf Euro, die Bändchen gibt es nur an der Abendkasse. Und wenn die Dachauer Glück haben, wird es noch mal ein richtig lauschiger Sommerabend.

© SZ vom 01.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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