Vernissage in Dachau:Zwei Erneuerer

Lesezeit: 3 min

Die Ausstellung über Walter Klemm und Carl Thiemann in der Gemäldegalerie erweitert den Blick auf die Dachauer Kunstgeschichte und die Technik des Farbholzschnitts. Sie war zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine begehrte Kunstform

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Die Altstadtszene mit dem Kochwirt und puppenartigen Frauen ist sehr kitschig. Aber als Dokument beeindruckt der ornamentale Holzschnitt von Carl Thiemann aus den 20er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, weil das aktuelle Aussehen des gesamten Gebäudes der historischen Vorlage eindrucksvoll ähnelt. Das Bild in der neuen Ausstellung der Gemäldegalerie ist einer der wenigen Ausreißer in Richtung klischeehafter Dachauer Ansichten, wie sie bis zum heutigen Tag unaufhaltsam reproduziert werden. Wenigstens kennt man jetzt eine der maßgeblichen Vorlagen.

Wie krass anders, besser, architektonischer, vor allem durchdachter Carl Thiemann und sein Freund Walter Klemm den Farbholzschnitt zu Beginn des 19. Jahrhunderts, man kann sagen, europaweit vorantrieben, belegen die mehr als 100 Exponate in der lichten Galerie für Sonderausstellungen im zweiten Stock des Museums für Freilichtmalerei. Sie wird an diesem Donnerstag eröffnet.

Die richtige Entscheidung

Wenn eine Kurator Bilder chronologisch hängt, nährt er den Verdacht, dass er sich nicht traut, Schwerpunkte zu setzen und Qualitätsunterschiede zwischen einzelnen Werken zu berücksichtigen. In dem Fall hat sich Elisabeth Boser, Geschäftsführerin des Zweckverbands Dachauer Museen und Galerien, richtig entschieden. Einerseits sind die meisten Werke so gut, dass man sie problemlos präsentieren kann. Andererseits ergibt sich erst aus der Chronologie das Zusammenspiel zwischen zwei Künstlern, auf welches Elisabeth Boser sich konzentriert.

1 / 3
(Foto: Gemäldegalerie Dachau)

Walter Klemm hat den Farbholzschnitt nach japanischem Vorbild für sich entdeckt und im frühen 20. Jahrhundert neu interpretiert.

Er hat Carl Thiemann die enorm aufwendige Technik des Farbholzschnitts beigebracht. Beide verband die Faszination für Tiere und Stadtlandschaften.

2 / 3
(Foto: Gemäldegalerie Dachau)

In Prag erarbeiteten sie sich vor ihrem Umzug nach Dachau 1908 eine Mappe mit Stadt-Ansichten, die von Licht und Schattenspielen (Ausschnitt: Thiemann) geprägt waren.

3 / 3
(Foto: Gemäldegalerie Dachau)

Klemm war der expressivere von beiden wie der Holzschnitt aus Dachau zeigt.

Denn im Mittelpunkt steht die Freundschaft und gemeinsame künstlerische Bildfindung von Carl Thiemann und Walter Klemm. Beide stammten aus Karlsbad. Sie trafen sich in Prag wieder und zogen 1908 nach Dachau in die damalige Künstlerkolonie. Die Wahl des Orts hing mit der damaligen Bedeutung Dachaus als europäische Künstlerkolonie zusammen. Rückblickend betrachtet, hatten die beiden damals jungen Künstler (beide 1883 geboren) die große Zeit Dachaus für die Kunst verpasst. Beide wollten vom Renommee des Orts profitieren, was ihnen auch gelang. Zusätzlich brachten sie eine für die Stadt neue Kunstform mit, die damals nicht nur in Deutschland beliebt war. Emil Orlik, ein Bekannter von Max Liebermann, hatte zu der Zeit den Farbholzschnitt von einer Japanreise nach Prag importiert, von wo aus diese Technik schnell Publikum und Künstler begeisterte.

Jedes Bild wirkt eigenständig

Walter Klemm brachte sich die Technik selbst bei und teilte die neuen Kenntnisse mit seinem Künstlerfreund Carl Thiemann. Bereits bei seiner ersten Ausstellung verkaufte Klemm Werke an das Museum Albertina in Wien, schon damals eines der berühmtesten Zentren für grafische Sammlungen auf der Welt. Die Entwicklung des Farbholzschnitts bei Klemm, die Zusammenarbeit mit seinem Freund, ihre vorläufige Nähe in der Motivwahl und in der Farbgebung und schließlich die trennenden Aspekte in den künstlerischen Ideen lassen sich an der Ausstellung in Dachau beeindruckend ablesen. Außerdem sind die Werke thematisch so gehängt, dass jedes einzelne Bild eigenständig wirken kann. Deswegen führt der zweite Blick zu Entdeckungen, wie sie Elisabeth Boser selbst erst während der Hängung erlebte. Dabei hat sie die beiden Künstler schon ein Jahr intensiv erforscht.

Carl Thiemann und Walter Klemm stammen beide aus Karlsbad und haben in Dachau gemeinsam ein Atelier betrieben. (Foto: Gemäldegalerie Dachau)

Da wirkt eine bäuerliche Szene zunächst wie eine der damals üblichen Beiträge zur sogenannten Heimatkunst. Aber schnell wird klar, wie etwa Klemm mit unterschiedlichen Variationen des Holzdrucks experimentierte: vom harten, kantigen Schnitt bis zum filigranen bei dem Pelikan, der frei durch das Bild schwebt. Die Leichtigkeit teilt Thiemann mit Klemm, auch wenn er der ornamentalen Bildsprache des Jugendstils verhaftet blieb. Klemm folgte einem Ruf an die Hochschule in Weimar, wo sich damals auch das Bauhaus befand. Er erhielt große internationale Auszeichnungen und starb 1957 als Ehrensenator der Hochschule.

Eine lokale Größe

Carl Thiemann wurde zu einer lokalen Größe in Dachau. Er hatte zahlreiche Sammler vor allem in Großbritannien und in den Vereinigten Staaten. Seine zweite Frau Ottilie war Kunsthistorikerin und engagierte sich intensiv für die Arbeit ihres Mannes. Sie hatte den Nachlass wohl geordnet auf Dachau und die Galerie für osteuropäische Kunst in Regensburg aufgeteilt. Viele Informationen über Walter Klemm stammen aus diesem Fundus.

Über die zahlreichen lokalen und kunsthistorischen Aspekte hinaus ist die Ausstellung ein Ausgangspunkt für die zeitgenössische Kunst. Denn Georg Baselitz wird im Sommer Farbholzschnitte im Schloss zeigen. Am Donnerstag, 12. Mai, 19.30 Uhr, eröffnet die kommunale Neue Galerie eine Ausstellung mit Jan Brokof und Susanne Hanus, die beide vom Holzdruck kommen und ihn neu zu interpretieren versuchen.

"Walter Klemm und Carl Thiemann, Zwei Meister des Farbholzschnitts", Gemäldegalerie Dachau, Vernissage, Donnerstag, 21. April, 19.30 Uhr.

© SZ vom 21.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: