Dachau:Zurück nach vorne

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Oberbürgermeister Florian Hartmann, die Diskussion über die Chancen einer ständigen Galerie auf dem MD-Gelände und die Optionen in der Kulturschranne. Oder warum das Video von Johannes Karl in der KVD-Ausstellung bildlich vorbildlich ist

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Heiko Klohn steht am Donnerstagvormittag vor dem ehemaligen MD-Verwaltungsgebäude und sinniert darüber, ob das riesige blaue Turbinen-Fragment im Vorgarten eine Skulptur ist und ob man dieses voluminöse Teil nicht in die Kunstausstellung der Künstlervereinigung Dachau (KVD) hätte einbinden können, sollen oder müssen: "Vielleicht durch eine Stange, an deren Ende sich ein kleines Windrad befindet." Quasi als Sinnbild, wie aus einem ehemals zentralen wirtschaftlichen Motor für Dachau der große strukturelle Problemfall geworden ist. Denn noch weiß niemand so recht, wie sich das 17 Hektar große Areal am Rande der Altstadt tatsächlich entwickeln wird.

Kurz zuvor hat der Dachauer Oberbürgermeister Florian Hartmann (SPD) die Ausstellung besucht, um sich sein Lieblingswerk auszusuchen. Er erzählt, wie er anfangs skeptisch war, als die Künstlervereinigung ihm mitteilte, den Renaissancesaal des Schlosses verlassen zu wollen, um in diesem Gebäude mit dem verblichenen und nüchternen Charme der fünfziger Jahre die zentrale Ausstellung mit dem Titel "1984" unterzubringen. Hartmann war in den vergangenen sechs Wochen mehrmals dort . Er teilt mit vielen Besuchern die Überraschung, eine Entdeckung miterlebt zu haben. Denn niemand, wahrscheinlich nicht einmal die Künstlervereinigung selbst, hätte die überwältigende Resonanz erwartet. Sie ging so weit, dass der Wunsch nach einem ständigen Standort der bildenden Kunst in dem Verwaltungsgebäude entstanden ist.

Der Entschluss weg vom Schloss hinunter zur MD-Industriebrache ist auch für Hartmann "der richtige Schritt gewesen". Ob er ein dauerhafter sein kann, bezweifelt er. Denn der bisherige städteplanerische Entwurf, der in Dachau von Bürgern und Kommunalpolitik fast einhellig als sehr gut beurteilt wird, sieht genau dort eine Umgehungsstraße vor, welche das gesamte Areal erschließt. Außerdem trägt sich Hartmann mit grundlegenden Bedenken, ob sich die Stadt ein so großes Gebäude als Stätte der Kunst finanziell leisten kann. Vor allem: "Ob die Idee einer solchen Nutzung langfristig genug ist." Aber er gesteht im Gespräch mit der SZ durchaus zu, dass sich das Gebäude für Ausstellungen und Künstlerateliers eignen würde.

Einst ein Wahrzeichen von MD, jetzt ein regelrechtes Kunstwerk. Das Verwaltungsgebäude samt Turbine beeindruckt als Kunsthalle der KVD-Ausstellung. (Foto: Toni Heigl)

Allerdings verfolgt der Oberbürgermeister eine andere Idee. Er könne sich vorstellen, dass die Künstlervereinigung das Erdgeschoss der Kulturschranne in der Altstadt komplett übernimmt. Bisher nutzt sie nur einen Teil, weil der größere für die Gastronomie reserviert ist. Nun aber ist schon wieder ein Pächter gescheitert, weshalb sich auch für den Dachauer Oberbürgermeister die grundlegende Frage stellt, ob es nicht an der Zeit ist, das Konzept der Kulturschranne nochmals komplett zu überdenken. Hartmann: "Vielleicht ist es besser, einen Schritt zurückzugehen, um zwei nach vorne zu machen." Womit er bei seinem Lieblingswerk der KVD-Schlossausstellung auf dem MD-Gelände angelangt ist, das für ihn eben diese Denkweise bildlich vorbildlich darstellt.

Der junge KVD-Vorsitzende Johannes Karl, dessen Metier die künstlerische Auseinandersetzung mit der Kunstgeschichte ist, hat ein Video gedreht, in dem ein Galopprennen an zahlreichen Gemälden und Skulpturen der Kunstgeschichte vorüberzieht. Keiner der Jockeys gewinnt. Bei keinem Bild lässt sich sagen, dass das eine besser als das andere wäre, oder dass gar ein Fortschritt hin zur Moderne und darüber hinaus erkennbar wäre. In einer Endlosschleife reiten die Männer, sie reiten und reiten.

Aus der Sicht des Ausstellungsthemas "1984" ist die Videoanimation im Stil einer Jahrmarktszenerie des 19. Jahrhunderts eine Aufforderung zur Bescheidenheit und Selbstreflexion. Kommunalpolitisch betrachtet, fühlt sich Hartmann aufgefordert innezuhalten, nicht einfach voranzustürmen. Kulturpolitisch gewendet, fragt er sich, wie er die KVD langfristig und nachhaltig unterstützen kann. Denn nicht nur diese Ausstellung zeigt, dass Dachau aus einem beeindruckenden Reservoir an jungen Künstlerinnen und Künstlern schöpfen kann.

Dachaus Oberbürgermeister Florian Hartmann steht vor seinem Lieblingswerk von Johannes Karl, einer Video-Galopp-Animation. (Foto: Toni Heigl)

Allerdings ist das Angebot für wirklich gute Kunstprojekte in Dachau sehr beschränkt. Der Appendix der KVD-Galerie an die Wirtschaft mit dem Titel "Schulhaus" ist wenig attraktiv. Hartmann sagt: "Der Boden stört regelrecht." Er wurde beim enorm teuren Umbau der ehemaligen Kirchenschule in eine Schranne durch die Stadt eigens ausgewählt, um die Atmosphäre einer Markthalle zu schaffen. Vergebens. Das gastronomische Projekt einer Schranne ist gescheitert und nach der Kündigung der Pächter zum Jahresende stellt sich die Frage, ob das Konzept überhaupt haltbar ist. Es hat teilweise eh nur funktioniert, weil im Obergeschoss die städtische Kulturbühne mit Kabarett, Konzerten und Theater eingezogen ist.

Deshalb hat Oberbürgermeister Florian Hartmann der KVD mitgeteilt, "dass es ihr frei steht, sich für eine Nutzung des gesamten Erdgeschosses der Schranne zu bewerben, falls sie daran Interesse hat". Noch vor der Sommerpause hat er sich mit dem KVD-Vorstand getroffen und ihm den Vorschlag unterbreitet. Im Gespräch mit der SZ wird deutlich, dass Hartmann diese Idee klar präferiert: "Ich hege für sie große Sympathie." Ihm ist allerdings klar, dass im Erdgeschoss der Schranne erhebliche Umbauarbeiten notwendig würden, um den als Markthalle konzipierten Raum in eine echte Galerie zu verwandeln: " Das alles würde sicherlich Geld kosten." Aber: "Es könnte eine für alle zufriedenstellende Situation entstehen." Dachau hätte dann in der Altstadt ein richtiges kleines Kulturzentrum: mit Galerie und Bühne im Obergeschoss. Und die KVD ein klar strukturiertes Zukunftsprojekt. Hartmann sagt: "Es liegt nun an der Künstlervereinigung sich zu entscheiden."

Vielleicht überzeugt die Videoanimation von Johannes Karl die Stadträte. Hartmann hat sie angekauft. Sie soll auf sämtlichen Bildschirmschonern in der Stadtbibliothek zu sehen sein. Die KVD-Ausstellung ist nur noch an diesem Freitag von 19 bis 24 Uhr als Teil der Langen Nacht der Offenen Türen zu sehen.

In der SZ-Serie "Mein Lieblingswerk" sind bisher erschienen: "Im Anschein der Harmlosigkeit" mit NAT-Vorstand Claudia Tauber; "Leberkäse unbezahlbar" mit den Steuerberatern Heinz Sprödhuber und Stefan Fichtl; "Die Ambivalenz der Dinge" mit Nina Rist, der pädagogischen Leiterin des Jugendgästehauses; "Vom Verschwinden des Systems" mit dem Mathematiker Thomas Weigl; "Gefährliche Harmlosigkeit" mit Karin-Renate Oschmann, der Vorsitzenden des Fördervereins Wasserturm; "Gefangen im weltweiten Netz" mit dem Dachauer Landrat Stefan Löwl (CSU); "Intensive Begegnung" mit der Grafikerin Alexandra Marschall. Die Serie ist damit beendet.

© SZ vom 18.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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