Dachau:Zehn Zeugen, zehn Geschichten

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Nachbarschaftsstreit endet mit einer 4000-Euro-Geldstrafe für den Angeklagten

Von Benjamin Emonts, Dachau

"Der Mann läuft hier jedes Mal raus und lacht uns dreckig ins Gesicht." Der Nebenkläger und angeblich Geschädigte gab sich nach der Urteilsverkündung aufbrausend. In seinen Augen war der Angeklagte, mit dem er seit mehr als Jahren Krieg führt, wieder einmal zu glimpflich davongekommen. Das Amtsgericht Dachau hatte den Mann am Donnerstag zu einer Geldstrafe von 4000 Euro wegen gefährlicher und fahrlässiger Körperverletzung verurteilt. Der Nebenkläger aber hätte ihn am liebsten im Gefängnis gesehen, damit der erbitterte Nachbarschaftskrieg endlich ein Ende findet.

Zumindest letzteres wäre dem Vorsitzenden Amtsrichter Tobias Bauer mit Sicherheit recht. Der Nebenkläger und dessen Bekannte, die ebenfalls als Nebenklägerin auftrat, bekriegen sich seit mehr als zwei Jahren mit dem Angeklagten. Der 68-jährige Rentner habe "Kräfte wie ein Bär", so sagen sie. Er sei ein schrecklicher, geradezu unzurechnungsfähiger Nachbar. Es laufen und liefen zahlreiche Prozesse am Amtsgericht Dachau zwischen den streitenden Parteien - sowohl zivil- als auch strafrechtlich. "Es wird nachgestellt, es wird kontrolliert, es wird sich das Leben schwer gemacht", sagte der Richter.

Im Mai 2015 soll der Angeklagte völlig ausgerastet und handgreiflich geworden sein. Nachdem er der Nebenklägerin über einen längeren Zeitraum die Miete nicht bezahlt hatte, beanspruchte die 46-jährige Frau das Vermieterpfandrecht für sich. Am 16. Mai 2015 riss sie ihm zwei Taschen aus der Hand, mit denen der Angeklagte seine Wohnung verlassen hatte. Der Rentner, so hieß es in der Anklage, soll die 46-Jährige an den Haaren gezogen, getreten und ihr ein Tierabwehrspray ins Gesicht gesprüht haben. Zwei Männer, die beiden anderen Nebenkläger, kamen der Frau zu Hilfe. Auch sie bekamen angeblich das Reizgas ab. Außerdem soll der Angeklagte allen gedroht haben, sie zu erschießen. Und er habe versucht, einen der Männer mit einer leeren Glasflasche zu attackieren. Der 68-Jährige bestritt die Vorwürfe vehement und wollte selbst geschlagen worden sein.

Um den genauen Tathergang zu rekonstruieren, vernahm Amtsrichter Bauer insgesamt zehn Zeugen und einen Gutachter an zwei Verhandlungstagen. "Zehn Zeugen, zehn Geschichten", bekam er zu hören, wie die Staatsanwältin treffend formulierte. Amtsrichter Bauer zeichnete schließlich das Bild eines unvollständigen Puzzles, dessen Teile nur bedingt zusammenpassten. Er sagte aber nach der Beweisaufnahme: "Ich konnte einige der Puzzle-Teile zu einem Kernbild zusammenfügen."

Demnach griff der Rentner die 46-jährige Vermieterin an, nachdem sie ihm die Taschen entrissen hatte. Er spritzte das Tierabwehrspray in ihre Richtung und riss sie an den Haaren zu Boden. Es schalteten sich die zwei Nebenkläger ein, als sie die Auseinandersetzung bemerkten. Zwischen allen Beteiligten kam es zu einem Gerangel, bei dem erneut Tierabwehrspray versprüht wurde. Diesen Akt legte der Richter dem Angeklagten allerdings nur als fahrlässige Körperverletzung aus anstatt - wie von der Staatsanwaltschaft gefordert - als gefährliche. Für die Morddrohung und den Angriff mit der Flasche sah der Richter keine ausreichenden Beweise. Die Vertreterin der Staatsanwaltschaft hatte eine Bewährungsstrafe von einem Jahr und fünf Monaten gefordert. Der Anwalt plädierte auf Freispruch. Er kündigte an, in Berufung zu gehen.

© SZ vom 25.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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