Dachau:Wo ist Chucky?

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Seit fast sechs Wochen ist Chucky verschwunden Der Mischlingsrüde ist struppig, kniehoch und ähnelt ein bisschen Susi aus "Susi und Strolch". (Foto: oh)

Tatjana Oswald sucht nach ihrem Hund, der in einen Unfall mit einem Radfahrer verwickelt war und in Panik davonlief. Immer wieder wird der scheue Rüde gesichtet. Und immer wieder verschwindet er.

Von Benjamin Emonts, Dachau

Chucky ist überall - und doch nirgendwo. Seit Wochen sind ihm Suchhunde auf der Spur. Chuckys Gesicht ist auf Steckbriefen zu sehen. Kameras werden installiert, um Chucky zu orten. Kinder und Erwachsene halten Tag und Nacht Ausschau. Tatsächlich wird er gesichtet, am Karlsfelder See, am KZ-Friedhof Leitenberg, am Tierheim. Doch fassen konnte ihn niemand.

Chucky, der Flüchtende, ist kein Verbrecher - er ist ein junger Hund. "Er ist struppig, kniehoch und sieht aus wie Susi aus Susi und Strolch", sagt ihr verzweifeltes Frauchen, Tatjana Oswald, und ihre Stimme gibt dabei nach. Oswald und ihr Lebensgefährte wollten nach dem Tod ihrer Deutschen Dogge etwas Gutes tun. Sie holten Chucky, der als Welpe mit seinem Bruder ausgesetzt wurde, aus einem griechischen Tierheim. "Chucky ist sehr scheu und hat Angst vor fremden Menschen. Aber er ist weder böse noch aggressiv", sagt Oswald liebevoll.

Am 31. August wird ihr Hund gegen 18 Uhr bei den Schrebergärten zwischen Dachau und Karlsfeld von einem Fahrrad angefahren. Er läuft davon - und kommt bis heute nicht zurück. "Der Unfall hat ihn noch ängstlicher gemacht als zuvor", ist sich Oswald sicher. Noch am Tag des Verschwindens ist die Dachauerin zuversichtlich, Chucky nach Hause in die Mittermayerstraße holen zu können. Eine ältere Frau aus der Nachbarschaft berichtet, der Hund halte sich in ihrem Garten auf. Tatjana Oswald eilt sofort dorthin. Weil die ältere Frau aber ihre Gartentür nicht verriegelt hat, läuft Chucky davon - und bleibt tagelang wie vom Erdboden verschluckt.

Das Team von K-9 soll Chucky aufspüren

Oswald und ihr Partner schlafen die folgenden Tage im Freien vor ihrer Haustür - nichts. Sie werden von Tag zu Tag unruhiger; ihre Nächte schlafloser. Am 5. September dann endlich ein Hinweis. Ein Spaziergänger will Chucky in der Nähe des KZ-Friedhofs am Leitenberg gesichtet haben. Tatjana Oswald ist schnell da - und doch wieder zu spät. Sie schaltet das K-9 ein, ein Team von Ehrenamtlichen, das mit Hunden auf Spürsuche geht. Von einer Decke von Chucky nehmen die freiwilligen Helfer eine Duftprobe, welche sie den Spürhunden unter die Nase halten. Die Suche geht los und entwickelt sich zu einem regelrechten Fahndungsfieber, das bis heute anhält. Und tatsächlich: Es war Chucky, der am Leitenberg streunte.

Die Spur jedoch verliert sich für sechs Tage. Am 11. September dann die Meldung, dass sich Chucky am Karlsfelder See, an den Parkplätzen des TSV Karlsfeld, herumtreibt. Die Suchhunde bestätigen die Spur - doch gefunden wird Chucky nicht. Am 18. September wird Oswald zum Bahnhof in Hebertshausen gerufen. Es ist dunkel. Oswald sieht ihren Hund auf einer Wiese neben den Fahrradständern, er ist nur wenige Meter von ihr entfernt. Dann kommt eine S-Bahn. Chucky erschrickt sich und läuft davon. Am 26. September, eine Passantin erkennt Chucky an seinem Halsband, ist Oswald keine zehn Minuten später am Mückensee im Schwarzhölzl - doch wieder ist Chucky längst weg. Schließlich die letzte Spur am Samstag, 3. Oktober. Chucky ist im Amperwald unterwegs, ironischerweise in der Nähe des Dachauer Tierheims. Das Ende dürfte bekannt sein.

"Er ist immer dort, wo wir gerade nicht sind. Wir schaffen es einfach nicht, zur gleichen Zeit am gleichen Ort zu sein", sagt Tatjana Oswald, traurig und zugleich verzweifelt. Ob sie nicht ans Aufgeben denkt? "Ich muss zugeben: Das habe ich schon. Aber immer dann taucht Chucky wieder irgendwo auf."

Alles dreht sich um Chucky

Ihr Leben drehe sich nur noch um Arbeit und die Suche nach Chucky, sagt Oswald. In Karlsfeld, Dachau, Hebertshausen und im Dachauer Hinterland hat sie an Laternen und Ampeln 2000 Flyer angebracht. Sie geht stundenlang spazieren, fährt wahllos mit dem Auto durch die Gegend. Suchhunde verfolgen jede Spur ihres Hundes. Sie ist rund um die Uhr erreichbar. An den Orten, an denen Chucky gesichtet wurde, baut sie Futterstellen auf und bringt Wildkameras an. "Aber sie kommt bisher nie zu den Orten zurück, an denen sie war."

Neben Inseraten in Zeitungen hat Oswald eine Facebook-Gruppe gegründet: "Chucky vermisst" hat bereits 400 Mitglieder. Sämtliche Dachauer Facebook-Gruppen haben mehrfach Suchaufrufe auf ihrer Seite gepostet, ebenso die lokalen Zeitungen. Sogar ein Münchner Boulevard-Blatt berichtet. Wer nicht ganz von der medialen Außenwelt abgeschnitten ist, der kennt Chucky inzwischen. Trotzdem gingen insgesamt nur 15 Hinweise ein. "Zu wenig, um ein Laufmuster zu erstellen", beklagt Oswald. Sie ist sich sicher, dass Chucky noch lebt. "Hunde können am Tag bis zu 30 Kilometer zurücklegen. Wenn sie mehr als drei Wochen auf sich allein gestellt sind, verfallen sie in einen Überlebensmodus und handeln nach Urinstinkten", sagt Oswald. Sie geht davon aus, dass Chucky sich nur dann unter Leute begibt, wenn er Nahrung braucht. "Aber sobald ihn jemand sieht, fängt er wieder an zu laufen. Sie sollten sich deshalb ruhig verhalten und uns sofort unter 0176/28 02 116 3 kontaktieren", ruft sie auf.

Gerührt erzählt Oswald von anrufenden Kindern, die sich nach Chucky erkundigen und versprechen, nach ihm zu suchen. "Jedes Mal, wenn das Telefon klingelt, versetzt mir das einen Adrenalinschub", sagt sie. Menschen, die Chucky gesehen haben, berichteten, dass er fit und nicht unterernährt aussehe. "Das gibt mir die größte Hoffnung."

© SZ vom 10.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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