Dachau:"Wir bauen Wohnungen für alle"

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Landrat Stefan Löwl (in roter Jacke) im Gespräch mit Flüchtlingen in der Erstaufnahme-Einrichtung von Markt Indersdorf, einer ehemaligen Tennishalle. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Noch leben 400 Menschen in Traglufthallen. Landrat Löwl will sie bis Sommerende anders unterbringen und forciert für eine gelungene Integration anerkannter Asylsuchender und ihrer Familien den Wohnungsbau - ohne die Einheimischen zu benachteiligen

Interview von Helmut Zeller

Der Fall Fallou M. hat unter den Helferkreisen im Landkreis Aufsehen, auch einigen Unmut verursacht. Der 31-jährige Senegalese wurde am 7. Juni vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge aus Karlsfeld abgeschoben - rechtswidrig, wie Recherchen der Süddeutschen Zeitung ergaben. Der Senegalese musste entsprechend dem Dublin-Abkommen seinen Asylantrag in Italien stellen, da er dieses EU-Land nach seiner Flucht über das Mittelmeer zuerst betreten hatte. Allerdings hat Fallou M. nie einen Abschiebebescheid erhalten. Das Bundesamt hat inzwischen einen Fehler in der Zustellung eingeräumt und lässt den Asylsuchenden nach Deutschland zurückbringen. Die SZ sprach mit Landrat Stefan Löwl (CSU) über diesen Fall und die allgemeine Situation der Flüchtlinge im Landkreis.

Was sagen Sie, Herr Landrat Löwl, als Chef der Ausländerbehörde für den Landkreis zum Fall Fallou M.?

Stefan Löwl: Dies ist nur konsequent und ein Beweis für unseren funktionierenden Rechtsstaat. Gerade als Jurist ist es auch mir wichtig, dass behördliche Entscheidungen ordentlich bekannt gemacht werden und jedem die Möglichkeit für eine unabhängige, gerichtliche Überprüfung gegeben wird. Dieses grundrechtlich geschützte Recht sollten und können wir auch nicht aufgrund von Effizienzaspekten zur Disposition stellen. Die geplante Änderung der Zustellungsregelungen, dass solch wichtige Entscheidungen zukünftig mit einfachem Brief zugestellt werden können, sehe ich daher sehr kritisch. Um aber hier nicht falsch verstanden zu werden: Natürlich muss eine Zustellung möglich sein, und es darf auch keinen Platz für vorsätzliche Zustellungsverweigerungen geben. Die Einhaltung von Förmlichkeiten ist wie gesagt sehr wichtig, sie dürfen aber nicht den materiellen Gesetzesvollzug unterlaufen.

Wie aber können denn solche Fälle künftig ausgeschlossen werden?

Die Schutzfunktion besteht darin, eine rechtzeitige gerichtliche Überprüfung zu ermöglichen, nicht aber, sich den Konsequenzen einer rechtmäßigen Entscheidung zu entziehen. Die Zustellung von Bescheiden an Asylsuchende sehe ich aber nicht als das große Problem. Die Asylsuchenden und Flüchtlinge sind Leistungsempfänger des Staates und können sich daher nicht dauerhaft dem Kontakt entziehen. Somit liegt es an den Behörden, und hier wird es in Deutschland mit unseren föderalen Strukturen und vielschichtigen Zuständigkeiten etwas kompliziert, konsequent nach Wegen zu suchen, Entscheidungen an die Betroffenen nachweisbar zu übergeben. Wenn sich die Strukturen aber weiter festigen, sollte es entsprechende Lösungen geben.

Was geschieht nun überhaupt mit den Flüchtlingen im Landkreis?

In den Landkreis sind seit Ostern keine Asylsuchenden und Flüchtlinge mehr zugewiesen worden. In Bayern liegen die letzten Zugangszahlen bei täglich circa 100, welche auf Erstaufnahmeeinrichtungen deutschlandweit verteilt werden. Im Landkreis haben wir aktuell in unseren Unterkünften insgesamt 1745 Menschen, allerdings sind auch schon viele, aktuell knapp 180, sogenannte Fehlbeleger drunter; also Flüchtlinge, welche bereits anerkannt wurden. An klassischen Asylbewerbern, welche noch im Verfahren stecken, haben wir rund 1580. Wir bekommen aber fast täglich Entscheidungen, wobei zur Zeit die Hälfte in etwa Anerkennungen sind, die andere Hälfte Ablehnungen oder sogenannte Dublin-III-Entscheidungen, also Zurückweisungen in das EU-Land, wo die Personen zuerst eingetroffen sind. Alle haben ein Dach über dem Kopf, aber fast 400 sind noch immer in den beiden Traglufthallen untergebracht, womit wir natürlich nicht zufrieden sind.

Was können Sie dagegen tun?

Aktuell sind wir mit der Bezirksregierung in Gesprächen, die prekären und teuren Traglufthallen zurückzufahren. Oberbayernweit sind knapp 4500 Menschen in 20 solcher Hallen untergebracht. Diese sollen alle über den Sommer verlegt werden. Davor haben wir schon die Turnhallen - in ganz Oberbayern - geleert. Wir haben deutlich bessere Containerunterkünfte, aber auch da sind einige schon fast am Ende ihrer Laufzeit. Aus meiner Sicht sind Container für die Integration und den Familiennachzug außerdem nicht wirklich geeignet. Wir werden den Fokus daher auf den Wohnungsbau legen, und ich hoffe, dass die beiden Projekte auf der Fläche der ehemaligen Gemeinschaftsunterkunft in der Kufsteiner Straße in Dachau sowie am Karlsfelder Spitz noch genehmigt und zeitnah umgesetzt werden. Das Problem des fehlenden bezahlbaren Wohnraums war im Landkreis übrigens schon lange vor den Flüchtlingen da. Es ist durch die Flüchtlinge jetzt nur noch einmal verschärft worden.

Wie soll die Wohnungsnot behoben werden?

Ich sehe positive Signale bei der Stadt Dachau sowie den anderen Landkreisgemeinden, hier etwas zu tun. Aber es braucht leider auch wieder Zeit, geeignete und vor allem verfügbare Flächen zu finden, und es muss finanziert werden. Einige Gemeinden, welche bisher nicht Mitglied sind, wollen jetzt der Wohnungsbaugesellschaft im Landkreis Dachau beitreten, welche bereits intensiv an verschiedenen Projekten arbeitet. Es läuft auf mehr Geschosswohnungsbau hinaus, und der muss relativ schnell umgesetzt werden. Aber in diesem Zusammenhang muss ich auf ein Problem hinweisen: Flüchtlinge wollen in die Ballungszentren. Wir haben beispielsweise eine Flüchtlingsfamilie in einer Containeranlage, welche ein kleines aber frisch renoviertes Haus im Hinterland abgelehnt hat, weil sie dann zu weit weg von München oder der S-Bahn wäre. Da muss man deutlich sagen: Auch ein Arbeitnehmer muss wegen eines Arbeitsplatzes mal umziehen, und dann kann dies auch von Personen, welche auf Sozialleistungen angewiesen sind, erwartet werden. Wer zumutbare Angebote nicht wahrnimmt, muss sich dann aber bitte auch mit dem zufrieden geben, was er hat. Spannend wird hier die Frage, wie die vorgesehenen Wohnsitzauflagen im Einzelfall umgesetzt werden sollen.

Was sagen Sie jemanden, der meint: Für die Flüchtlinge baut Ihr schon Wohnungen, für uns aber nicht?

Wir bauen nicht für Flüchtlinge. Wir bauen Wohnungen für alle, die bei uns im Landkreis leben wollen und dürfen. Gerade das aktuelle Projekt der Wohnungsbaugesellschaft in Karlsfeld ist für ältere Menschen, auch das in diesem Jahr noch startende in Markt Indersdorf. Und wenn ein Asylbewerber anerkannt ist, dann ist er bitte kein Flüchtling mehr. Dann haben wir mit unserem Rechtssystem und aus gutem Grund so entschieden, und es ist nur konsequent, diese neuen Mitbürger genauso zu behandeln wie Einheimische oder bereits länger hier lebende Menschen aus anderen Teilen Bayerns, Deutschlands oder der Welt. Ich möchte diese Differenzierung nicht vornehmen, und wir tun gut daran, grundsätzlich allen Menschen hier bei uns ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen und sie da hin zu leiten. Und die Wohnung ist hier ein wichtiger Aspekt. Allenfalls das Integrationsgesetz verhängt Wohnsitzauflagen für eine gewisse Übergangszeit, um die ersten Integrationsschritte dezentral und überschaubar zu fördern.

Wie sieht es denn konkret mit der Belastung des Landkreises durch Ausgaben für die Flüchtlingsbetreuung aus?

Dazu wurde auch mit unserer Unterstützung eine Kostenaufstellung gemacht: Die nicht refinanzierten Kosten der Städte und Gemeinden in Bayern belaufen sich demnach auf etwa 212 Millionen Euro im Jahr 2015. Unsere Forderung ist, dass diese auch vom Freistaat und vom Bund getragen werden. Für den Landkreis Dachau liegt die Summe bei knapp einem Prozent der Gesamtsumme, also gut zwei Millionen Euro und damit bei knapp 1,5 Prozentpunkten der Kreisumlage. Wer diese Kosten trägt, wird bei den Finanzausgleichsgesprächen verhandelt werden, wobei der Freistaat natürlich auch sagen wird, dass dies primär Kosten des Bundes sind. Ich bin auf die Ergebnisse gespannt und erwarte zwar eine weitere Unterstützung, mit der Gesamtübernahme aller Kosten rechne ich aber nicht. Der Freistaat Bayern hat sich hier in den laufenden Gesprächen wohlwollender gezeigt als der Bund.

Und das gleiche Thema kommt jetzt mit der Aufgabe der Integration vieler anerkannter Asylsuchender, wobei hier die Hauptlast wohl bei den Gemeinden liegen wird, da diese für Wohnraum, notwendige Infrastruktur sowie die soziale Integration verantwortlich sind. Das gilt übrigens auch beim Thema Inklusion. Auch wenn alle gesellschaftlichen Gruppen sich mit konstruktiven Vorschlägen einbringen, wie eine barrierefreie Welt aussehen soll, müssen das hauptsächlich die Kommunen bauen und umsetzen, ohne dafür deutlich mehr Geld zu bekommen. Ich will damit sagen, dass gerne solche Ansprüche gestellt werden, und diese will der Bürger dann auch schnell realisiert haben, aber es fehlt am Geld und Personal.

Bleiben wir beim Thema Asyl. Was bringt die Zukunft?

Wenn ich das wüsste, wäre ich glücklicher. Es gibt mehrere mögliche Varianten. Aktuell sieht es aber so aus, dass es bleibt, wie es jetzt ist. Die Flüchtlingsströme kommen nicht mehr bis nach Deutschland. Nur sehr wenige schaffen es bis hierher. Wo sie dann ankommen oder auch bleiben, ob in Libyen, der Türkei oder Italien, das kann man jetzt nicht sagen. Es besteht aber natürlich auch die Möglichkeit, dass sich wieder so viele Menschen auf den Weg nach Europa machen, dass die Staaten an den Außengrenzen dies nicht mehr bewältigen können. Dann werden wir wieder ähnliche Situationen wie im vergangen Jahr haben.

Die Ursachen dieser Völkerwanderung sind noch längst nicht behoben?

Und machen wir uns nichts vor, weltweit sind weit über 60 Millionen Menschen auf der Flucht, und man muss nur auf die Landkarte und in die Nachrichten schauen, um zu wissen, wohin sie gehen werden. Aber wenn es so bleibt, dann können wir in einen normalen Arbeitsmodus übergehen. Die Asylverfahren werden zu einer Vielzahl von Anerkennungen führen, damit wechselt der Schwerpunkt der Anstrengungen hin zur Integration. Wohnraum, Spracherwerb, Arbeitsplatz, Familiennachzug spielen dann eine Rolle. Wir werden natürlich auch eine große Zahl von Nichtanerkennungen haben, das heißt auch Ausweisungen nach dem Dublin-III-Abkommen, aber auch freiwillige Rückkehrer, oder schlimmstenfalls müssen nicht anerkannte Asylsuchende in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden. Auch das wird schon in den kommenden Monaten deutlich mehr werden und bedeutet eine große Herausforderung, weil es natürlich um Menschen geht, Einzelschicksale, vielleicht auch um Menschen, die seit Jahren hier sind, denen man dann aber sagen muss, du kannst dauerhaft nicht in Deutschland bleiben. Wie sich das entwickelt, kann ich noch nicht abschätzen.

© SZ vom 13.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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