Dachau:Wahre Wertschöpfung

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Der Bildhauer und SZ-Tassilo-Preisträger Nico Kiese befasst sich in der Volksbank Dachau mit den Themen, die auch zentrale ökonomische sind: Individualität, Persönlichkeit, Nachhaltigkeit. Die Ausstellung wird zum Gedankenraum

Von Viktoria Großmann, Dachau

In Bank und Kunst treffen recht verschiedene Wertvorstellungen aufeinander. Die einen stecken im bedruckten Papier, die anderen in einer Idee und ihrer handwerklichen Umsetzung. Das Foyer der Volksbank Dachau macht sich ganz gern zum Kunstraum und stellt sich mit der aktuellen Ausstellung Überlegungen zum Wert der Dinge.

"Material World" heißt die Ausstellung von Nico Kiese, die bis 16. Oktober im Schalterraum der Volksbank Raiffeisenbank in Dachau zu sehen ist. Wem bei dem Titel Madonnas Hit "Material Girl" einfällt, der denkt schon in die richtige Richtung. Hier geht es um Kritik an Materialismus und Kapitalismus, um das Eigenleben der Dinge, um Sehnsucht, Status und Ersatzbefriedigung. Das Lied ist von 1984, Nico Kiese wurde 1983 in Dachau geboren. Seit der Zeit der kessen Kritik im quietschigen Popsong hat die Welt neue Katastrophen erlebt, in die der Kapitalismus führt. Die Bank, als Ort in dem man über Geldanlagen oder zumindest über Kontoauszüge nachdenkt, ist eigentlich genau richtig für eine solche Ausstellung, allerdings lässt das Foyer den Werken wenig Luft zum Atmen. Ein Schild, dass Kunden anhält, aus Gründen der Diskretion Distanz zu wahren, kann hier auch für die Kunstwerke gelten.

Kiese geht sein Thema mal plakativ, mal behutsam an. Ein leichter Gossengeruch geht von dem großen dicken Herz aus alten Zigarettenkippen aus, die er in Kunstharz gegossen hat. Es ist zugleich Ausdruck manifester Sucht, materialisiert aber auch den Wunsch und die Sehnsucht nach einem immer wieder allzu schnell verlöschenden Genuss, der kurze Erholung, Pause, Anregung verspricht. Seine humorvolle Umsetzung findet das Thema im schwarzen Spielautomaten, vor dem man zur Benützung wie in einer Kirchenbank niederknien müsste.

Allein, schutzlos in seinen verrutschten Unterhosen, aber mit einem Malerpinsel bewaffnet, stellt sich der Künstler der Welt und seiner Kreativität. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Neben diesen Hinguckern sind es die nachdenklichen Werke, die einem von dieser Ausstellung im Gedächtnis bleiben. Die Narzissennägel, die in Gehwegenplatten gehauen werden, sind anrührend. Wirkliche Narzissen könnten im Stein nicht wachsen. Bronzene Narzissen zerstören den Stein. Die Materialien schließen sich aus, wie auch manche Wünsche sich widersprechen. Die beiden Installationen mit dem Titel "Frei" wollen berührt und genutzt werden. Der Mensch, als stromleitendes Medium kann mit seinen Fingern einen Stromkreis schließen und hört so über Kopfhörer kapitalismuskritische Texte.

Auch wenn der Raum etwas zu voll gepackt ist - was am Künstler selbst liegt - für den Besucher ist es eine Gelegenheit, die verschiedenen Facetten in Kieses Werk zu sehen, das sichtbar auf dem profunden Bildhauerstudium an der Akademie der Bildenden Künste beruht. Typisch sind jedoch auch seine ruhigen, kleinformatigen Fotografien, in die man sehr lange hinein schauen kann. Einige neue Bilder sind in der Bank das erste Mal öffentlich zu sehen. Sie hätten eigentlich einen eigenen Raum verdient.

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

Nicht selten versonnen und anrührend: Kunst von Nico Kiese.

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

Kieses Werke sind aber auch gerne plakativ - so wie dieses Zigarettenherz.

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

Nico Kiese stellt in diesem Jahr bereits zum sechsten Mal aus.

Überhaupt könnte Kiese mit seinen Werken zwischen tiefer Betrachtung, Versonnenheit und Witz leicht einen viel größeren und leeren Raum füllen. Immer häufiger erhält er Gelegenheit dazu, allein in diesem Jahr stellt er bereits zum sechsten Mal aus. Im vergangenen Jahr war er an der Kunsttriennale im belgischen Tervuren beteiligt und lebte drei Monate als Artist in Residence im slowenischen Ort Slovenj Gradec. Zuletzt hatte er ein Heimspiel im Atelierhaus im Domagkpark in München, in dessen Werkstätten er arbeitet.

Werkstattatmosphäre verbreitet das größte und beeindruckendste Werk der Ausstellung: "mein maybe". Der dunkle, improvisierte Raum ist gefüllt mit scheinbarem Müll, angestaubten Flaschen, Materialresten, zerbrochenen Schablonen, Kopien von Abbildungen von unbezahlbaren Kulturschätzen, der unfertigen Nachbildung eines fein ziselierten Kristallpokals in spröder Spanplatte. Aus dem Schutt erblühen bronzene Blüten, über dem Chaos thront eine puppenkleine Figur, die dem Betrachter den Rücken zuwendet und bei vorsichtigem genaueren Hinsehen als sehr uneitles Selbstporträt des Künstlers zu erkennen ist. Entwertung durch unendliche Verfügbarkeit und massenhafte Vervielfältigung steht hier gegen den Wert des von Hand geschaffenen Einzelstücks. Der Raum vermittelt das Gefühl eines intimen Einblicks in ein Atelier und stellt zugleich die wahre Kraft des Künstlers aus: Es ist ein Blick in sein Ideenzimmer, seinen Gedankenraum. In dem steht der Künstler, schutzlos in seiner verrutschten Unterhose, bewaffnet mit einem Malerpinsel und blickt aus dem Fenster in einen unendlichen, ewigen Himmel - ein Moment der Inspiration.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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