Online-Sucht:Verbieten ist keine Lösung

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"Ich bin ganz sicher, dass Handy-, PC- und Internetnutzung ein Top-Ten-Thema in den Familien im Landkreis ist", sagt Kerstin Hoogmoed. (Foto: oh)

Kerstin Hoogmoed über den Umgang mit Handy und Internet.

interview Von Anna-Sophia Lang

Seit 2010 gibt es die Aktion "Game Over" der Drogenberatungsstelle Drobs. Sie soll Sechstklässler für einen verantwortungsvollen Umgang mit Handy, PC, Internet und Glücksspiel sensibilisieren und Sucht vorbeugen. So auch von diesem Dienstag an bis zum Donnerstag. Mit Kerstin Hoogmoed von Drobs sprach die SZ Dachau über Ursachen, Symptome und Lösungen für die Sucht nach neuen Medien.

SZ: Frau Hoogmoed, muss man in der sechsten Klasse schon über Sucht reden?

Kerstin Hoogmoed: Je früher wir ansetzen, desto effektiver ist die Suchtprävention. Wenn wir uns vorzeitig um einen verantwortungsvollen Umgang mit Handy und Computer bemühen, kommt es später seltener zur Sucht. Es ist auffällig, dass sich die Altersgrenze nach unten verschiebt. Was früher mit 17 stattgefunden hat, passiert heute teilweise schon mit elf.

Gerade bei Internet, Handy und PC?

Ja, diese Suchtbereiche betreffen gerade junge Leute, die dazu neigen, den Bezug zur Realität zu verlieren.

Warum passiert das?

Es gibt nie nur eine Ursache. Aber eine selbstunsichere Person ist zum Beispiel einem größeren Risiko ausgesetzt, in eine Abhängigkeit zu geraten. Das Selbstwertgefühl spielt eine große Rolle. In der virtuellen Welt, sei es Facebook oder Computerspiel, kann man sich eine andere Identität zulegen, mit der man erfolgreich und beliebt ist. Schwierig wird es, wenn jemand merkt, dass er dort erfolgreicher ist als im wahren Leben, also zum Beispiel schlechte Noten hat, aber ganz viele Freunde und Likes für seine Fotos auf Facebook.

Aber dass daraus eine Abhängigkeit entstehen kann, ist vielen nicht bewusst.

Dass man von Drogen und Alkohol abhängig werden kann, wissen die Schüler. Das Krankheitsbild Internetsucht gibt es gar nicht. Dabei ähneln sich die Merkmale.

Zum Beispiel?

Eine einseitige Fokussierung und der Verlust der Kontrolle. Man erkennt eine Sucht auch, wenn Entzugserscheinungen auftreten, weil gerade kein Computer in Reichweite ist oder keine Internetverbindung besteht. Außerdem kommt es nicht nur auf Dauer und Häufigkeit an, sondern darauf, was für Freizeitbeschäftigungen ein Jugendlicher sonst noch hat. Eltern können eine Sucht auch daran erkennen, ob sich die schulischen Leistungen, Schlaf- oder Ernährungsgewohnheiten verändern. Wichtig ist außerdem, sich anzuschauen, wie jemand kommuniziert und seine Gefühle ausdrückt. Spricht er noch direkt oder äußert er sich nur noch per Smiley, also noch in der virtuellen Welt.

Sind Internet-, Handy- oder PC-Sucht bei Jugendlichen im Landkreis ein großes Problem?

Es kommen immer wieder Eltern mit ihren Kindern zu uns, denen sie den PC oder das Handy weggenommen haben - und dann ist Land unter. Die Eltern sind ohnmächtig: Sie kennen sich nicht gut aus und die Kinder entgleiten ihnen, weil sie keinen Einblick in die Sache haben, nicht wissen, was und wie lang konsumiert wird.

Muss man also den Jugendlichen PC und Handy wegnehmen?

Nein, dann kommen oft Wut und Aggressionen hoch. Verbieten ist nicht die Lösung.

Was können Eltern dann tun?

Gemeinsam mit ihren Kindern einen Weg finden. Vor- und Nachteile diskutieren, Regeln entwickeln, Nutzungszeiten absprechen und alternative Beschäftigungen anbieten. Außerdem müssen sie die eigene Nutzung kontrollieren. Wer immer selbst am Handy hängt, ist kein gutes Vorbild.

© SZ vom 14.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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