Kerzen, Transparente und eine stille Menschenmenge in der Dachauer Altstadt: Mehr als 300 Menschen hielten am Mittwochabend eine Mahnwache vor dem Ludwig-Thoma-Haus, in dem die AfD eine Veranstaltung abhielt. Angekündigt war eine Lesung mit dem in Deutschland lebenden ägyptischen Buchautor Hamed Abdel-Samad, der in seinen Büchern wie "Mohamed - Eine Abrechnung" islamkritische Thesen vertritt.
Es ist ein zwiespältiges Bild, das sich an diesem Abend bietet. Es ist zum einen vielleicht typisch für Dachau, zum anderen wohl nicht untypisch für ganz Deutschland in diesen Wochen. Es geht um Sorge. Wo sich die einen angeblich um ihr Land sorgen, macht den anderen genau das Sorge, und dann erscheint als dritter jener Politologe und sorgt sich um die Meinungsfreiheit. Denn Abdel-Samad entscheidet spontan, sein Buch zur Seite zu legen und stattdessen einen Vortrag zu halten. Er ist nicht freundlich empfangen worden. Abdel-Samad wird stets von Personenschützern begleitet, er wird wegen seiner Bücher mit dem Tode bedroht. Trotzdem will Abdel-Samad nicht durch den Hintereingang gehen. Er will mit den Demonstranten reden. Doch er wird empfangen von einem mehrstimmigen: "Hau ab!" Andere rufen gar "Faschist", zeigen ihm den Mittelfinger. Die Wachleute bahnen etwas unsanft einen Weg und bringen den Autor ins Haus.
"Das ist heute die traurigste Lesung, die ich je in diesem Land hatte", beginnt Abdel-Samad. Er zeigt sich erschüttert, aber auch erschöpft. Er hat einen Lese-Marathon hinter sich und nicht zuletzt bereits einige Veranstaltungen auf Einladung der AfD. Die Mehrheit der Demonstranten hat jedoch ruhig eine Stunde in der Kälte gestanden, Kerzen gehalten und sich unaufgeregt miteinander unterhalten. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass viele da hinein gehen", sagt ein Jugendlicher. "Gerade in Dachau nicht." Dieser Gedanke treibt einige an, gerade in Dachau soll kein Platz sein für rechte Parolen und Ausländerfeindlichkeit. Was sie von der Verbindung Abdel-Samads zur AfD halten sollen, wissen viele nicht so recht. Ein 62-jähriger Dachauer befürchtet, der Autor verbreite Panik und werde Unfrieden stiften. Draußen stehen etwa dreimal so viele Leute, wie später drinnen Platz nehmen. Auch das sind längst nicht alles AfD-Wähler oder -Mitglieder. Zusammengerufen hat die Demonstranten der Runde Tisch gegen Rassismus. Der Protest der meisten richtet sich gegen die rechtspopulistischen Parolen der AfD. Dachauer jeglichen Alters sind dem Aufruf gefolgt, viele Jugendliche, einige Grüne und SPD-Stadträte, Bürgermeister Kai Kühnel (Bündnis), ein paar Hebertshausener, darunter Bürgermeister Richard Reischl (CSU). Nicht zuletzt der Auftritt des Fraktionsvorsitzenden der AfD im Thüringer Landtag, Björn Höcke, bei Günter Jauch vor zwei Wochen hat ihn aufgebracht. Abdel-Samad wird später den Äußerungen Höckes entgegen treten und sie als "gefährlich" bezeichnen.
Hamed Abdel-Samad glaubt an die Macht des Wortes, so sagt er. Deshalb will er auch mit denen reden, die ganz anderer Ansicht sind. "Wenn wir uns gegenseitig ernst nehmen, können wir vielleicht etwas ändern", sagt er. "Isolation ist niemals die Lösung." Abdel-Samad spricht ruhig und frei, ohne Parolen, ohne die Stimme zu erheben. Um Zuspitzungen ist er dennoch nicht verlegen. Es herrsche ein "geistiger Bürgerkrieg" mit Scharfmachern "auf beiden Seiten". "Politik zu machen auf dem Rücken von Menschen, die sich nicht wehren können, ist unanständig." Auch diese Botschaft richtet er an alle politischen Lager. Menschen dürften nicht als Gruppe diffamiert und beschimpft werden.
Applaus bekommt Abdel-Samad immer wieder vor allem von einer Gruppe junger Linker. Er werde niemals Mitglied der AfD werden, sagt er. Aber er lasse sich von niemandem vorschreiben, wo er aufzutreten habe. Er lässt sich nicht vereinnahmen, von keinem, das ist die Botschaft, die der Autor über sich selbst sendet. Mit Sorge hat die Veranstaltung begonnen, mit dem Thema Angst endet sie: Es gebe zwei Sorten davon, antwortet Abdel-Samad auf eine Frage. Die lähmende und die animierende. Zu Stillstand und Gewalt könne Angst führen, im besten Falle aber dazu, Verantwortung zu übernehmen. Verharmlosende Durchhalteparolen sind dabei aus seiner Sicht so gefährlich wie Hetze und Aufstachelung. "Wenn ich wahrnehme, dass ich es mit Menschen zu tun habe, brauche ich keine Angst zu haben."