Dachau:Sternstunde im Gramsci

Lesezeit: 2 min

Klemens Lendl und David Müller sind die Strottern. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Strottern aus Wien begeistern mit ihrem zeitgemäßen Schmäh

Von Niels P. Jørgensen, Dachau

Sie kommen von dort, wo man das Wienerschnitzel inhaliert. Und sie singen Lieder aus einer Zeit als "Schauspieler noch an Anstand ghabt" haben. Und wäre Hans Moser selig plötzlich ins Café Gramsci spaziert, hätte es wohl am meisten ihn selbst gewundert. Denn wenn die Musik auch vertraut nach Heurigem und Wiener Schwermut geklungen haben mag - es war doch ein recht subversiver Abend mit den Strottern im Gramsci.

Der Name "Strottern" ist ein wienerischer Ausdruck für Gauner, Landstreicher und "die, die nach etwas Verwertbarem suchen". Sänger und Violinist Klemens Lendl und Gitarrist David Müller sehen in ihren grauen Anzügen eher nicht wie Strauchdiebe aus, sie kommen leise und scheinbar harmlos daher, aber hinter der melancholischen Fassade verstecken sich beißend scharfer Witz und zwei virtuose Instrumentalisten, die nur mit der Kraft ihrer, dank der kleinen Bühne unverstärkten Stimmen, einen Wiener Liederabend der besonderen Art präsentieren.

"Jeder Mensch macht dasselbe, nur halt auf sei Art", lautet ihr Motto, und so reicht ihr Repertoire vom traditionellen Liedgut über den Free-Jazz-Landler bis zur schräg zelebrierten Gospelmesse, bei der das Publikum begeistert einsteigt und mitsingt: "Spread your wings and fly." Ihr Programm moderieren sie mit wahrhaft komödiantischem Talent, und an diesem Abend tun sie das auch noch - als Hommage an die kanadischen Gäste Christina Martin und Dale Murray im Publikum - in amüsant improvisiertem Englisch: "The next song is a typical viennese love song, which means it has a bad ending." Das Publikum lacht Tränen.

"Was hätt ois werdn kenna aus mir", fragen sich die Musiker in einem anderen Lied, "aber die Mama war ned dafür." Glücklicherweise ist nichts anderes aus ihnen geworden, denn dieses Musikerduo braucht nichts zu fürchten, nicht einmal die fatalen Folgen österreichischer Abrüstungspolitik: "Unsere militärische Kernkompetenz ist verloren, die Hälfte aller Militärkapellen hams ersatzlos gestrichen!" Aber auch gegen ihre schlimmsten Albträume haben die Strottern eine Lösung: "Lasst die Russen ruhig einmarschieren, wir werden sie schon demoralisieren!"

Es gibt manchmal diese Sternstunde, den seltenen Moment in dem einfach alles passt. Beim Auftritt der Strottern im Café Gramsci konnte man so einen Augenblick erleben, in dem die intime Atmosphäre des kleinen Lokales samtigen Glanz annahm und nach dem weder Publikum noch Musiker nach Hause gehen wollten, oder wie die Strottern sagen würden: "Stell Dir fur, es passt ois, die ganze Wöld hoid still."

© SZ vom 23.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: