Aufführung:"Slow down, sei peaceful, schenk mit Liebe!"

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Der Ratgeber "Weihnachten compact 3.0" des ehemaligen Dachauer Kulturreferenten Dominik Härtl und der Band "Trio Glatteis"

Von Petra Neumaier, Dachau

Eigentlich muss man sich ja schon ernsthaft fragen, warum man sich jedes Jahr Weihnachten antut: Eine bitterböse und doch liebevolle Abrechnung mit Kommerz, Tand und Traditionen lieferte am Wochenende "Weihnachten compact 3.0" in der Dachauer Kulturschranne. Drei Stunden unterhielt Dominik Härtl, begleitet vom Trio Glatteis, das Publikum so kurzweilig und amüsant, dass zum Schluss die Frage nur so beantwortet werden konnte: Weil wir Weihnachten mit all seinen Macken einfach lieben.

Das "Trio Glatteis", hier im Bild Sängerin Petra Leu, unterstützt Dominik Härtl bei "Weihnachten compact 3.0". (Foto: Toni Heigl)

Es kam fast einer Belagerung gleich: Schon eine knappe Stunde vor dem eigentlich Einlass stellten sich die ersten Gäste vor den Saal, um auch ja die besten Plätze in den vordersten Reihen zu ergattern. Außerdem war die Neugierde groß. Drei Jahre war der letzte Auftritt der Vier her, da durfte man doch Einiges erwarten. Und tatsächlich wurde niemand enttäuscht. 2012 waren Dominik Härtl, ehemals Kulturreferent der Stadt, zusammen mit dem "Urgestein der Dachauer Musikszene", dem Trio Glatteis - (Petra Leu (Gesang), Aron Altmann (Bass) und Stephan Auer (Akkordeon, Klavier) - gemeinsam aufgetreten. Nur so zum Spaß, aber so erfolgreich, dass sie gleich mehrere Aufführungen einschieben mussten. Auch die zweite Auflage im darauffolgenden Jahr war sofort ausverkauft. Trotzdem wurde erst einmal pausiert, der Event aber nicht vom Publikum vergessen. "Die Leute haben regelrecht um eine Fortsetzung gebettelt", erzählt der Veranstalter. Und noch bevor der neue Flyer überhaupt erschien, waren die ersten beiden Termine ausverkauft und ein dritter wurde eingeschoben. Dass die musikalischen Einlagen des Trios zu einem Großteil die gleichen wie bei den vergangenen Programmen waren. Wen interessierte das bei den hervorragenden und abwechslungsreichen Vorträgen amerikanischer Weihnachtslieder, die Petra Leu mit kräftiger Stimme neu interpretierte? Schließlich passt es hervorragend zum Fest der Feste, dass sich Bewährtes wiederholt.

Wolfgang Petri (Dominik Härtl) protestiert in der Dachauer Kulturschranne per Megafon gegen die Weihnachtsgeschichte und die drei Ausländer, die in ihr vorkommen. (Foto: Toni Heigl)

Ganz neue Beiträge - bis auf den einen oder anderen Klassiker - brachte Sprecher, Vorleser und Erzähler Dominik Härtl auf die Bühne. Selbstverfasstes und bereits von bekannten Autoren Geschriebenes, das er hier und da allenfalls ergänzte. Im Ohrensessel sitzend, die Füße gemütlich auf dem Plüsch-Elch-Vorleger platziert, begann er den Reigen an Gedichten und Geschichten gleich mit dem gereimten Verkehrstod von Christkind, Weihnachtsmann und Nikolaus, die allesamt an seinem Auto ihr Leben und lediglich drei Dellen zurück ließen.

Auch Bassist Aron Altmann trägt zur heiteren Stimmung in der Kulturschranne bei. (Foto: Toni Heigl)

Weniger morbid das stets wiederkehrende winterliche Dilemma mit der S-Bahn: Denn sobald eine Schneeflocke fällt, frieren die Weichen zu "und müssen mit der Wärme des Mittelstrahls handverlesener Bahnwärter erst wieder aufgetaut werden - so lange dauert es zumindest, bis der Bahnverkehr wieder läuft". Noch mehr Lacher erntete Dominik Härtl als "De lustige Jupp", dem Köllner Jecken, der zwar Nikolaus und Co. mit einem "Helau" (Mainz) statt Alaaf begrüßte, was das überwiegend nicht-kölsche Publikum nicht monierte. Zu herrlich trug Härtl das Gedicht vom Vater vor, der das vergessene Lametta durch getrocknetes, silberangemaltes Sauerkraut ersetzt - um es an Silvester mit Hilfe von Terpentin wieder in ein Nahrungsmittel zu verwandeln. Herrlich auch das "geschickte" Weihnachtsbaumschmücken des Vaters ("reine Männersache") und die Rede des Vorsitzenden der "Adventskerzenanzünderpartei für Deutschland". Als Wolfgang Petri erklärt der "Vorsitzende" durch das Megafon die Weihnachtsgeschichte als "mit der deutschen Kultur nicht vereinbar", weil drei Ausländer drin vorkommen, die keiner als Nachbar haben wolle, "schon gar nicht den Schwarzen."

Aus seiner eigenen Feder stammt auch die Astro TV-Show. Mit blonder Lockenpracht als Dominique versuchte Härtl zusammen mit Jaqueline (Stephan Auer), magische Wunscherfüllungsspiegel, einen energiegeladenen und geweihten "Love-Cookie-Cutter" und das alle neuralen Chakren ansprechende "Licht von Bethlehem" an das esoterische Publikum zu verkaufen. Im Leopardensakko gekleidet gab Härtl später auch als Motivationstrainer aus den USA drei Tipps, Christmas zu überstehen: "slow down" (an der Kasse mit Kleingeld zahlen oder vor der Rolltreppe einfach mal verharren); "peaceful mit sich sein" und jeden Tag drei motivierende Sätze sprechen, wie: "Auch wenn die Plätzchen verbrannt sind, bin ich ein wertvoller Mensch" und "mit Liebe schenken": Zum Beispiel den Bildband der schönsten Seniorenheime für die Oma.

Auf Weihnachtsmärkte mit ihrer "Lamettabeschallung" und ihren Pseudowohltätigkeitsaktionen (Ponyreiten für Obdachlose und Wäscheklammern aus der Strafanstalt) sowie den Glühwein hatte es Härtl besonders abgesehen. Die "Giftbrühe", der "Pinselreiniger mit Schuss" und das "Pestilenzgesöff" hätten alleine den Vorteil, dass "wer das Zeug überlebt, keine Angst vor BSE oder Vogelgrippe haben muss."

Weihnachten compact 3.0 wird noch einmal am Freitag, 23. Dezember, 20 Uhr, in der Dachauer Kulturschranne aufgeführt.

© SZ vom 19.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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