Kritik:"Schließe, mein Herze, dies selige Wunder"

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Die Alt-Arie in Bachs Weihnachtskonzert ist der traumhaft schöne Höhepunkt des Konzerts mit Jutta Neumann und dem Dachauer Kammerchor. Ihnen gelingt eine unprätentiöse, aber gerade deswegen beeindruckende Aufführung

Von Adolf Karl Gottwald, Dachau

Das Weihnachtsoratorium - natürlich das von Johann Sebastian Bach - gehört heute so selbstverständlich zu Weihnachten wie früher das Lied "Stille Nacht, heilige Nacht" und in der katholischen Christmette die Kempter-Messe. Für Dachau liegt Bachs Weihnachtsoratorium fest in den Händen der Dachauer Kirchenmusiker Rainer Dietz (Mariä Himmelfahrt) und Christiane Höft (Friedenskirche), die für repräsentative Aufführungen des Werks in der Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt zusammenwirken. Die Säulen sind dabei der von Rainer Dietz geleitete Dachauer Kammerchor und das Münchner Ensemble Lodron. Die Dirigentin ist jeweils Christiane Höft.

Heuer gab es das "eigentliche" Weihnachtsoratorium, nämlich die drei für die Weihnachtsfeiertage bestimmten Kantaten, und nicht die für die Sonn- und Feiertage von Neujahr bis Dreikönig bestimmten des zweiten Teils. Ursprünglich wurde, wie damals im evangelischen Gottesdienst üblich, an jedem Festtag eine Kantate gesungen, die Zusammenstellung der sechs beliebtesten Kantaten für diese Zeit - es gibt noch weitere Weihnachtskantaten aus Bachs Feder - entstand erst nachträglich. Das traditionelle Konzert in der Kirche Mariä Himmelfahrt ist offenbar stark am liturgischen Ausgangspunkt der Kantaten orientiert, also an ihrer Bindung an den evangelischen Gottesdienst. Diese Auffassung hat wenig von einem Konzert, das auf öffentliche Darstellung und bemerkenswerte Interpretation abzielt, sie ist eher unprätentiös. Natürlich geben alle beteiligten Ensembles und Solisten ihr Bestes, doch sie zeigen deutlich, dass sie es beim Singen und Musizieren nicht auf den äußeren Glanz absehen.

Glänzende Solisten beim Weihnachtskonzert des Kammerchors: Bernhard Schneider (Tenor) und Jutta Neumann (Alt). (Foto: Toni Heigl)

Christiane Höft steht als Dirigentin vor Chor und Orchester, gibt Einsätze - mehr mit Blicken als mit Gesten - und begleitet das Singen und Musizieren mit sehr zurückhaltenden Handbewegungen. Das wirkt sympathisch und dem Werk angemessen - jedenfalls weit besser als das Herumfuchteln eines Dirigenten, der nicht Bachs Musik, sondern eher sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Christiane Höft ist die Ruhe selbst. Johann Sebastian Bach ist, wie bekannt, ein ausgezeichneter Komponist; aber er kann komponieren, was er will, Christiane Höft bringt er nicht aus der Ruhe.

Die Aufführung hatte vorzügliche Vokalsolisten: Monika Klamm (Sopran), Jutta Neumann (Alt), Bernhard Schneider (Tenor) und Florian Dengler (Bass). Genau so herausragend waren die Instrumentalsolisten für die obligaten Instrumentalstimmen zum Gesang, wie Alexandra Muhr (Flöte) und Ulrich König (Violine). Es sind lauter Künstler, denen man bei ihrem kammermusikalischen Musizieren nichts vordirigieren muss.

Die schönste Stelle des ganzen Abends war die traumhaften Alt-Arie "Schließe, mein Herze, dies selige Wunder . . . " mit obligater Violine, bei der Christiane Höft nur zuhörte. Problematisch wirkt sich diese Haltung aber bei den Da-capo-Arien aus, die sich damit unendlich in die Länge ziehen. "Jetzt hammas!", denkt man sich pro Arie gleich zwei- bis drei Mal, und muss dann doch feststellen, dass Text mit Musik nochmals auf ein Neues wiederholt werden.

Christiane Höft dirigiert den Kammerchor und das Ensemble Lodron aus München in Mariä Himmelfahrt. (Foto: Toni Heigl)

Der Dachauer Kammerchor fügte sich in die insgesamt eher nach innen als nach außen gerichtete Haltung dieser Aufführung willig ein, sang die Choräle ohne die heute überwundenen Manierismen, die sich im Zuge eines falsch verstandenen historisierenden Musizierens eingeschlichen hatten, und die großen Chöre sauber und klangschön, wie erwartet. Als aber ganz zuletzt der Eingangschor der dritten Kantate "Herrscher des Himmels, erhöre das Lallen, lass' dir die matten Gesänge gefallen" zu wiederholen war, wollte er wohl nicht mit matten Gesängen schließen, zog im Tempo etwas an und gewann eine dankbar angenommene Frische.

Die Freunde weihnachtlicher Musik in der voll besetzten Kirche Mariä Himmelfahrt hatten schließlich ein besinnliches Weihnachtsoratorium und auch ohne das weltberühmte Lied von Joseph Mohr und Franz Gruber eine "Stille Nacht, heilige Nacht".

© SZ vom 02.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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