Dachau:"Nehmen Sie Geschichte ernst"

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Jürgen Zarusky sieht die wachsenden rechten Bewegungen mit großer Sorge: "Wer von Rechtsextremisten Gutes erwartet, folgt einem falschen Traum." (Foto: Niels P. Jørgensen)

Jürgen Zarusky stellt sich am ITG den Fragen zur Ausstellung "Die Sechs vom Rathausplatz"

Von Johannes Korsche, Dachau

Es ist 11.30 Uhr, die zweite Pause im Ignaz-Taschner-Gymnasiums (ITG). Schüler schlendern durch die Aula oder sitzen auf dem Boden, Fünftklässler spielen Fangen. Es ist voll und laut. In dem Durcheinander bleiben immer wieder kleinere Grüppchen vor den Stellwänden stehen, die derzeit in der Aula aufgestellt sind. Sie deuten auf Textpassagen, umrunden die kleine Ausstellung und diskutieren über die "Sechs vom Rathausplatz". Sie reden über die Dachauer, die am 28. April 1945 für ihren Widerstand von SS-Soldaten hingerichtet wurden, nur einen Tag bevor amerikanische Truppen Dachau befreiten. Am Mittwochvormittag war Jürgen Zarusky, Historiker am Institut für Zeitgeschichte in München, im ITG zu Gast. Er beantwortete den in etwa 160 Schülern in der vollbesetzten Mensa des ITG Fragen zu der Zeit des Nationalsozialismus, dem Dachauer Aufstand und zur Ausstellung.

Gemeinsam mit Angelika Neumayer, Fachbetreuerin für Geschichte am ITG, hatten die elften Klassen vorher 30 Fragen an Zarusky geschickt. Ein Thema war der "Dachauer Aufstand" vom 28. April 1945. Damals besetzten die sechs Männer in Erwartung der amerikanischen Truppen das Dachauer Rathaus, weil sie "sinnloses Blutvergießen und Zerstörung von NS-Fanatikern" in den letzten Kriegsstunden verhindern wollten, wie Zarusky sagte. Er betonte das Einzigartige am Dachauer Aufstand: Bürger und KZ-Häftlinge arbeiteten zusammen. Die amerikanischen Truppen kamen für die sechs Dachauer aber zu spät. SS-Soldaten schlugen den Aufstand nieder, das Todesurteil für die Beteiligten: "Es war zu früh, das ist das Tragische an dem Aufstand." Außerdem starben ein unbeteiligter Zivilist und ein SS-Mann.

Die Schüler hatten aber auch "Grundsatzfragen" vorbereitet, die ihren "breiten Horizont" gezeigt und Zarusky "beeindruckt" hätten: Konnte man aus der Hitlerjugend austreten? Von 1934 an nicht mehr. Welche Rolle spielten die Frauen in der SS? Sie sollten vor allem die zukünftigen Vertreter der "Herrenrasse" gebären. Wurde Hitlers "Mein Kampf" von den Menschen überhaupt ernst genommen? Die Menschen wählten Hitler nicht "aus Versehen". Ist die Aufarbeitung der Verbrechen erfolgreich gewesen? Die Aufarbeitung solch schlimmer Verbrechen ist nie "erfolgreich" abgeschlossen. Immer wieder streute der Historiker Anekdoten in seine Antworten ein. Als es um das Wesen des politischen Widerstandes ging, berichtete Zarusky von den Bestrebungen des Regimes 1941 alle christlichen Kreuze in Klassenzimmern zu verbieten. Schnell regte sich deswegen Unmut in der Bevölkerung. Die Kreuze blieben letztlich hängen, neben einem Foto von Adolf Hitler. Für Zarusky ist das allerdings noch kein Widerstand, da der immer die politische "Machtfrage" stellt: "Widerstand wäre gewesen, das Foto von Adolf Hitler abzuhängen, nicht die Kreuze hängen zu lassen."

Auch aktuelle Themen beschäftigten die Elftklässler. Wie sieht Zarusky die wachsenden rechten Bewegungen in ganz Europa? "Mit großer Sorge. Wer von Rechtsextremisten Gutes erwartet, der folgt einem falschen Traum."

Am Ende der Veranstaltung gab der Historiker den Schülern noch einen Ratschlag mit auf den Weg: "Schauen Sie auf die Politik und nehmen Sie die Geschichte ernst." Besonders wichtig ist ihm dabei ein "lebendiger Diskurs" über die Zeit des Nationalsozialismus.

© SZ vom 19.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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