Dachau:Nah an der Natur

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Ingeborg Hamzehi und ihre Biopoly-Gruppe sind überzeugt, dass die Umwelt im künstlerischen Prozess besser verstanden werden kann. Die Ausstellung mit Arbeiten von 108 Kindern im Wasserturm ist ein Beleg für ihre Ansicht

Von Johannes Korsche, Dachau

Der siebenjährigen Magdalena "gefällt das total - viel besser als Schule." Zuerst hat sie gemeinsam mit ihren 46 Mitschülern auf einem ausgedehnten Spaziergang entlang der Amper nach Blumen, Blättern und Schnecken gesucht. Als sie wieder zum Wasserturm zurückkommt, ist ihr klar, dass sie in ihrem Kunstwerk eine Schnecke zeigen will - in Blau, Rot und Grün. Erst ritzt sie mit einer Nadel die Silhouette in die Druckplatte, dann gestaltet sie die Platte farbig.

"Hier will ich noch das Blau haben", sagt sie zu Alfred Ullrich, der die Farbe wie angewiesen aufträgt. "Heute sind die Kinder die Künstler, ich färbe auf deren Wunsch nur die Stellen ein", sagt der Dachauer Künstler. Die bearbeitete Platte wird in die Druckvorrichtung gelegt, mit einem angefeuchteten Büttenpapier und einer Lage Filz bedeckt. Die Farbe wird mit einer Walze auf das Papier übertragen. Sichtlich zufrieden und stolz begutachtet Magdalena mit ihrer Freundin Celina ihre erste Kaltnadelradierung.

Die Kinder toben sich im Wasserturm beim Malen, Drucken und Basteln aus. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Diesen Erfolg hat ihr das Ars-Natura-Projekt des Umweltbildungsprogramms Biopoly ermöglicht, an dem sich insgesamt 108 Schülerinnen und Schüler von mehreren Dachauer Schulen beteiligt haben. In Kooperation mit der Volkshochschule Dachau und dem Förderverein Wasserturm erleben Kinder und Jugendliche von sechs bis 14 Jahren gemeinsam die Natur und schaffen aus den Eindrücken Kunstwerke.

Ingeborg Hamzehi hat die Organisation Biopoly 1994 gegründet und will erreichen, dass Kinder die Natur besser verstehen lernen, indem sie sich ihr auch künstlerisch nähern. Ihr Ziel ist es, dass die Kinder mit der Natur positive Erlebnisse verbinden und deswegen auf sie achten.

Von der Gruppe am Mittwochvormittag ist sie ganz begeistert: "Kinder sind ohnehin schon Künstler, sie bekommen keine Vorgaben von uns. Wir sind nur da, um ihr Potenzial zu stärken." Mit dem Fürwort "wir" meint sie neben sich selbst und Alfred Ullrich Malerin Mette Therbild, Kunsterzieherin an der Bavarian International School in Haimhausen, Bildhauer Michael Nauderer und Kunsttherapeutin Sina Weber. Außerdem betreut Laborantin Beate Maatsch eine Mikroskopierwerkstatt im Wasserturm.

Die Dachauer Schüler lernen bei Ingeborg Hamzehi (unten links), die Natur mit den Augen eines Künstlers zu sehen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Magdalenas Freunde sind beim Malen. Sie gestalten Blumenmotive mit Acrylfarben. "Das ist ja superschön geworden", lobt Mette Therbild die kleine Lisa für ihre orange-rote Blüte. Die Umrisse hat sie mit schwarzen Strichen betont, man könnte sich an Max Beckmanns Gemälde erinnert fühlen. Therbild ist beeindruckt: "Das ist das Tolle an den Kindern, sie haben Freude daran, einfach mal etwas auszuprobieren." Bildhauer Nauderer hat einen Hänger Kies und Steine für die Gruppe mitgebracht. Die Schüler sollen Skulpturen schaffen, indem sie Materialien auswählen und miteinander kombinieren. "Wichtig ist mir, dass die Steine selbständig nach Form und Farbe ausgewählt werden." Das ist bereits die erste künstlerische Entscheidung. Mit den ausgewählten Steinen im Gepäck gehen Shqipron und Andreas zu ihren Tischen. Dort arrangieren sie ihr Material auf einer Leinwand, bevor Nauderer die Steine mit Heißkleber befestigt. "Das kann man sich ein bisschen vorstellen wie mit Lego spielen. Nur noch individueller, weil es nicht die immer gleiche Lego-Form ist, sondern jeder Stein unterschiedlich ist." Shqipron hat sich dafür entschieden eine Schnecke abzubilden, Andreas einen "Riesenmenschen".

Im zweiten Stock des Wasserturms hat Beate Maatsch ihre Mikroskopierwerkstatt eingerichtet. Blickt man durchs Fenster, schaut man weit in das Dachauer Land, doch der Blick der Vorschulgruppe richtet sich durch das Mikroskop auf das Kleinste. Sie betrachten Wasserflöhe und Brennnesseln. Die Kinder lassen beim Mikroskopieren ihrer Phantasie freien Lauf: "Schau mal ein Monster", das hat Maatsch schon oft gehört, wenn sie die Wasserflöhe aufs Mikroskop gelegt hat. Aus den Beobachtungen entstehen nebenan bei Sina Weber Acrylbilder.

Affenstark: Die Kinder können in der Biopoly-Gruppe die unterschiedlichsten Projekte verfolgen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

"Unglaublich, das war heute eine regelrechte Kunsteruption", sagt Hamzehi beim Anblick der Blumenbilder, die zum Trocknen an den Wasserturm gelehnt sind. Neben Gemälden und Skulpturen der Biopoly-Kunstwerkstatt, einem ständigen Workshop für Erwachsene, werden die Werke der kleinen Künstler im Wasserturm ausgestellt. Nach und nach füllt sich sogar das Treppenhaus mit Kunst. "Am Ende werden es ein paar Hundert Werke sein", freut sich Ingeborg Hamzehi.

Am Sonntag, 21. Juni, von 13 bis 17 Uhr, findet die Finissage im Dachauer Wasserturm statt. Wie die Kinder zuvor, dürfen alle Besucher als Künstler tätig werden. Magdalena und ihre Freunde dürfen ihre Werke mit nach Hause nehmen.

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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