Dachau:Kontraste

Lesezeit: 4 min

Die Künstler in der Kleinen Moosschwaige öffnen am Wochenende ihre Ateliers. Sie zeigen Skulpturen, Gemälde und Zeichnungen, die durch Gestalt und Farbe begeistern

Von Bärbel Schäfer, Dachau

Seit 50 Jahren lebt der Maler, Bildhauer, Zeichner und Grafiker Gebhard Schmidl in Dachau. 1980 bezog er das Atelier in der Kleinen Moosschwaige und gibt seitdem der figürlichen Malerei und Bildhauerei in Dachau ein unverkennbares und starkes Gesicht. Vor Kurzem feierte er seinen 84. Geburtstag. Allein schon deshalb hat die Atelierausstellung - die einzige im Jahr - einen besonderen Stellenwert. Auch ist sie ein schöner Anlass, um frühe, in Dachau entstandene Arbeiten zu präsentieren. Schmidls Frau Ingrid wünschte sich diese Retrospektive. Aus seinem reichen, überbordenden Fundus an Gemälden, Lithografien und Skulpturen könnte er allerdings für jede Dekade eine umfassende Ausstellung zusammenstellen.

Die Grafikschränke sind voll mit Preziosen an Lithografien in kleinen Auflagen und wunderbaren Zeichnungen. Gemälde stapeln sich an den Wänden. Dieses Jahr sind die Sechziger Jahre der Fixpunkt. Dazu gehört das Porträt einer Sitzenden in reduzierten, summarisch gebundenen Formen und mit offener Kontur. Auffallend sind der Helldunkelkontrast und die Abstufung der Tonwerte. Das weiße Kleid steht in einem starken Kontrast zum dunklen Teint des amerikanischen Mannequins und zum graublauen Hintergrund. Das weichgemalte Bild ist im Zusammenspiel mit einer grauen Landschaft, die an die rhythmisierten Landschaften Adolf Hölzels erinnert, ein spannender Gegenpol zu späteren Arbeiten: Stillleben und Landschaften aus den Achtziger und Neunziger Jahren. Sie zeigen eine wesentlich sachlichere Handschrift und die leidenschaftliche Hinwendung zur Farbe. Aus der Anfangszeit im Dachauer Atelier stammt ein Wolkenbild in Pastellkreide, das die kühle Stimmung der späten Bilder vorwegnimmt. Neben Plastiken aus verschiedenen Schaffensperioden sind auch die letzten bildhauerischen Arbeiten Schmidls zu sehen. Ein Relief in Holz aus dem vergangenen Jahr und eine schlanke, maskenartige Steinskulptur, die er vor zwei Jahren im Garten der Moosschwaige schuf.

Der Ampermaler Thomas Vesely liebt seinen Fluss seit fast 40 Jahren. Immer wieder entdeckt er neue Ausdrucksmöglichkeiten, hält die Veränderungen der Flusslandschaft zu den wechselnden Jahreszeiten in kraftvoller, leuchtender Farbigkeit fest. "Der Herbst ist meine Jahreszeit, er ist die Wiedergeburt", schwärmt er. Wenn das Laub sich in Rot- und Goldtönen färbt und das Spiel der Wolken im Wasser zauberhafte Reflexe erzeugt. Dann geht er zum Steg in der Nähe der Gaststätte "Alte Liebe", wo er unbeobachtet ist, und saugt immer wieder dasselbe Motiv auf. Jedes Jahr entstehen von dort im Atelier nicht Freilichtbilder, sondern architektonisch gebaute Landschaften; Naturräume, die von einer tiefen Verinnerlichung des Motivs und seiner malerischen Umsetzung zeugen. 1978 floh Thomas Vesely vor dem kommunistischen Regime in der CSSR. Seitdem malt er die Amper in edelsteinartiger, kraftvoller Farbigkeit und voll mystischer Sehnsucht in Erinnerung an die Thaya in seiner alten Heimat Südmähren.

Ein neues Bild bricht mit dem allgegenwärtigen Motiv des dichten Auwaldes, der die Ufer säumt. Vier Enten auf die Leinwand gestreut, schwebende abstrahierte Figuren auf einer weißen Fläche. Ein gleißendes Weiß, wie es das Wasser annimmt, wenn die Sonnenstrahlen als Streiflicht darauf fallen. Thomas Vesely wendet sich von dem sonst bevorzugten Panorama hin zu einer wunderbaren Detailbetrachtung. Er reduziert die Wasservögel auf Chiffren wie in einer japanischen Kalligrafie und fügt seiner Kunst durch die Reduzierung einen neuen überraschenden Aspekt hinzu. Für ihn hat dieses neue Bild die Bedeutung einer Zen-Kunst. "Im Weiß ist die Endlichkeit", sagt er. Himmel und Wasser, nichts als Materie. "Das ist die Antwort, wenn man sich mit Kunst befasst."

Von der "Konsistenz des Bildes" spricht auch die Malerin gigi und zeigt ihre Malerpaletten. Glasscherben zum Mischen der Farbe mit dem Pinsel, die auf die Rückseite gedreht eine verblüffende Ästhetik aufweisen. Abstrakte Farbspiele, spontan und aus dem Zufall heraus entstanden, wie alle Bilder von gigi. "Farben sind meine Berufung", so die Künstlerin, die eines ihrer frühen Bilder für die Atelierausstellung hervor geholt hat. Dessen Entstehungsprozess war ebenfalls vom Zufall bestimmt. Aus einem Farbklecks, 1972 auf einer Reise nach Tunesien entstanden, schält sich, mit wenigen gezielten Strichen der Künstlerin hervorgeholt, das knollennasige Gesicht einer alten Frau. "Ich konnte das Blatt nicht wegwerfen", sagt gigi. In der Rückschau hat es für sie eine besondere Bedeutung. In dem Blatt kumuliert ihre Philosophie als Malerin: "In mich wurde hineingeboren, dass ich aus Nichts etwas mache." So ist auch das Motiv für die Einladungskarte entstanden: pinkfarbene, mit raschem Pinsel hingeworfene Spuren, die sich vor einem angedeuteten Frauengesicht verlieren. Die aus dem Rheinland stammende Künstlerin lebt seit 1972 in Dachau. Sie entwickelt ihre Bilder allein aus der Farbe, die sie mit einer ungebremsten Spontaneität einsetzt. "Ich haue die Farbe raus", so gigi. Aus den Glasscherben entstand die Serie "Fragmente", die sonnigen "Wurzelbilder" weisen auf ihre Arbeit mit Schulklassen hin. Das Bild "Tag X mit Traumgepäck" von 2014 zeigt die in künstlerischer Freiheit dargestellte nächtliche Silhouette Dachaus vor dem Schatten von gigis verstorbenem Hund. Aufgehängt an Ösen und Fäden wird er zum Traumbild. Ein Stern und ein kleiner Engel beweisen es.

Große Charakterköpfe und kleine Petitessen präsentiert Florian Marschall, mit der Tuschfeder gezeichnet aus Tausenden übereinandergelegten Strichen. Aus einer Reihe von Porträts sticht das Konterfei von Harry Rowohlt heraus, des heuer verstorbenen Übersetzers, Autors und Schauspielers. In unterschiedlicher Intensität erfasst der Künstler das, was einen Kopf ausmacht: Plastizität, Stofflichkeit, vor allem aber den unverkennbaren Ausdruck. Der akribisch gezeichnete buschige Bart lässt erahnen, wie viel Arbeit in dem Porträt steckt. "Mehrere Wochen", sagt Florian Marschall. Etwas schneller ging es mit dem Kopf seines Freundes Heiko Klohn. An sich schon ein besonderer Charakter gewinnt Klohn mit bedeutungsvoller Kapitänsmütze und dicke Zigarre eine neue Facette seiner Persönlichkeit. Der Bildhauer Wolfgang Sand, ebenfalls ein enger Freund, fehlt auch nicht in der Galerie der für Marschall wichtigen Zeitgenossen. Den arbeitsintensiven, großformatigen Porträts steht die Serie kleiner Zeichnungen von Köpfen gegenüber, die Florian Marschall schon einmal darstellte und nun in kleinem Format wiederholt. Tom Waits, Bob Dylan, Alice Schwarzer und Patty Smith lebensecht und auf Anhieb zu erkennen, aber nicht naturalistisch verkünstlet. Eine Farbpalette gibt es nicht, Marschall beschränkt sich auf Schwarz, Weiß und feingraue Zwischentöne. Faszinierend sind die kleinen Blätter mit den rätselhaften Formationen von Vogelschwärmen in der Luft. Aus vielen sehr kleinen Punkten gezeichnet, gewinnen sie die Ästhetik von anmutiger Abstraktion.

In der Kleinen Moosschwaige, St. Peter Straße 1, öffnen Gebhard Schmidl, Thomas Vesely, Florian Marschall und die Malerin gigi ihre Ateliers am Samstag und Sonntag, 28./29. November, von 14 bis 18 Uhr. Im Atelier von gigi findet am Freitag, 27. November, von 18 Uhr an eine Vernissage statt, bei Thomas Vesely und Florian Marschall um 19 Uhr.

© SZ vom 26.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: