Dachau:Klarstellungen

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Podiumsdiskussionen des Landratsamts zur Flüchtlingspolitik und den Maßstäben einer zivilen Gesellschaft

Von Tobias Roeske, Dachau

Totenstille im Ludwig-Thoma-Haus in Dachau: Alle blicken erschüttert auf die Bilder, die eine russische Drohne von der zerstörten syrischen Stadt Homs gefilmt hat. Gastredner und Chief Operating Officer der Münchner Sicherheitskonferenz, Benedikt Franke, zeigt einen kurzen Film: Ohne Ton fliegt eine Drohne über die Stadt, die im Endzeitstadium angekommen zu sein scheint: kein Auto, kein Mensch ist zu sehen. Franke: "Sie sehen einen der Gründe, warum Menschen aus Syrien nach Europa fliehen."

Das Landratsamt Dachau veranstaltete unter dem Titel "Bürgerdialog" eine Podiumsdiskussion, die der entscheidenden Frage nachgehen wollte: "Warum fliehen Menschen? Warum fliehen sie zu uns? Wie geht es weiter und was blüht uns in der Zukunft?" Diese grundlegenden Aspekte erläuterte Sicherheitsexperte Franke.

"Ein Punkt ist für mich besonders wichtig: Die Unterscheidung zwischen Kriegsflüchtling, politischem Flüchtling und Wirtschaftsflüchtling", sagte er. 92 Prozent aller Flüchtlinge verließen ihre Heimat aus Angst vor bewaffneten Konflikten - und nur acht Prozent aus ökonomischen. Franke fragte: "Wo sollen die Flüchtlinge denn hin, wenn nicht nach Europa?" Und für Franke ist auch klar: "Diejenigen, die gekommen sind, werden zum größten Teil auch bleiben."

Landrat Löwl stellte die Frage, wie es der Landkreis schaffen könne, alle Flüchtlinge schnell und ordentlich zu integrieren. Peter Schadl, Geschäftsführer vom Jobcenter Dachau, warb für "genügend Deutschkurse". Denn: "Nur wer Deutsch sprechen kann, hat eine Chance, Arbeit zu bekommen." Irmgard Wirthmüller, Leiterin der Stabsstelle Asyl bei der Caritas Dachau, konterte energisch: "Es fehlt doch an allen Ecken und Enden an qualifizierten Deutschkursen."

Auch die Helferkreise, die seit bald zwei Jahren die Arbeit vor Ort verrichten, meldeten sich zu Wort: Von Petershausener Mitgliedern hieß es: "95 bis 99 Prozent der Flüchtlinge wollen unbedingt Deutsch lernen. Aber der bürokratische Aufwand ist teilweise enorm. Wenn wir keine weitere Unterstützung vom Landratsamt bekommen, sind auch unsere Kapazitäten irgendwann erschöpft." Caroline Palminha von der Dachauer Sektion des bundesweit tätigen Vereins Hilfen von Menschen für Menschen versuchte die Helferkreise zu beschwichtigen und bot ihre Hilfe an: "Ich sehe bei den Helferkreisen hohes Potenzial - gerade wenn es um die kulturelle Integration geht. Überlassen sie uns die Bürokratie, und machen Sie mit dem weiter, was sie bisher so hervorragend machen."

Wie aber wird sich die Flüchtlingspolitik entwickeln? Der Dachauer Landrat Stefan Löwl (CSU) verwies darauf, "dass die Zahl der neu hinzugekommen Flüchtlinge in den letzten vier Wochen auf Null gesunken ist". Benedikt Franke hält den Rückgang lediglich für eine kurze Verschnaufpause: "Es mag sein, dass durch die Grenzschließungen und durch das schlechte Wetter weniger Flüchtlinge in Deutschland ankommen. Aber ich bin mir sicher, dass es in nächster Zeit eine weitere Flüchtlingswelle geben wird." Die Asyl-Koordinatorin des Landratsamts, Isabell Sittner, sieht ihre Behörde unter Druck gesetzt: "Wir sind jetzt noch damit beschäftigt, die letzte Welle abzuarbeiten. Meine größte Angst ist derzeit, dass wir wieder zu blauäugig vor dem nächsten Schub stehen könnten."

Benedikt Franke versuchte zu beruhigen: "Ich habe nicht gesagt, dass wir direkt vor einer neuen Welle stehen. Aber dass es eine weitere geben wird, dessen bin ich mir sicher." Man dürfe auch nicht vergessen, dass die Probleme, die bei der Aufnahme von Flüchtlingen entstanden seien, im internationalen Vergleich gering gewesen seien: "Manchmal habe ich das Gefühl, dass wir auf einer deutschen, einer bayerischen - ja, auch auf einer Dachauer Insel leben. Wir vergessen häufig, wie sehr es in den Ländern um uns herum eigentlich kracht und warum diese Menschen fliehen." Auch wenn es eine Menge Arbeit bedeutet, Landratsamt, Jobcenter und Migrationsbüro sind sich einig: Die Integration der Asylbewerber hat durchaus positive Seiten. Landrat Löwl: "Diese Menschen sind neugierig, gehen auf uns zu und bereichern unsere Kultur."

© SZ vom 20.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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