Hilfe für Demenzkranke:Keiner soll vergessen werden

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Der Landkreis strebt das ehrgeizige Ziel eines engmaschigen Netzwerks für Demenzkranke und deren Angehörige an. Er will die Betreuungsformen und Möglichkeiten der Therapien ausweiten helfen

Von Sarah Stemmler, Dachau

Die Prognosen sind eindeutig. Im Jahr 2025 werden 270 000 Menschen in Bayern an Demenz erkrankt sein. 2050 bereits 420 000. Wegen solchen Aussichten ist es wichtig, dass die Krankheit kein "Thema von Angst und Schrecken" bleibt, wie Christa Kurzlechner vom Landratsamt Dachau sagt. Sie koordiniert das Projekt "Demenz und Leben - gemeinsam - im Landkreis Dachau". Kurzlechner will besonders Angehörigen helfen. Denn auf ihnen lastet die Arbeit, die richtige Hilfe zu organisieren.

Mehr als 2600 Menschen aus dem Landkreis sind an Demenz erkrankt, schätzt Björn Johnson, Chefarzt der Helios-Amperklinik Indersdorf. Allein in der Stadt Dachau sind etwa 800 betroffen, hat er aus Zahlen der Deutschen Alzheimergesellschaft errechnet. Christa Kurzlechner sieht noch viel Verbesserungsbedarf, was deren Behandlung und Betreuung angeht. So wüssten viele Betroffene nicht, an wen sie sich wenden sollen. Landrat Stefan Löwl (CSU) spricht von einem "Förder- und Hilfen-Dschungel".

Zugang finden

Eine Möglichkeit, Demenzerkrankte in Pflege zu geben, ist das Danuvius-Haus in Petershausen. Laut Astrid Filtz, der Einrichtungsleiterin, brauchen die Betroffenen vor allem viel Zuwendung. Menschen mit Demenz verlieren zunächst ihr Kurzzeitgedächtnis, dann nach und nach ältere Erinnerungen. Daher sei es wichtig, stets zu wissen, in welcher Phase der Erkrankte gerade lebe, so Filtz. Nur dann könne man einen Zugang zu ihm finden. Diese zeitintensive Pflege ist ihrer Ansicht nach für Angehörige kaum zu stemmen, zudem stellt die emotionale Bindung eine große Belastung dar. Einrichtungen wie das Danuvius-Haus könnten das Leben mit der Krankheit erleichtern. Filtz lobt das Angebot im Dachauer Landkreis: "Es gibt unheimlich viel. Die Frage ist nur: Wer weiß das alles so genau?"

Deswegen nimmt der Landkreis an dem Forschungsprojekt "Bayerischer Demenz Survey" teil. Dabei handelt es sich um eine Langzeitstudie, die an drei verschiedenen Standorten durchgeführt wird: Erlangen, Kronach und Dachau. Um neue Handlungsstrategien zu entwickeln, lässt das Bayerische Gesundheitsministerium die Situation der Demenzkranken und ihrer Angehörigen untersuchen. Die Ergebnisse will die bayerische Gesundheitsministerin Melanie Huml (CSU) Anfang September in Dachau vorstellen.

Aktionswoche im September

Um das Projekt einer besseren Versorgung von Demenzkranken und der Angehörigen voranzubringen, findet zudem vom Sonntag, 18. September, bis Sonntag, 25. September, eine Aktionswoche statt. Täglich können mehrere Veranstaltungen besucht werden. Ziel ist es zu informieren, Entlastungsmöglichkeiten für Angehörige aufzuzeigen, Verständnis zu wecken. Die Angebote sind vielfältig, von Vorträgen über Filmvorstellungen bis hin zu einer szenischen Lesung. Auch eine Informationsveranstaltung über "Neue Versorgungsformen bei Demenz" des Vereins Wohlbedacht Wohnen steht auf dem Programm. Die Aktionswoche ist Teil des bundesweiten Projekts "Lokale Allianz für Menschen mit Demenz", dem sich der Landkreis Dachau angeschlossen hat.

Angesichts des gesellschaftlichen Wandels sei es schwierig, die Erkrankten angemessen zu betreuen, sagt Landrat Löwl. Familien- und Nachbarschaftsverbände hätten sich verändert, es bestünde kaum die Möglichkeit zur privaten Versorgung. Die gemeinsame Folgerung lautet: Hier müsse der Staat die Familien unterstützen, über die drei bisherigen Säulen von Pflegediensten, Beratungsstellen und Bildungsträgern hinaus. Gerade den Dialog mit den Kommunen möchte Kurzlechner intensivieren. Dort gibt es bereits Ansprechpartner für Seniorenarbeit. "Wir sind am Anfang, aber vieles passiert schon."

Beginn einer Vernetzungsarbeit

Christa Kurzlechner denkt über die Aktionswoche hinaus. Immerhin ist der Dachauer Landkreis als Zuzugsgebiet in einer begünstigten Situation: "Wir können gestalten, während andere nur Löcher stopfen", wie Landrat Löwl es ausdrückt. Bisher habe man zum Beispiel nicht daran gedacht, dass viele Anwohner Eltern in anderen Regionen Deutschlands haben. Wenn diese an Demenz erkranken, stehen die Familien vor der Frage, wie sie ihre Angehörigen pflegen können. Auch mit solchen Problemen will sich der Landkreis befassen und neue Strukturen schaffen.

Auch Helios-Chefarzt Björn Johnson sieht viel Aufklärungsbedarf. Es gebe eine große Dunkelziffer von Erkrankten, die Diagnose sei mitunter die größte Hürde. Hier seien Hausärzte und Angehörige in der Pflicht, Defizite zu bemerken und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Betroffene selbst erkennen die Symptome meist nicht. Vor allem sei es nicht leicht, zwischen normalem und krankhaften Vergessen zu differenzieren. Nach der Diagnose müssten passende Betreuungs- und Therapieformen gefunden werden, wobei Johnson die Angebote im Landkreis als "sehr erfolgsversprechend" bezeichnet. "Die Schwierigkeit war, das zu vernetzen", sagt er und lobt die Projekte des Landratsamts. Endlich würden "alle Player an einen Tisch" geholt. "Es ist der Beginn der Vernetzungsarbeit."

© SZ vom 05.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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