Dachau:Goethe reloaded

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In der wissenschaftlichen Vortragsreihe am JEG begeistern Musiker und Sprecher mit meisterhaftem Liebestheater

Von Dorothea Friedrich, Dachau

Im Jahr 1840 komponierte Robert Schumann seinen Liederzyklus "Myrthen". Er widmete ihn Clara Wieck, die er erst nach einem langen, erbitterten Streit mit deren Vater heiraten durfte. Insofern verwundert es nicht, dass Johann Wolfgang von Goethes Gedicht "Freisinn" hier seine unnachahmliche Vertonung fand; vereint Schumann doch Aufbruchstimmung und Gottvertrauen in einem hinreißenden musikalischen Gebilde.

"Freisinn" im ungewöhnlichen Arrangement für vier Sänger und zwei Pianisten war denn auch der Auftakt zu einem bemerkenswerten Liederabend im Dachauer Josef Effner-Gymnasium (JEG). Es ging um "Wilhelm Meisters Liebestheater - eine literarisch-musikalische Reisebegleitung" im Rahmen der wissenschaftlichen Vortragsreihe des JEG. Also ein trockener Fachvortrag, gespickt mit Jahreszahlen, Komponistennamen, Interpretationen und germanistisch-musikologischen Fachausdrücken? Natürlich nicht, möchte man schreiben. Eine herausragende Eigenschaft dieser Veranstaltungsreihe ist es, eine breite Themenpalette von der Philosophie ("Gibt es die Welt wirklich nicht?" am Donnerstag, 4. Februar) über die Astronomie ("Mit dem Fahrstuhl zu den Sternen" am Donnerstag, 17.März) bis zu Tango Argentino (Mittwoch, 17. Februar) und einem Orgelkonzert (Samstag, 23. April, Mariä Himmelfahrt) verständlich und gerne mit einer Portion Humor gewürzt aufzubereiten. Das zieht übrigens nicht nur Schüler an, wie sich bei Wilhelm Meisters Liebestheater unschwer feststellen ließ.

Höchst konzentriert und in höchsten Tönen: die Initiatorin der Veranstaltung, Gudrun Forstner, am Flügel und Sopranistin Regina Klepper. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Initiatorin der Veranstaltung war Gudrun Forstner, Musiklehrerin am JEG. Die Kirchenmusikerin und Orgelspielerin verbindet eine langjährige Freundschaft mit Altistin Christel Borchers. Diese wiederum hat zusammen mit ihren Sängerkollegen ursprünglich das literarisch-musikalische Goethe-Programm als eine Art Hauskonzert konzipiert. Wobei es, wie Gudrun Forstner in der Pause erzählte, auch um den gemeinsamen Auftritt von Profis und engagierten Laien gegangen sei. Was möglicherweise erklärt, warum ein gestandener Professor für Steuerrecht (Bariton Rühlemann) die Runde der erfahrenen Sängerinnen und Sänger komplettierte und warum nicht Perfektion, sondern ungewöhnliche Liedbearbeitungen (Duo, Quartett) und eben die Freude am gemeinsamen Musizieren im Vordergrund standen.

Höchst konzentriert: die Initiatorin der Veranstaltung, Gudrun Forstner, am Flügel. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Denn Goethe und Liederabende - und das auch noch in Kombination - sind nicht wirklich Mainstream. Wen außer geplagten Schülern und unverbesserlichen Literaturfreaks interessiert 2016 noch, was der Dichterbolide gesagt respektive geschrieben hat? Wer will noch Sopran (Regina Klepper), Alt (Christel Borchers), Tenor (Anton Rosner) oder Bariton (Gottfried Rühlemann) zuhören, wenn sie von Liebesfreuden in den höchsten Tönen jauchzen oder in tiefstem Leid tremolieren?

"Kunstlied", sagte ein Zuhörer, "ist doch eigentlich nur noch was für uns ewige Romantiker." Davon gibt es glücklicherweise noch eine ganze Menge. Und die waren sichtlich angetan von der klugen Auswahl unter den Vertonungen von Goethe-Gedichten und den Passagen aus "Wilhelm Meisters Lehrjahren", gelesen von Klaus Möller. Getreu dem Motto des Abends beschränkte sich Möller dabei auf die amourösen Abenteuer des jungen Wilhelms und seine Suche nach der einen, wahren Liebe. Und trat damit den Beweis an, dass Goethe auch im dritten Jahrtausend nicht zum alten Eisen zählt. Wer fährt nicht gerne mit dem neuen Freund, der neuen Freundin ins Land, wo die Zitronen blühen? Auch wenn Anbandeln und Trennung heutzutage häufig nicht mehr in wohlgesetzten Worten und im stillen Kämmerlein, sondern via soziale Medien erfolgen. Doch noch immer gilt: "Man sollte alle Tage wenigstens ein kleines Lied hören, ein gutes Gedicht lesen, ein treffliches Gemälde sehen und, wenn es möglich zu machen wäre, einige vernünftige Worte sprechen." Was "Wilhelm Meisters Liebestheater" trefflich gelungen ist.

© SZ vom 25.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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