Dachau:Gegen den Teufelskreis der Armut

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Lena Wirthmüller leitet die Schuldnerberatung der Caritas. (Foto: Toni Heigl)

Die Schuldnerberatung der Caritas braucht dringend mehr Personal und verhandelt darüber mit dem Landkreis

Von Petra Schafflik, Dachau

Der Teufelskreis aus Schulden, Krankheit und Armut ist hinlänglich bekannt. Eine der großen Chancen, ihm zu entkommen oder ihn zu durchbrechen, bietet die Schuldnerberatung der Caritas in Dachau. Aber sie braucht dringend mehr Personal, um schneller helfen zu können. Nur dadurch können weitere Folgen der Armut verhindert werden.

"Krankheit macht Schulden", sagt Lena Wirthmüller. Die Leiterin der Caritas Schuldnerberatung beobachtet seit langem ein Phänomen, das auch wissenschaftliche Untersuchungen belegen. So benannten von den 348 Bürgern, die im vorigen Jahr bei der Schuldnerberatung Unterstützung gesucht haben, 61 dezidiert ihre Krankheit als Grund für zu hohe Schulden. Bei noch viel mehr Ratsuchenden stellte sich mit der Zeit heraus, dass sie schon lange gesundheitliche Probleme hatten. Aber Erkrankungen können nicht nur Ursache, sondern auch Folge von Überschuldung sein. Denn belegt ist auch, so Lena Wirthmüller, "dass arme Menschen früher sterben."

Deswegen beteiligt sich die Caritas an der bundesweiten Aktionswoche der "Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung", die den fatalen Zusammenhang von Schulden und Krankheit in den Fokus der Öffentlichkeit rücken will. Wer schwer erkrankt, gerät rasch in einen finanziellen Engpass. Weil das Krankengeld nur zwei Drittel des Nettolohns beträgt, reicht das Geld nicht mehr für alle Ausgaben. Deswegen geraten Betroffene mit Kreditraten in Verzug.

"Auch kann eine Krebserkrankung ein, zwei oder fünf Jahre dauern, das Krankengeld läuft aber nach 18 Monaten aus." Dann bleibt den langfristig Erkrankten nur staatliche Unterstützung oder die niedrige Erwerbsunfähigkeitsrente. "Kein Ersatz für das volle Familieneinkommen." Auch wer vermeintlich gut vorgesorgt hat, kann durch eine Krankheit völlig verarmen. Wie die Klientin, die lange Jahre als Selbständige gut verdient und auch Rücklagen angespart hat. Lena Wirthmüller sagt: "Durch ihre Erkrankung ist alles weg."

Krankheit als Ursache für Schulden ist ein bekanntes Phänomen ist. Jetzt gerät auch der genau umgekehrte Zusammenhang zunehmend ins Blickfeld: Dass nämlich Schulden Menschen erst krank machen. "Finanzielle Probleme führen oft rasant zu gravierenden, gesundheitlichen Folgen", weiß Wirthmüller. Wer den Überblick über seine Finanzen verliert, sich kaum zum Briefkasten traut aus Angst vor immer neuen Mahnungen, sein Konto am Dispo-Limit führt, gerät unter enormen psychischen Druck. Wirthmüller: "Diese Ängste können so belasten, dass Betroffene nicht mehr arbeiten können." Es entsteht ein Teufelskreis: Ohne Arbeit sinken Einkommen und finanzieller Spielraum.

Dagegen hilft nur kompetente Beratung. Wirthmüller erzählt: "Wir erleben schöne Fälle, wo Betroffene schon nach kurzer Zeit sagen: Ich kann wieder schlafen und auch wieder arbeiten." Armut bedroht die Gesundheit noch umfassender: Menschen in Geldnot können sich keinen Zahnersatz leisten, keine Brille bezahlen, auch nicht den Hustensaft oder die Kopfschmerztablette. Sogar kostenlose Vorsorgeuntersuchungen werden von Armen weniger genutzt. Viele sind gar nicht mehr versichert. Vor allem Selbständige, die mit ihrem Betrieb scheitern, können ihre private Krankenkasse nicht mehr bezahlen. Wer mit seinen Raten im Rückstand ist, bekommt nur eine rudimentäre Notversorgung. "Das betrifft viele", betont Wirthmüller. Denn im Landkreis war 2015 eine gescheiterte Selbständigkeit häufigste Ursache für Bürger, die Schuldnerberatung aufzusuchen.

Aber wie schafft es eine Schuldnerberatung, diesen Teufelskreis aus Armut und Krankheit zu durchbrechen? Damit Schulden nicht zur psychischen Überlastung führen, muss Beratung kurzfristig erreichbar sein. Da muss sich im Landkreis anscheinende einiges verbessern. Denn: "Der nächste freie Termin ist am 8. August", sagt Wirthmüller. Diese Wartezeit hält Wirthmüller für zu lange für verzweifelte Menschen. Die Personalkapazitäten der Beratung, in der derzeit drei Fachkräfte auf eineinhalb Stellen arbeiten, müsste daher ausgebaut werden. Die Caritas ist darüber im Gespräch mit dem Landratsamt, das die Einrichtung finanziert.

Zudem fordert Wirthmüller wie die Arbeitsgemeinschaft Schuldnerberatung einen Zugang zu medizinischer Regelversorgung und den Anspruch auf präventive Gesundheitsvorsorge für Menschen , die mit ihren Krankenkassenbeiträgen im Rückstand sind. Die Caritas Dachau versucht im Einzelfall zu helfen und wird dabei von Bürgerstiftungen oder Organisationen wie dem SZ-Adventskalender unterstützt. "Wichtig" sagt Wirthmüller, "aber keine grundlegende Lösung, sondern nur ein Pflaster im Notfall."

© SZ vom 01.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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