Städteporträt:Ganz normal

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Wie gehen die Bürger heute mit der KZ-Vergangenheit Dachaus um? Fazit einer Reportage des Bayerischen Rundfunks: Die Mehrheit hat sich mit der NS-Geschichte arrangiert.

Von Helmut Zeller, Dachau

"Jetzt mal ehrlich" heißt die BR-Sendereihe, die sich mal mit Tod und Missbrauch von Kindern beschäftigt, mit Behinderten in der Armutsfalle oder auch mit Krankenhauskeimen - und jetzt mit "Dachau - die ewige KZ-Stadt?" Das Drehbuch orientiert sich stark an dem Dokumentarfilm "Grüße aus Dachau" von Bernd Fischer aus dem Jahr 2003. Fischers Doku war aber noch ein Aufreger, vor allem in Dachau. Zwölf Jahre später plätschert das 45 Minuten lang so dahin, bleibt, gleichwohl die Realität des Umgangs mit der NS-Geschichte stellenweise gut eingefangen wird, unverbindlich, geht nicht wirklich in die Tiefe und erzeugt dennoch ein Abbild Dachaus, wie es lacht und zwischendurch auch gedenkt - oder eben gerade das nicht will.

Nur, wie sollte es auch anders sein, und jetzt mal ganz ehrlich: Worauf wollte die Fernsehreportage hinaus? Abgesehen davon, dass man sich im BR anlässlich des 70. Jahrestags der Befreiung des Konzentrationslagers an Dachau erinnerte und auf Quote hoffte? Die Antwort auf die vermeintliche Frage im Titel ist ohnehin klar: Natürlich bleibt Dachau die "ewige KZ-Stadt", würde das KZ Dachau in Vergessenheit geraten, wäre eine Auseinandersetzung mit der Geschichte gar nicht möglich.

Einmal von der sprachlichen Ungenauigkeit abgesehen, dass das KZ 1945 von amerikanischen Streitkräften geschlossen wurde. Dachau war eine KZ-Stadt zwischen 1933 und 1945, heute ist es eine Stadt, die mit eben diesem Erbe umgeht, mal schlechter, mal besser oder anders ausgedrückt: Aufgeklärtheit stößt auf Gleichgültigkeit und - noch heute - Abwehr.

Von dieser Auseinandersetzung zeigte die Filmreportage zu wenig: das große zivilgesellschaftliche Engagement für die Erinnerung, etwa des Fördervereins für Internationale Jugendbegegnung, der Kampf um die Erhaltung der Reste der SS-Plantage "Kräutergarten", die neue Gedenkstätte "SS-Schießplatz Hebertshausen", das Dachauer Symposium zur Zeitgeschichte, die Kooperation zwischen Amperklinikum und der israelischen Klinik in Rechovot. Von der ganzen, von Rückschlägen aber auch großartigen Fortschritten geprägten Erinnerungspolitik, die zaghaft unter dem Oberbürgermeister Kurt Piller begann und von seinem Nachfolger Peter Bürgel auf ein ernsthaftes Niveau gehoben wurde, erfährt der Zuschauer nichts.

Viel dafür aus der Nachkriegsgeschichte der Verweigerung und Leugnung in Dachau - ein Kapitel, das natürlich nicht unerwähnt bleiben darf, zumal es wie der Film, und das ist sein großer Verdienst, zeigt, dass es noch immer nicht abgeschlossen ist. Ein Anwohner der Siedlung, die in den achtziger Jahren an die KZ-Gedenkstätte geklebt wurde, erklärt: "Das ist ja fast schon ein Kultort. Das wird immer wieder von der jüdischen Gemeinde hochgeputscht. Man sollte das einschlafen lassen." Eine Gedenktafel, sagt der Mann, würde ausreichen - und ähnliche Aussagen lockt die Reporterin Vivian Perkovic in wunderbar gespielter Naivität auch aus anderen Dachauern heraus. Ein Fingerzeig für die Kommunalpolitik: Auch wenn die offizielle Stadtpolitik inzwischen vorbehaltlos sich der Geschichte stellt, zumindest das versucht, bleibt die Frage offen, ob denn die Dachauer in der Mehrheit mitgehen. Die BR-Reportage zeigt, was in Dachau bekannt ist: leider nicht. Deshalb nehmen etwa an der Internationalen Jugendbegegnung oder anderen Veranstaltungen auch kaum Dachauer - mit Ausnahme der in der Erinnerungsarbeit ohnehin engagierten - teil.

Sehenswert ist die Reportage allein schon wegen der Kunst des Kameramanns, der in den Begegnungen mit Dachauern und KZ-Überlebenden in Momenten der Intimität und Aufrichtigkeit das Gesicht der Stadt und ihrer Menschen einfängt. Und der erfrischende Blick von Außen, mit dem die Moderatorin Vivian Perkovic auf ihre Dachauer Begegnungen zugeht, erzeugt Spannung - auch in den von "Grüße aus Dachau" bekannten Stationen: Spaziergang im Schlossgarten, Klinkenputzen in der Siedlung an der Gedenkstätte oder in der KZ-Gedenkstätte selbst. "Das hängt uns halt nach, auch wenn wir sonst eine Mordsgaudi haben. Wir schämen uns nicht", sagt einer im Bräustüberl.

Die Gedenkstätte selbst: Massentourismus zwischen Neuschwanstein, Allianz Arena und Münchner Hofbräuhaus. Vivian Perkovic begleitet vom Marienplatz aus den Fremdenführer Scott Woodside mit einer Gruppe - pro Kopf 22 Euro - nach Dachau. Gabriele Hammermann, Leiterin der KZ-Gedenkstätte, beklagt, dass fünf bis zehn Prozent der 800 000 Besucher jährlich den Horror suchten, am liebsten eine Geisterbahn vorfinden würden. Darunter machten Souvenirjäger der Gedenkstätte zunehmend Ärger. Sie nehmen Steckdosen, auch historische Relikte mit, ganz zu schweigen vom Diebstahl der KZ-Tür im November 2014, den Gabriele Hammermann als Schock bezeichnet und rechtsradikalen Kräften zuordnet. Wie, stellt sie die grundsätzliche Frage, kann man den Massen von jungen Besuchern die Geschichte sinnvoll vermitteln? Man müsse viel mehr erklären, die geschichtlichen Ereignisse auch plastisch darstellen. Zunächst sei vor ein paar Jahren eine Besucherordnung eingeführt worden, sagt Vivian Perkovic. Das stimmt nicht ganz: Die Besucherordnung wurde erst 2014 verhängt.

"Dachau bleibt wohl die ewige KZ-Stadt. Aber Dachau hat es verstanden, das als Chance zu sehen", lautet das Resümee des Films. Chance für was? Die Dachauer haben sich in ihrer Mehrheit, wie gezeigt wurde, mit der NS-Geschichte arrangiert - so oder so. Es ist das eingetreten, was Historiker und aufgeklärte Kommunalpolitiker befürchten: Normalität. Und Restbayern interessiert es eh nicht mehr. Nur 3,2 Millionen Zuschauer brachte der Film zur besten Sendezeit um 20.15 Uhr - sonst lockt die Reportagenreihe fünf bis sechs Millionen vor den Fernsehschirm.

© SZ vom 15.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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