Dachau:Fühlen und gestalten

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Wie Ingeborg Hamzehi die Geschichte der Landschaftsmalerei vor allem Kindern nahebringt und sie zu eigenen Werken animiert

Von Emily Holmes, Dachau

Sie wirken abstrakt und gleichzeitig märchenhaft. Große Astgabeln sind mit buntem Baumwollfaden umwickelt. Aufgeschichtete Zweige werden mit angeklebter Baumrinde zusammengehalten. Und filigrane Flügelwesen aus buntem Glas schweben an Fenstern. Solche Objekte waren am vergangenen Sonntag im Dachauer Wasserturm zu sehen. Die Arbeiten könnten von Kindern stammen, vielleicht auch von ungeübten Erwachsenen. Dass Künstler mit der Laienhaftigkeit spielen würden, um scheinbar naive Kunst zu produzieren, hätte sein können. Die Ausstellung am vergangenen Sonntag war - ebenfalls ungewöhnlich - Vernissage und Finissage zugleich.

Das Rätsel um die Bedeutung der Objekte löst sich erst auf, wenn man weiß wie sie entstanden sind. Sie sind Teil eines Langzeitprojekts, in dem Teilnehmer in mehreren Workshops im Juli gemeinsam mit der Biologin Ingeborg Hamzehi die Natur erkunden konnten. Sie forschten nicht, sondern versuchten die Natur mit den Sinnen zu erfahren. Sie sollten sich vom Zauber der Natur inspirieren lassen, wie es zur Dachauer Tradition der Freilichtmalerei gehört. Nebel, Schnee oder Morgensonne tauchen die Landschaft in ganz unterschiedliche Stimmungen und bildeten die Grundlage der Malereien der Dachauer Künstlerkolonie im 19. und 20. Jahrhundert. Dieses Erbe aufrecht auf eine ganz besondere Weise zu erhalten, hat sich Ingeborg Hamzehi zum Ziel gesetzt. Wie also fühlt sich die Rinde eines Baumes an, welche Bilder ergeben sich aus dem Zusammenspiel der Natur, was für ein Tier huscht da durch das Laub und, welches Kunstwerk entsteht daraus für mich? Die Natur als Inspiration für das eigene kreative Schaffen. Die Kunst als Entwicklungsprozess vom Erleben der Natur bis zum Ausdruck der gewonnenen Inspirationen.

Im Wald gesammelte Stöcke und Baumwollfäden wurden von Biopoly-Teilnehmern zu einem spinnennetzähnlichen Traumfänger gebunden. (Foto: Toni Heigl)

1994 gründete Hamzehi die "Biopoly Akademie" in der sie aktive Umweltbildung mit Kindern und Erwachsenen betreibt. Gemeinsam mit Dachauer Künstlern bot die Biologin nun zum wiederholten Mal verschiedene Workshops an, in denen das Erleben der Natur intensiv mit dem anschließend entstehenden Kunstwerk verknüpft war. Unter der Anleitung Hamzehis holten sich Schulklassen und Familien Anregungen im Dachauer Moos oder an der Amper, die sie anschließend im Außenbereich des Wasserturms in Kunstwerke verwandelten. Entstanden sind dabei individuelle Werke, die der Beziehung der Künstler zur Natur Ausdruck verleihen. Der anfangs leere Wasserturm wurde Workshop für Workshop mit den Ergebnissen gefüllt. Diesen Prozess spiegeln die Flechtwerke, Gemälde und Töpfergefäße wieder. Die Ästhetik der Ausstellung liegt in diesem Entwicklungsprozess.

Die Kunstwerke erinnern an die eigene Kindheit, an Spaziergänge im Wald und an das Sammeln von Ästen, Stöcken, Steinen und Baumrinden, um sie anschließend in Werke mit persönlichem Charakter zu verwandeln. Aus Ästen können Boote werden, aus Steinen Häuser, aus Kastanien kleine Männchen. "Ars Natura" also - die Kunst der Natur.

Über die vergangenen Wochen hinweg füllte sich der Dachauer Wasserturm langsam und beharrlich mit den Objekten. Die Vorgeschichte der Werke bleibt dem unbeteiligten Betrachter vorenthalten. Dennoch zeugen die Objekte von der Schönheit der Natur und von der Fantasie der Künstler. Denn nicht nur Kunst aus Naturmaterialien wurde ausgestellt. Unter der Anleitung von Alfred Ullrich wurden die Farben und Formen der Umgebung in Grafikdrucke verarbeitet. Die Vielseitigkeit der Natur fand sich wieder in der Vielfältigkeit der Kunstformen.

Auf den kleinen Leinwänden finden sich Farb- und Formeindrücke aus der Natur wieder. (Foto: Toni Heigl)

Biopoly-Akademie von Ingeborg Hamzehi unter www.biopoly.de.

© SZ vom 05.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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