Dachau:Fragile Konstrukte

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Inge Jakobsen beschäftigt sich in der KVD-Galerie mit der Farbe Grau. Deren Bandbreite braucht sie, um den Weg ins Experiment zu finden. Dadurch gelingt es ihr, die Tradition der Konkreten Kunst für sich neu zu interpretieren

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Die gängige Ansicht ist, dass man für die Farbe Grau bloß Schwarz und Weiß mischen muss. Tatsächlich ist sie das Ergebnis vieler unterschiedlicher Farben und Malvorgänge. In einem echten Grau schimmern sie alle durch. Raffinierterweise wirken manche Bilder, aus der Ferne betrachtet, einheitlich grau. Nähert man sich ihnen, werden sie geradezu bunt schimmernd. Wer diese Effekte studieren und sich von ihnen faszinieren lassen will, hat dazu in der Galerie der Künstlervereinigung Dachau (KVD) eine sehr gute Gelegenheit. Weil die Dachauer Künstlerin Inge Jakobsen das Malen handwerklich beherrscht, mit den zahllosen Techniken des Aquarells und des Lasierens perfekt umgehen kann, inszeniert sich eine Vielzahl solcher Grau-Effekte: mal heiter in Streifen, mal eher aggressiv in der Verbindung mit kräftigen Tuschestreifen, mal düster oder spielerisch.

Um zu verstehen, warum Inge Jakobsen eine Farbenlehre in Grau ausstellt, ist es nötig, ihre künstlerische Herkunft zu skizzieren. Die gebürtige Dänin lebt in Dachau und hat an der Münchner Kunstakademie studiert. Ihr Sujet ist die Konkrete Kunst. Diese Richtung darf nicht mit der abstrakten verwechselt werden. Denn Inge Jakobsen abstrahiert nicht, sie interessiert sich allein für das Bild und deren Aufbau. Deshalb kommen bei ihr nur einfache geometrische Formen vor: die Linie, das Quadrat und das Dreieck. Mehr braucht sie nicht, um der Frage nach der inneren Balance der Bildflächen nachzugehen, in einem Zusammenspiel von Farbe und Form. Um zu erklären, wie schwer diese Herausforderung ist, darf man den zurzeit berühmtesten deutschen zeitgenössischen Maler Gerhard Richter zitieren. Er hat sinngemäß gesagt, dass er nach einem konkreten und abstrakten Bild ein realistisches malen muss, um sich zu erholen.

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Farbe Grau ist das Ergebnis vieler unterschiedlicher Farben und Malvorgänge.

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(Foto: Niels P. Jørgensen)

Die Werke haben eines gemeinsam: eine Farbenlehre in Grau.

In ihrer umfassenden Münchner Ausstellung hatte Inge Jakobsen im Jahr 2006 in der Bayerischen Landsbank Bilder von raffinierter Komposition gezeigt, in denen die Formen zu tanzen schienen und die Farben zu flirren begannen. Diese Ausstellung war Höhepunkt und Endpunkt zugleich, wie in den darauf folgenden schon zu erkennen war. In der neuen wird deutlich, dass Jakobsen, die auch Vorstandsmitglied der KVD ist, neue Ansätze verfolgt.

Sie entfernt sich von der Strenge der Konkreten Kunst und der Präzision der Konturen. Die Farbe Grau mit ihren ins Elegante gehenden, delikaten oder auch alles übertünchenden Nuancen eröffnet erst die Chance ins Experimentelle. Ein Quadrat setzt sich auf eine geschwungene Linie, aber die Ränder fließen in den Hintergrund hinein. Was schlampig gemalt wird, ist genau so kalkuliert. Sogar in den Bildern, die noch am ehesten an die frühere Inge Jakobsen erinnern, wird sie malerisch und gestisch. Die Quadrate werden so bewegten Bildern. Auf den tänzerisch, flirrenden Effekt verzichtet sie völlig. Der Maler und Kunstphilosoph Max Imdahl sah die Bedeutung der konkreten Kunst in ihrer Fähigkeit, emotionale, seelische Zustände zu formulieren, die ohne die Bilder nicht existieren würden. Inge Jakobsens Anliegen war die fast schon wissenschaftlich zu nennende Beschäftigung mit dem Begriff der Harmonie und der inneren Balance. In der in KVD-Galerie erweitert sie - das ist das ganz Neue - ihr Begriffsreservoir um den der Fragilität.

Deshalb mutet die Ausstellung so disparat an. Einigen Streifenbildern folgen Farbversuche, welche mit den Fixpunkten der Landschaftmalerei -Fläche und Horizont - spielen. Allerdings fehlt der Effekt der räumlichen Tiefe. Dann zitiert sich Malewitsch und dessen schwarzes Quadrat als Ende aller Malerei, um es in grauen Schlieren aufzulösen. Schließlich wird sie gestisch und setzt in Tusche aggressive Pfeile mitten ins Grau.

Bedauerlicherweise verstört Inge Jakobsen den Gesamteindruck einer ins Experimentelle gehenden, neuen Auseinandersetzung mit der konkreten Kunst durch einige überflüssige, geschmäcklerische Miniskulpturen vor kleinformatigen Quadraten. Sie hätte sie weglassen sollen, genauso wie ihre formlosen Hirnwindung-Keramiken.

Jakobsens experimenteller Ansatz zeigt sich schon durch die Unterschiedlichkeit der Werke. (Foto: Toni Heigl)

Die Ausstellung von Inge Jakobsen mit dem Titel "Vorsicht - Grau" ist noch bis einschließlich Sonntag, 10. Mai, in der KVD-Galerie in der Kulturschranne zu sehen.

© SZ vom 24.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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