Dachau:Fehldeutungen

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Den Blick in eine Villa auf Mallorca hat Künstlerin Silvia Kirchhof mehrfach gebrochen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Das Künstlerpaar Silvia Kirchhof und Michael Krause aus Altomünster zeigen in einer Ausstellung Fotos zum Thema "Illusionäre Erinnerung"

Von Bärbel Schäfer, Dachau

Weil das Gedächtnis lückenhaft oder falsch ist, täuscht die Erinnerung immer wieder eklatant über tatsächliche Geschehnisse hinweg. Der Grund liegt in den Emotionen, die wir mit unseren Erinnerungen verknüpfen, denn nur dann bleiben diese im Gedächtnis haften. In ihrer Gemeinschaftsausstellung, die Silvia Kirchhoff und ihr Mann Michael Krause in der Galerie der KVD zeigen, geht es um dieses komplexe, psychologisch spannende Thema. Das Künstlerpaar ist vergangenes Jahr in die Dachauer Künstlervereinigung eingetreten.

Nun erwartet man unter dem Titel "Illusionäre Erinnerung" ein ganzes Portfolio an künstlerischen Assoziationen, zumal die Einladungskarte "Mutmaßungen über die Konstruktion von Erinnerungen, Legenden, private Mythen, Zurechtgelegtes, Geschehenes, Gelesenes, Geträumtes und Gehörtes" verspricht. Silvia Kirchhof allerdings geht das Thema von der leicht zu erschließenden, sichtbaren Oberfläche her an. Sie stellt nicht die Frage nach den Gründen oder Auslösern von Erinnerung und ihrer Färbung und Verzerrung, auch nicht nach den damit zusammenhängenden Abgründen, sondern visualisiert in drei Fotoserien anhand von Spiegelungen verzerrte Sichtweisen. Daraus resultieren eventuell Fehldeutungen.

2010 und 2011 entstanden während Arbeitsaufenthalten auf Mallorca ästhetische, sonnige Aufnahmen von Wasserflächen, Glasscheiben, Segelbooten, menschenleeren Landschaften und Interieurs, welche die tatsächliche Welt durch die Überlagerung einer Spiegelung oder Reflexion als einer zweiten Ebene zu einer chimärenhaften Illusion werden lassen. Licht und Schatten bündeln sich zu komplexen, komprimierten Situationen, die nicht mehr sind, als ein flüchtiger Eindruck in Form einer optischen Verfremdung.

Insofern ist fraglich, ob solche Spiegelungen der selbst gestellten Thematik entsprechen. Denn eine Spiegelung im Wasser oder auf einer Glasscheibe ist halt noch keine Erinnerung, schon gar nicht ein Beleg für illusionäre Variationen. In einer Beamer-Projektion mit dem Titel "Sehnsucht" sortiert ein Zufallsgenerator aus einem Buchstabengewirr Wörter aus, die zentrale gesellschaftliche und persönliche Werte oder Einstellungen ausdrücken: Gerechtigkeit, Authentizität, Sehnsucht, Wahrheit, Anerkennung, Frieden. Im Zusammenklang mit den Fotos sollen diese Begriffe eine diffuse und interpretierbare Bedeutung erlangen. "In dem Moment, in dem wir von einer Erinnerung erzählen, ist sie immer schon gefärbt", sagt Silvia Kirchhoff. Aber ihr Beitrag erschließt eher das Spannungsfeld zwischen individuellem Lebensstil und gesellschaftspolitischen Herausforderungen, wie sie die Begriffe formulieren. Ihr Thema sind private Mythen.

Michael Krause stellt in seiner Rauminstallation die Frage "Was bleibt?". Künstliche Hüft-, Knie- und Schultergelenke, die dem Feuer des Krematoriums standgehalten haben, sollen sich ebenfalls auf Erinnerung beziehen. An einen Menschen, von dessen Körper nichts anderes übrig ist, als die Ersatzteile, die ihm implantiert wurden, damit er weiter funktioniert. Michael Krause präsentierte die Prothesen 2012 in einer Gemeinschaftsausstellung in der Archäologischen Staatssammlung München und im Jahr darauf im Museum in Altomünster. Damals stellte er die vom Feuer gezeichneten Gelenkstücke aus Titan und Kobalt-Chrom in Vitrinen aus. Jetzt liegen sie auf kleinen Wandkonsolen wie Schmuckstücke aufgereiht. Michael Krause: "Das ist die Archäologie der Zukunft."

Die Installation wirft einen Widerspruch zum Ausstellungstitel auf, denn Michael Krause verkürzt den Begriff der Erinnerung auf übrig gebliebene Implantate und negiert, dass der Mensch viel mehr hinterlässt, als ein Stück Metall. Mindestens nämlich sowohl gute als auch schlechte Erinnerungen an seine Nachwelt. Mit einer Installation aus Leichensäcken geht Krause noch einen Schritt weiter. Wie Ware im Kaufhaus liegen die Plastiksäcke fein säuberlich im Regal, wartend auf den Moment, in dem sie benötigt werden. Ausgebreitet und zur Schau gestellt liegt auf dem Tisch ein großer, olivgrüner Kunststoffsack, daneben ein kleiner gefalteter weißer. Er ist für eine Kinderleiche bestimmt.

Mit dieser Installation "Distanz", die Michael Krause 2015 im Textilmuseum in Augsburg zeigte, verkehrte er den Begriff von Kleidung zur Hülle. Als zweite Haut schützt und verbirgt sie den menschlichen Körper vor äußeren Einflüssen. "Der Leichensack schützt umgekehrt die Lebenden vor einem toten, kontaminierten Körper", so Krause. In dokumentarischen Fernsehbildern wird die Tragödie des Todes in sauberes Plastik gehüllt, die Leiche sozusagen unsichtbar vor unseren Augen abtransportiert. Ein trauriger, aber notwendiger Vorgang.

Viel empörender ist doch der Grund, warum so viele Menschen sterben müssen. Fotos von Leichentransporten auf der ganzen Welt nach Epidemien wie Ebola sowie nach Natur-, Umwelt- und Kriegskatastrophen zeugen davon. Auf einem Kriegsbild, wohl aus dem Irak, auf dem Soldaten einen Leichensack gemeinsam wegtragen, ist in der linken oberen Ecke eine Kamera zu sehen. "Der Sack lässt dem Toten einen letzten Rest Würde", so Krause. Dabei ist der Leichensack nichts anderes als ein Mittel zum Zweck. Warum er bei Krause für eine höhere Bedeutung herhalten muss, erschließt sich nicht. Dieser Beitrag mutet eher als eine gruselige Fachdokumentation an, als dass er einen Gesamtzusammenhang zur Erinnerung bieten könnte.

Die Ausstellung in der KVD-Galerie ist bis Sonntag, 13. März, zu sehen. Donnerstag bis Sonntag von 16 bis 19 Uhr, Sonntag von 12 bis 18 Uhr.

© SZ vom 25.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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