Dachau:Existenzangst

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Der Milchpreis hat einen neuen Tiefstand erreicht. Auch Dachauer Landwirte sehen die Gefahr, dass einige Betriebe aufgeben müssen. Schuld daran sind ihrer Ansicht nach Politik und Billig-Discounter

Von Robert Stocker, Dachau

Die Zeiten für Milchbauern werden immer härter. In einigen Regionen ist der Preis, den die Molkereien den Bauern bezahlen, auf ein Rekordtief von 19 Cent pro Liter Milch gefallen. Im Landkreis Dachau erhalten Landwirte noch bis zu 27 Cent. Viele Milchbauern fürchten um ihre Existenz. Für die Misere machen sie die Politik und die Billig-Discounter, aber auch die Verbraucher verantwortlich, die nach dem Motto "Hauptsache billig" einkaufen. Grundproblem ist der Überschuss in der Milchproduktion. "Der Milchmarkt muss besser gesteuert werden", fordert Landwirt Martin Kiening, Kreissprecher des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter (BDM).

Zu viel Milch, zu wenig Absatz - auf diese kurze Formel lässt sich die Krise der Milchbauern bringen. Dass die Lösung des Problems darin bestehen soll, dass viele Milchbauern aufgeben, bringt die Landwirte auf die Palme. "Bei vielen liegen die Nerven blank", beschreibt Simon Sedlmair die Stimmungslage. Der stellvertretende Kreisobmann des Bayerischen Bauernverbandes aus Puchschlagen hat vor einigen Jahren viel Geld in einen hochmodernen Laufstall investiert. Dort hält er 280 Kühe, die vollautomatisch gemolken werden. Sie können sich auf Latexschaummatten frei bewegen, Roboter halten den Boden sauber, elektrische Bürsten kratzen den Rücken der Tiere. Sedlmair: "Wer investiert hat, muss Zins und Tilgung zahlen, einfach aufhören, ist nicht möglich." Der Landwirt ist Mitglied bei Bayern MeG, einem Zusammenschluss von Milcherzeugergemeinschaften, der die Milchvermarktung organisiert und mit den Molkereien verhandelt. Sedlmair erhält 27 Cent pro Liter. "So können wir bei den Preisverhandlungen Druck auf die Molkereien machen", sagt er. Um rentabel zu produzieren, müsste er nach seinen Worten aber 35 bis 40 Cent erhalten. Aus seiner Sicht ist es ein Unding, dass die Discounter Aldi, Lidl und Edeka den Milchpreis diktieren. 46 Cent kostet der Liter Milch im Supermarkt. "Eine Verramschung", schimpft Sedlmair. Die Macht der Discounter sei zu groß. Dazu kommen die Weltwirtschaftskrise und das Embargo gegen Russland. Als Reaktion darauf weigert sich der russische Staat, Milch aus der Europäischen Union zu importieren. "Die Absatzmärkte sind weggebrochen", sagt Sedlmair, "und der Bund hat uns im Stich gelassen." Zur Milchquote führe kein Weg zurück, aber die habe auch nichts gebracht. Sedlmair: "Einige Milchbauern werden aufgeben müssen."

Martin Kiening misst dem Russland-Embargo nicht so große Bedeutung bei. Der Kreissprecher des Bundesverbands Deutscher Milchviehhalter sieht die Gründe für die Misere hauptsächlich in der Politik: "Es gehört zur Strategie der Verantwortlichen, dass viele Betriebe aufgeben müssen. Die Politik will den Strukturwandel beschleunigen." Der Milchmarkt müsse nachhaltig gesteuert werden, fordert der Landwirt aus Niederroth. Ein Weg könnte ein freiwilliger Lieferverzicht der Milchbauern sein, die im Gegenzug dafür entschädigt werden. "Das müsste aber europaweit so geregelt werden", sagt Kienings Ehefrau Gabriele. "Die Milchmenge muss runter, und jeder Betrieb muss mitziehen." Als die Milchquote aufgegeben wurde, wurden vier Prozent zu viel Milch produziert, wie die Bäuerin sagt. Jetzt liege der Überschuss bei acht Prozent. Die Kienings haben vor 24 Jahren einen Laufstall gebaut, in dem sie derzeit 70 Kühe halten. Doch sie wollen modernisieren und weiter in den Stall investieren - beim derzeitigen Milchpreis ein Problem. Ein gesunder Familienbetrieb könne die Misere eine Zeit lang kompensieren. "Aber nicht ewig", sagt Martin Kiening.

Wie Gabriele Kiening plädiert Kreisbäuerin Emmi Westermeier dafür, die Milchmenge nur dann herunterzufahren, wenn alle EU-Länder mitziehen. Die Konzentration im Einzelhandel ist auch ihr ein Dorn im Auge. "Der Handel macht einen riesigen Druck, diktiert die Preise und stellt hohe Anforderungen." Auf dem Hof der Familie Westermeier in Breitenwiesen arbeitet derzeit ein Praktikant aus Südtirol. Ihm zufolge erhalten dort die Bauern für einen Liter Milch noch 70 Cent. In Südtirol gebe es die Diskussion über die Macht einiger weniger Konzerne nicht. "Bei uns haben alle vor einer weiteren Konzentration gewarnt. Trotzdem hat es Wirtschaftsminister Gabriel erlaubt, dass Edeka Tengelmann übernimmt", sagt die Kreisbäuerin.

Die Kienings verkaufen ihre Milch nicht nur an die Molkerei, sondern vermarkten sie auch direkt auf ihrem Hof. In ihrer "Milchtankstelle" kann man außerdem frischen Käse kaufen, der mit der Milch ihrer Kühe hergestellt wird. Eine Kundin schrieb den Hofbesitzern ins Stammbuch: "Endlich kriegen wir eine g'scheite Milch, nicht diese gelbe Brühe wie im Supermarkt."

© SZ vom 21.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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