Dachau:Ein Fass voll Glück

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Amtsgericht verurteilt 18-jährigen Traktorfahrer, der nachts einen Zug der Linie A übersieht, zu 16 Sozialstunden.

Von Benjamin Emonts

Den 20. Oktober 2013 wird der junge Mann sein Leben lang nicht vergessen, wie er sagt. Damals, um 22. 55 Uhr, wollte der 18-Jährige mit einem Traktor und Güllefass den unbeschrankten Bahnübergang der Linie A bei Ried passieren. Obwohl die Bahnstrecke in diesem Bereich gerade und übersichtlich verläuft, übersah der junge Mann einen aus Richtung Dachau kommenden Zug, der schließlich mit dem Güllefass kollidierte. Weil dabei vier Fahrgäste leicht verletzt wurden und am Zug ein Sachschaden von insgesamt 200 000 Euro entstand, wurde der Indersdorfer am Montag vom Amtsgericht Dachau zu 16 Sozialstunden verurteilt.

Der Vorsitzende Daniel Dorner sagte in seiner Urteilsbegründung: "Das ist eine Situation, die jedem passieren kann." Zumal der Angeklagte, dessen Eltern selbst einen Bauernhof besitzen, an besagtem 20. Oktober bereits seit Mittag seinem Nachbarn dabei half, Gülle auszufahren. Um kurz vor elf Uhr abends, der 18-Jährige wollte gerade das letzte Fass aufs Feld fahren, krachte es schließlich. Dass Landwirte zu dieser Jahreszeit oftmals auch zu späterer Stunde unterwegs sind, um die letzte Ernte einzubringen und die Äcker auf den Winter vorzubereiten, ist nicht ungewöhnlich. "Wir mussten an diesem Abend unbedingt fertig werden", sagt der Angeklagte.

Dass bei dem Unfall kein größerer Personenschaden entstand - der Angeklagte blieb sogar unverletzt -, bezeichnet Richter Dorner als großes Glück. Drei der insgesamt zehn Fahrgäste aus den Gemeinden Erdweg, Markt Indersdorf und Altomünster hatten sich Schleudertraumata, Prellungen und Schnittwunden zugezogen. Der 42- jährige Lokführer erlitt einen Schock. Trotzdem fasste der Staatsanwalt zusammen: "Allesamt sind im wahrsten Sinne des Wortes mit einem blauen Auge davon gekommen."

Denn der 18-Jährige, so schildert er es dem Gericht, hatte die Gleise mit seinem Traktor bereits überquert, als der Zug herangerauscht kam. Folglich kollidierte der Zug nur mit dem Güllefass, wobei der Zusammenprall so heftig war, dass am Zug ein Sachschaden von 200 000 Euro und am Güllefass von 10 000 Euro entstanden war.

Denkbar wäre jedoch auch eine andere Interpretation. Denn die Auswertungen der Blackbox des Zuges hatten ergeben, dass der Lokführer die vorgeschriebene Geschwindigkeit von 60 um acht Kilometer pro Stunde überschritten hatte. Und nicht nur das: Es kam zudem heraus, dass der Zugführer die sofort eingeleitete Notbremsung, die laut Vorschrift bis zum Stillstand erfolgen muss, bereits nach zwei Sekunden wieder abgebrochen hatte. Vielleicht also hätte der Unfall auch durch den Zugführer vermieden werden können. In dem Bericht eines Gutachters, den Richter Dorner verlas, sagte ein Verantwortlicher der Bahn, er könne sich nicht erklären, weshalb der Lokführer die Notbremsung vorzeitig abgebrochen habe.

"Nichtsdestotrotz", sagt der Staatsanwalt, habe die "ungenügende Aufmerksamkeit" des Angeklagten zum Zusammenprall geführt. Wie es dazu kommen konnte, kann sich der Schüler noch heute nicht erklären. Denn den Bahnübergang kenne er, allein am Tag des Unfalls habe er die Stelle zig Mal passiert. Der 18-Jährige gibt auch zu, vor dem Bahnübergang nicht extra gehalten zu haben. "Ich habe nichts von einem Zug gehört und nichts gesehen - bis ich mit dem Traktor auf dem Bahnübergang stand." Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit. Wobei der 18-Jährige auch leise Kritik an der mangelhaften Sicherung des Übergangs übte: "Da ist nichts außer einem Andreaskreuz."

In seiner Urteilsverkündung richtete Dorner nochmals sein Wort an den Angeklagten: "Sie haben großes Glück gehabt." Zuvor hatte der junge Mann seine letzten Worte dazu genutzt, um sich bei Lokführer und Fahrgästen zu entschuldigen. "Ich bin jetzt geläutert und bleibe an der Stelle immer stehen und schaue dreimal rechts, dreimal links."

© SZ vom 13.05.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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