Dachau:Ein Auge für die Natur

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"Ich habe von meinem Vorgänger ein Schmuckstück vererbt bekommen", sagt Stephan Müller, neuer Schlossverwalter. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Stephan Müller, neuer Leiter der Dachauer Schlossverwaltung, sieht die versteckten Schönheiten der Parkanlage

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Stephan Müller kommt gar nicht dazu, in Ruhe zu erzählen. Kaum hat er drei Sätze gesagt, klingelt das Telefon. Vor ihm auf dem Schreibtisch liegt eine Liste mit Dingen, die noch zu erledigen sind. Sie ist lang, manche Punkte sind gelb markiert. Aber Müller lacht. Die Laune kann ihm das nicht verderben. Er ist begeistert von seinem neuen Job, den Kollegen, seinem Arbeitsplatz. Schon im April kam er nach Dachau, um sich einzugewöhnen, vor ein paar Wochen hat er seine Stelle dann endgültig angetreten: als neuer Leiter der Schlossverwaltung.

Jetzt ist er "Mädchen für alles", wie er sagt. In seinen Aufgabenbereich fällt alles, was mit dem Schloss zu tun hat, von Veranstaltungen bis zum Betriebshof. Sein Augapfel aber ist der Hofgarten. "Ich habe von meinem Vorgänger ein Schmuckstück vererbt bekommen", sagt er. Anlagen wie die des Dachauer Schlosses sind seine Leidenschaft. Gewachsen ist sie erst in der Ausbildung: Müller ist gelernter Landschaftsgärtner. Seine Lehre machte er bei der Bayerischen Schlösserverwaltung im Park Feldafing am Starnberger See, danach arbeitete er im Englischen Garten in München. Wenn er von Sichtachsen, Beetkanten und Wechselbepflanzung spricht, wird er euphorisch. Dann ist er in seinem Element. "Ziel eines barocken Gartens war es, zu zeigen, wie mächtig der König ist", sagt er, "man sollte sehen: Er steht über der Natur, er sagt den Pflanzen, wie sie wachsen sollen."

Die Natur ist Müllers Ding. Aufgewachsen auf der Landwirtschaft seiner Eltern unweit von Andechs, wusste er immer, dass sie Teil seiner Arbeit sein sollte. Mit 29 Jahren ist er jung für eine Stelle als Leiter. Da ist es nicht immer leicht, sich altgedienten und erfahrenen Kollegen gegenüberzufinden. Doch Müller ist zuversichtlich. Er sei schon an vielen seiner Stationen während der Ausbildung der Jüngste gewesen, und auch hin und wieder mal ins kalte Wasser geworfen worden. Manchmal, sagt er, müsse man sich halt durchbeißen. In Dachau macht er sich da aber keine Sorgen.

Wenn er durch den Hofgarten geht, gerät er ins Schwärmen. "Man hat hier nicht die gleiche gestalterische Freiheit wie als normaler Landschaftsgärtner", sagt er, "aber man sieht Strukturen wachsen. Es ist schön, eine solche Entwicklung mitzuerleben." Es ist noch warm, aber der einbrechende Herbst macht sich schon bemerkbar. Die Pflanzen werden langsam braun, erste Blätter liegen in den Beeten. "Das ist alles Handarbeit", sagt er und zeigt im Vorbeigehen auf die sauber getrimmte Kante eines Rosenbeetes. Müllers Kollegen sind damit beschäftigt, Äpfel zu ernten, die Hauptaufgabe zu dieser Zeit. Ein Eichhörnchen hüpft über den Weg und klettert in rasendem Tempo an einem der niedrigen, alten Bäume hoch. Allesamt historische Sorten, erklärt Müller. Stirbt ein Baum ab, wird an seiner Stelle wieder eine historische Sorte gepflanzt. Weiter hinten, ein Stück unterhalb des Hofgartens, werden schon die Blumen für den Winter herangezogen. Stiefmütterchen, Bellis und Vergissmeinnicht.

Der Ort aber, über den sich Müller die meisten Gedanken macht, liegt noch weiter hinten. Der sogenannte Englische Garten. Im 18. Jahrhundert gab es hier einen Spielgarten mit Kegelbahn, einer Schaukel und Holzpavillons. Übrig geblieben sind davon nur noch fast verblasste Spuren, kaum zu erkennen für jemanden, der kein Experte auf dem Gebiet ist. Müller stützt sich auf die Rückenlehne einer Bank, die nach wenigen Metern Weges auf der linken Seite liegt. Am Hang vor der Bank Richtung Stadt hinunter wachsen Bäume und Gehölze in den Himmel. "Wer hier sitzt, schaut auf eine grüne Wand", sagt er, "dabei könnte man von hier aus den gleichen Panoramablick auf München und die Alpen haben wie von drüben im Hofgarten." Müller hat ein Auge für solche Dinge. Er sieht, wo versteckte Schönheiten der Anlage liegen. Wie Formen und historische Strukturen wieder sichtbar gemacht werden können, die schon fast verschwunden sind. Wenn er davon erzählt, wird er ganz aufgeregt. "Ich könnte stundenlang reden", sagt er.

Es ist schon später Nachmittag, der nächste Termin steht an. Müller muss sich beeilen, er wird schon erwartet. Im Moment kommt er kaum dazu, im Hofgarten zu arbeiten. Es ist zu viel im Büro zu tun. Schritt für Schritt arbeitet er seine Liste ab. Im Winter, hofft er, wird wieder mehr Luft sein. Bald werden die Blumen, die jetzt noch in den Beeten blühen, durch die Pflanzen für den Winter ersetzt und die Bäume zurückgeschnitten. Müller freut sich schon.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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