Dachau:"Die Realität mit anderen Augen sehen"

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Bereits in einem Monat kommt der israelische Künstler und Fotograf nach Deutschland. Vielleicht an das Mannheimer-Studienzentrum. (Foto: Privat)

Der israelische Fotograf Ilan Wolff erzählt von der gelungenen Zusammenarbeit mit dem P-Seminar am Effner-Gymnasium

Von Christiane Bracht, Dachau

Mit alter Technik ein schwieriges Kapitel deutscher Geschichte neu zu entdecken, war für die Schüler des Josef-Effner-Gymnasiums nicht leicht. Im vergangenen Jahr begaben sie sich zusammen mit Geschichtslehrer Christian Stähler auf Spurensuche, um nationalsozialistische Architektur im Alltag sichtbar zu machen - und zwar aus ungewöhnlicher Perspektive. Der israelische Fotokünstler Ilan Wolff begleitete sie in das ehemalige Konzentrationslager Dachau und machte sie mit der Kamera Obscura vertraut. Er arbeitet seit 35 Jahren mit dieser Technik.

SZ: Für Sie als Israeli war es sicher nicht leicht, gerade an diesen Ort zu gehen.

Ilan Wolff: Es war schon ein bisschen schwer zu kommen, aber die jungen Leute müssen die Geschichte ihres Landes kennenlernen. Deshalb habe ich es gemacht. Für die Elterngeneration wäre es aber noch viel schlimmer gewesen. Das Thema war aber auch für mich sehr bewegend. Ich habe zwar im Zweiten Weltkrieg niemanden von der engsten Familie verloren, mein Vater emigrierte 1938 nach Palästina, während der Rest seiner Familie nach New York übersiedelte. Meine Mutter war halbjüdisch und lebte während des Kriegs in Breslau. Eineinhalb Jahre musste sie sich zusammen mit meinem Großvater verstecken. Meine Großmutter war deutsche Christin. 1947 emigrierte auch meine Mutter nach Israel, dort traf sie meinen Vater.

Wie ist es zu dem Projekt gekommen?

Seit 15 Jahren komme regelmäßig für ein paar Monate nach Deutschland und mache Workshops mit der Lochkamera. So verdiene ich mein Geld. Vor zwei Jahren war ich das erste Mal im Max-Mannheimer-Studienzentrum. Darüber habe ich den Kontakt zur Schule bekommen. Normalerweise gebe ich das Thema in meinen Workshops vor, entweder Portraits oder Architektur. Bei diesem hat der Lehrer das Thema bestimmt. Es war interessant für mich. Es ist ja auch Teil meiner Geschichte. Und es war eine gute Erfahrung mit der jungen Generation in Deutschland zusammenzuarbeiten. Das war das erste Mal.

"Bauten für den Führer - Bauten für die Ewigkeit" heißt die Ausstellung.

Der Titel ist ein bisschen komisch. Die Idee war Bilder von der Architektur zu machen. Christian Stähler hat mir gesagt, dass er Geschichtslehrer ist. Aber in Dachau war es eher eine künstlerische Arbeit.

Jugendliche sind es gewohnt, mit Handys oder einer Digitalkamera zu knipsen. Wie haben sie auf die Lochkamera reagiert? Das ist ja nicht gerade der neueste Schrei.

Sie waren erst einmal überrascht. Ich habe sie herangeführt, indem ich ihnen meine Arbeiten gezeigt haben und eine Dose, mit der ich derartige Bilder aufgenommen habe. Damit die Jugendlichen die Idee verstehen. Dann lasse ich sie die Dosen bauen aus einfachen Konservenbüchsen.

Warum wählen sie die Camera obscura, um mit den Jugendlichen zu fotografieren, warum nicht ein moderneres Gerät?

Sie sollen lernen, dass Fotografie nicht Knöpfchen drücken und fertig ist, sondern sie sollen verstehen, wie der Prozess abläuft, was Fotografie wirklich ist. Die nächste Generation soll erkennen, wie primitiv die Technik ist. Das Loch ist das Objektiv. Es ist wie ein Auge, das 170 Grad sieht. Es ist praktisch ein Weitwinkel, und der Effekt ist wie bei einem Fischauge. Entscheidend ist wie man das Fotopapier hineinlegt. Nach der Aufnahme müssen die Jugendlichen das Bild entwickeln mit chemischen Prozessen, Handschuhen und was sonst so dazugehört. Sie sollen sehen, dass man mit einer Lochkamera tolle Bilder machen kann, sogar bessere als mit der Digitalkamera. Wichtig ist die Idee, nicht die Kamera. So können sie die Realität mit anderen Augen sehen. Die Realität aus anderen Perspektiven zeigen, mit Deformationen und Welleneffekten. Das ist mein Stil.

Und wie ist das bei den Schülern angekommen?

Die Gruppe war toll. Die meisten 17- und 18-Jährigen haben die Spatzen woanders auf dem Dach, aber diese nicht. Wir haben ein ganzes Wochenende im Camp fotografiert von morgens um 9 Uhr bis abends um 19 Uhr. Sie waren die ganze Zeit voll konzentriert, dabei war das alles in ihrer Freizeit. Und das Motiv war zwar interessant, aber nicht ganz einfach. Wir mussten mit langen Belichtungszeiten arbeiten. Normalerweise mache ich bei Workshops nur Außenaufnahmen, doch die Schüler haben auch drinnen fotografiert, das Krematorium zum Beispiel. Das erfordert oft Belichtungszeiten von mehr als einer Stunde. In der Gedenkstätte ist das schwer zu kontrollieren. Man muss aufpassen, dass die Touristen die Dosen nicht umschmeißen. Aber das Ergebnis ist toll geworden. Wir haben einige Bilder später mit einem Pinsel koloriert, andere haben wir in Sepia abgezogen. Mit Chemie ist fast alles machbar.

Werden Sie noch einmal einen Workshop in Dachau machen?

Vom Mittwoch, 8. März, bis Mitte Juli bin ich wieder in Deutschland. Vielleicht klappt die Kooperation mit dem Max-Mannheimer-Studienzentrum in Dachau noch einmal.

© SZ vom 09.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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