Dachau:Die Herausforderung

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Heinz Neumaier führt seine Vertonung der Weihnachtsgeschichte von Ludwig Thoma selbst in Sigmertshausen auf. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Heinz Neumaier hat die Weihnachtsgeschichte von Ludwig Thoma eigens für Frauenstimmen vertont

Von Petra Neumaier, Dachau

Sanft packt Heinz Neumaier zu, als er das Buch aus dem Schuber zieht. "Die Erstausgabe, aus dem Jahr 1917", sagt er respektvoll und doch so selbstverständlich, wie er in seinen hohen Bücherregalen reihenweise Erstausgaben großer Literaten gesammelt hat. Genau vor 100 Jahren hatte Ludwig Thoma die berühmte Weihnachtsgeschichte im Lenggrieser Dialekt geschrieben. Auch der Dachauer Heinz Neumaier feiert heuer ein stilles Jubiläum: Vor genau 70 Jahren hatte sein Vater Heinrich im französischen Kriegsgefangenenlager die Gesänge vertont. Jetzt, am heutigen 9. Dezember, wird sein Sohn seine eigene Version der fünf Lieder erstmals in der Öffentlichkeit präsentieren.

Die Seiten sind vergilbt und an den Rändern leicht ausgefranst. Ganz vorsichtig berührt Heinz Neumaier deshalb die mit Bleistift beschriebenen Blätter, von denen sich längst der Einband getrennt hat. "Vertonung der 5 Gesänge, Weihnachten 1946 in französischer Gefangenschaft" steht fein säuberlich auf dem Titel des dünnen Stenografieheftes. Auf den kaum sichtbaren Linien hat vor sieben Jahrzehnten Heinrich Neumaier die Notenschlüssel und Akkorde gezeichnet. "Das Papier in dem Gefangenlager war sehr einfach", sagt sein Sohn, als müsse er sich dafür entschuldigen, dass das Programm auf braunem Papier - eine Spende des YMCA ("War Prisoniers Aid") in Sütterlinschrift geschrieben steht.

Das Heft und weitere Notenblätter hat Heinz Neumaier im Nachlass des 1976 mit 62 Jahren gestorbenen Vaters und Direktors der Dachauer Berufsschule gefunden. Manche Seiten kann er nicht zuordnen, ob sie während der Kriegsgefangenschaft in Mulsanne (Departement Sarthe) geschrieben wurden oder erst hinterher. Doch allesamt sind sie Originale. In gedruckter Form festgehalten wurden die Lieder nie, obwohl die Gesänge für Männerstimmen im Rahmen von Lesungen immer wieder im privaten Kreis oder in der Berufsschule aufgeführt wurden. Zum Komponieren kam der Vater durch das Klavierspiel.

Das beherrschte der gelernte Volksschullehrer schon in jungen Jahren. Improvisationen führten ihn zum Schreiben eigener Musik. Sein Talent verschaffte dem jungen Mann im Krieg und Gefangenenlager eine Sonderstellung: Im Offizierslager wurde ein Klavier organisiert, damit Heinrich Neumaier die Gesänge des Ludwig Thoma-Gedichtes zum Weihnachtsfest hinter Stacheldraht vertonen konnte. Was der romantisch-klassisch gebildete Virtuose im Stil eines Chopins auch tat.

Sein Sohn lächelt verlegen. "Mit der Volksmusik kam mein Vater erst nach seiner Rückkehr in Berührung", sagt er fast so, als müsse er die klassischen Töne zu den urbairischen Texten rechtfertigen. Vielleicht war das auch eine Motivation, eine passendere Intonierung zu finden. Schließlich hatte der 68-Jährige nicht nur die Berufung zum Lehrer von seinem Vater geerbt, sondern das musikalische Talent. Zwar spielte Heinz Neumaier nicht das Klavier ("Darin war mein Vater einfach zu gut"). Er konzentrierte sich auf die Gitarre, und trat mit seinem Vater im Duo und mit anderen Musikern in Rundfunk und Fernsehen auf. Schon viele Stücke hat Heinz Neumaier umgeschrieben, CDs und Notenhefte herausgegeben. "Und in BR-Heimat bin ich immer wo zu hören", sagt er stolz.

Auslöser der jetzigen Komposition war aber vor einem Jahr die Frage einer Sängerin, ob er nicht für Frauen einen Dreigesang zu dem Gedicht schreiben könne. "Die Herausforderung reizte mich", sagt der Pensionist, der die fünf Texte der Gesänge volkstümlich vertonte. Dabei warf er "keinen einzigen Blick" in die alten Noten seines Vaters. "Sie sind eine Erinnerung an eine andere Zeit."

Heinz Neumaier freut sich auf die Veranstaltung am Freitag, 9. Dezember, in der zwar platzmäßig beschränkten, aber mit einer umso schöneren Optik und Akustik gesegneten Kirche: "Ich bin sehr gespannt, denn bis jetzt war es ja nur ein Spaß, nun wird es ernst." Eines steht für ihn fest: "Mein Vater hätte sich über meine Komposition sehr gefreut."

100 Jahre "Heilige Nacht" von Ludwig Thoma. Freitag, 9. Dezember, 19 Uhr, Sankt Vitalis in Sigmertshausen. Sprecher: Claus Weber, Musik: Die Moosdorfegger Sängerinnen und die Gröbenbach Musi.

© SZ vom 08.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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