Dachau:Die Altstadt wird zum Tanzsaal

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Mit "Jazz in allen Gassen" ist der Dachauer Musiksommer eröffnet: 15 000 Menschen schlendern, lauschen und lassen sich von den Rhythmen der neun Bands mitreißen. Das Festival feiert einen neuen Besucherrekord - trotz Gedränge bleiben alle auffallend freundlich, fröhlich, gelassen

Von Dorothea Friedrich, Dachau

"Wetter gut, Stimmung gut, Musik gut, Leute nett. Was will man mehr?" So beschreibt eine Besucherin das Festival "Jazz in allen Gassen". Der Frühsommer macht am Freitagabend seinem Namen alle Ehre. Etliche tausend Menschen füllen den Musikparcours durch die Altstadt. Ein wenig abseits liegt nur der Wasserturm. Die Gastronomen haben sich auf den Ansturm gut vorbereitet. Getränkewagen, Imbissbuden, und Bierbänke umkränzen die Bühnen. Am frühen Abend sind noch ein paar Plätze frei. Doch das wird sich schnell ändern. "Die haben sich ja schon alle positioniert", mault gegen neun Uhr ein drahtiger Dauerjugendlicher mit grauem Pferdeschwanz und Tour-de-France-Outfit, weil er keinen Platz mehr findet. Doch er ist einer der wenigen, die etwas zu meckern haben. Wen immer man trifft, wen immer man fragt: Alle bleiben im Geschiebe und Gedränge, das nur mit dem in der S-Bahn zu Streikzeiten zu vergleichen ist, freundlich, geduldig und ausgesprochen höflich.

Schlange stehen an den Buden wird kurzerhand zum Spontanplausch umfunktioniert. Ein wichtiges Thema: Was trägt man/frau zum Musiksommer-Opening und der damit verbundenen Shopping Night? Die eine oder andere Einkaufstüte, natürlich. Und sonst? Leggings werden gerne gewählt. Ein weiblicher Kommentar: "Wie sagte schon Guido Maria Kretschmer (der Moderator von "Shopping Queen"): Leggings sind auch keine Lösung." Stimmt. Inakzeptabel seien auch Unterleibs-Burka-ähnliche Hosenungetüme zu nackten Männerbeinen, erfährt die interessierte Zuhörerin. Während die kurze Lederne immer geht, wie eine bayerisch orientierte Fashionista feststellt, wenn sich mal wieder eine Gruppe gstandener Mannsbilder am Bierstand einreiht.

Doch geht es nicht eigentlich um Musik? Oder vielmehr um das, was auf den Bühnen so gespielt wird? Lang ist's her, dass Jazz in allen Gassen den Puristen dieses Musikgenres vorbehalten war. Ähnlich wie beim Barockpicknick hat sich das Angebot stetig erweitert - und hat doch ein paar Konstanten. Wie die Amper Stompers mit ihrem Dixieland-Sound auf dem Pfarrplatz. Ihre Musik ist wie ein Treffen mit alten Freunden. Und entwickelt sich unvermeidlich zu einem solchen. Denn die Jazz-Flaneure lassen sich schnell in zwei Gruppen einteilen: in die, die mit Flyer in der Hand nach einem strengen Plan eine Band nach der anderen abklappern. Und in Stammgäste: "Mia san schon seit siebene hier." Am Pfarrplatz bleiben sie erst mal, auch wenn in den Pausen die Bigband Dachau so zu hören ist, als stehe man direkt vor der Bühne. Also die paar Schritte hoch zum Rathausplatz. Die Bigband ist wie immer umwerfend gut. Die sanft sich herabsenkende Nacht lässt die Herren mit Sonnenbrille und verwegenen Hütchen besonders spacy aussehen. Ihre Lightshow steht ihrem musikalischen Können in nichts nach, so dass man selbstbewusst sagen kann: Zehnmal lieber Bigband auf dem Rathausplatz Dachau als irgendeine VIP-Band bei Rock am Ring in Mendig.

Weiter zum Schrannenplatz - aber das ist kein leichtes Vorhaben, denn inzwischen ist Dachaus Freiluftwohnzimmer dicht. Macht aber nichts, die Menschen sind irgendwie tiefenentspannt. Bis auf ein chinesisches Ehepaar mit Kind. Sie wollen dringend St. Jakob besichtigen. Und verstehen gar nicht, warum das gerade keine gute Idee ist. Vitello Tonnato & the Roaring Zucchinis haben sich auf Filmmusik, Rockiges und Italienisches spezialisiert. Diese Musik macht den Schrannenplatz zur Piazza. Mit allem, was dazu gehört. Stimmengewirr, Lachen und ein paar gelangweilte Kids, denen die Hubschraubermutti erklärt, wie wichtig solche Abende seien.

Da hat es der Nachwuchs im Innenhof der Volksbank Raiffeisenbank besser: Während die Eltern (oder sind es die Großeltern?) bei Joe Kieser, Volker Klein, Thomas Camp, Manfred Dietze und der stimmgewaltigen Petra Leu verzückt zum harten Rock der Formation tanzen, vergnügen sich die Youngsters mit Smartphone-Spielen in einer ruhigen Ecke.

Stundenlang könnte man Joe Kieser zuhören und mittanzen, aber Café Gramsci und Kraisy-Brunnen rufen. Idyllisch ist es im ehemaligen Metzgerhof. Eine gute Wahl für den Auftritt von Kobaya Beach mit ihrer Mischung aus chilliger und Weltmusik. Das Kontrastprogramm liefert die Root Bootleg Band am Kraisy-Brunnen. Hier sind die Boogie-Fans in ihrem Element - und finden sogar eine Tanzfläche. Statt gewagter Tanzschritte heißt es aber: Auf zum Wasserturm.

Der rührige Förderverein hat mit Kleznova, Klezmuse und Geigerin Stefanie Pagnia eine echte Alternative zu Jazz und Rock im Angebot. "Diese Musik fasziniert. Einerseits will ich dazu tanzen, weil Klezmer so lebendig ist, andererseits kann ich durch die Lebensfreude auch die Tragik und Traurigkeit von Klezmer aushalten", sagt die Geigerin der SZ. Es wird Zeit, dem Wasserturm-Zauber zu entfliehen und sich noch einmal ins Gewühl zu stürzen. Das bleibt auch am späten Abend friedlich: "Keine Einsätze, alles ruhig", vermelden die Herren vom Roten Kreuz. Am Widerstandsplatz verführen die Cajun Roosters mit ihrer authentischen Musik das fast andächtig lauschende Publikum zu einer Traumreise nach Louisiana, am Schermhof heizt die Boogie Connection richtig ein. Fazit eines rundum gelungenen Musiksommer-Auftakts: "Musik gut, Stimmung gut."

© SZ vom 08.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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