Dachau:Der Schriftbildner

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Bilder von Johannes Wirthmüller sind in der Altstadtgalerie in Dachau zu sehen. (Foto: Niels P. Jørgensen)

Graffiti-Künstler Johannes Wirthmüller und seine erste Ausstellung in der Kleinen Altstadtgalerie in Dachau

Von Wolfgang Eitler, Dachau

Johannes Wirthmüller dürfte der Dachauer Künstler mit der flächenmäßig größten ständigen Ausstellung im ganzen Landkreis sein. Denn er verwirklicht sich mit Freunden auf den Außenwänden der MD-Industriehallen entlang der Freisinger Straße in Dachau. Überhaupt ist er als Graffiti-Künstler in der Region München und darüber hinaus unterwegs. Zu dieser Ausdrucksform passt es, dass er nicht die zuverlässig vorgegebenen Wege hin zur Künstlerexistenz über eine der Kunstakademien beschreitet, obwohl er die Aufnahmeprüfung in München geschafft hat. Insofern ist es spannend, wie seine erste Kunstausstellung in einer arrivierten Galerie ausschauen wird. Der Titel "Under pressure" in Frank Donaths Kleiner Altstadtgalerie signalisiert in seiner Mehrdeutigkeit eine eher explosive Kunst.

Umso größer die Überraschung. Denn die Ausstellung ist alles andere als expressiv. Motive und Malweise haben sich von den Graffiti der Wandmalerei weit entfernt. Sie sind ausschließlich als Zitate vorhanden: Tags-Anleihen, manchmal comicartige Einblendungen eines Mickey-Mouse-Auges beispielsweise. Dagegen beherrschen ornamentale Strukturen die Bilder, die an barocke Schnitzereien von Chorstühlen erinnern. Es wird auch beim näheren Hinsehen nicht klar, ob Wirthmüller diese schwarzen, grafischen Elemente gezeichnet oder auf die Leinwände aufgedruckt hat; under pressure sozusagen. In fast allen seinen Werken übermalt er die Strukturen, wodurch eine gewisse Räumlichkeit und Tiefenwirkungen entsteht.

Die Bilder erscheinen kompositorisch durchdacht und aus einem klaren Kalkül heraus entstanden zu sein. Nichts wirkt zufällig. Falls Wirthmüller unter Druck gestanden haben sollte, ist es ihm gelungen, diesen Gefühlszustand zu sublimieren. Einige ornamentale Strukturen wirken wie Variationen eines Notenschlüssels, mal ins Grellgelbe, mal ins dunkle Blaue gewendet. Wie in dem Bild eines U-Bahnwagen, vor dem sich eine Kulisse aus Zeichen aufbaut, quasi Symbole der nicht hörbaren Geräusche. Außerdem greift Wirthmüller auf die Tradition der Kalligrafie zurück, die er mit den barocken Anleihen zu unlesbaren, aber als Schriftbilder erkennbaren Hochformaten komponiert.

Johannes Wirthmüller begann seine künstlerische Karriere als illegaler Sprayer samt den entsprechenden Strafen. Dabei musste er lernen, Tags und Zeichnungen schnell an Häuser und Unterführungen aufsprühen. In dieser Szene geht es auch darum, ein spezielles Schriftzeichen als wiedererkennbares Element des jeweiligen Sprayers anzubringen und im Internet zu verbreiten. In diesem Sinne ist Wirthmüller seinem Ursprung treu geblieben: Die Tags haben sich zu aufwendigen Schriftbildern fortentwickelt. Unter diesem Aspekt lotet er aus, wie er seine eigene Geschichte transformieren kann. Insofern ist ihm eine Ausstellung gelungen, die in der Graffiti-Tradition steht, sie gleichzeitig durchbricht und im akademischen Sinne auslotet.

Johannes Wirthmüller: "Under Pressure", Kleine Altstadtgalerie Dachau, Burgfriedenstraße 3, Donnerstag und Freitag, 18 bis 20 Uhr; sonntags 14 bis 16 Uhr.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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