Dachau:Der langsame Tod eines Naturdenkmals

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Mitten in der Altstadt versuchen Konrad Deffner und Dorothea Voitländer eine 130 bis 170 Jahre alte Linde wenigstens noch die nächsten Jahre zu erhalten. Gerettet werden kann sie wegen Pilzbefalls nicht mehr.

Von Viktoria Großmann

Die ausladende grüne Krone der Linde in der Gottesackerstraße vor dem Beschnitt. Sie lässt die Krankheit nicht erahnen. (Foto: DAH)

Mit dem Alter kommen die Krankheiten, das ist auch bei Bäumen so. Selbst, wenn sie ein Naturdenkmal sind, wie die Linde im Hof der Architekten Konrad Deffner und Dorothea Voitländer an der Gottesackerstraße in der Dachauer Altstadt. Als sie vor zehn Jahren das Grundstück hinter dem Unterbräu bebauten, übernahmen sie zugleich die Verantwortung für den Baum, der dort seit etwa 130 bis 170 Jahren steht und die Hälfte des Grundstücks beansprucht. Sie bezogen ihn in die Planung ihres Hauses mit ein. Eine Fotografie seines nackten Astwerks im Winter ziert die Fassade. Bald könnte sie das einzige sein, was an die Linde erinnert. Denn der Baum leidet an einem Pilzbefall und wird vermutlich nur noch wenige Jahre stehen.

Am Montag kletterten Baumpfleger in die etwa 22 Meter hohe Krone der Linde, sägten großzügig Äste aus und entfernten Totholz. Als Naturdenkmal untersteht der Baum der Aufsicht des Landratsamtes, das einmal im Jahr den Zustand des Baumes prüft. Vor drei Wochen kam die Diagnose: Brandkrustenpilz. Konrad Deffner leidet bei jedem Ast, an den die Männer ihre brummenden Motorsägen ansetzen, ihn schmerzt jedes Stück Holz, das dem Baum aus der Krone fällt. "Die Nachricht, dass der Baum stirbt, hat mich entsetzt", sagt er. "Die Linde gehört zu unserem Haus, sie gestaltet unsere Innenräume." Am schönsten seien die Licht-und-Schattenspiele, die das Sonnenlicht durch die Baumkrone an die Wände projiziert, an frühen Sommermorgen, schwärmt der Architekt. "Dass die Säge so schnell angesetzt wird, damit hatte ich nicht gerechnet."

Zunächst versuchen die Gärtner allerdings, die Linde noch zu erhalten. Der Pilz zersetzt das zentrale Wurzelwerk und den inneren Stamm des Baumes. Damit steigt die Gefahr, dass er bricht oder bei starken Stürmen und Unwettern gar umkippt. Die Gärtner entfernen keine befallenen Teile des Baumes, das ist bei dieser Krankheit nicht möglich. Sie können die Ausbreitung des Pilzes auch nicht eindämmen. "Was wir hier machen sind statische Maßnahmen", erklärt Landschaftsgärtner Christoph Chevallier, der die Arbeiten überwacht. "Wir sorgen dafür, dass der Baum noch eine Weile sicher stehen kann."

Die radikale Lösung, den Baum sofort zu fällen, erscheint offenbar allen Beteiligten als übertrieben. Das Landratsamt hat die Linde schließlich 1977 zum Naturdenkmal erklärt, weil sie besonders prägend für ihre Umgebung ist. So ein Denkmal, eines von 30 in der Stadt und etwa 150 im Landkreis, will man nicht von einem Tag auf den anderen einfach absägen. Tatsächlich wird die Linde durch die Kosmetik zunächst profitieren, weil sie an den Schnittstellen wieder austreiben und so äußerlich gesund und grün aussehen wird. Auf dem freien Feld könnte dieser Lebenskreislauf ewig so weitergehen. In der Stadt wird der alte Baum stattdessen zur Gefahr.

Fest steht allerdings, dass es keinen Schuldigen für den Pilzbefall gibt. Keinen, als das Alter, sagt Chevallier. Ob auf dem freien Feld oder zwischen Färbergasse und Gottesackerstraße - so ein Pilz könne früher oder später jeden Baum erwischen. Der Befall kann durch eine verletzte Wurzel ausgelöst und begünstigt werden. Doch wenn die Krankheit des Baumes so weit fortgeschritten ist wie jetzt, erklärt Chevallier, habe sie vermutlich schon vor 40 oder 50 Jahren begonnen.

Durch den "Abschied auf Raten", wie Deffner sagt, bleibt nun Zeit sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass die Linde irgendwann fehlen wird und auch zu überlegen, wie sie ersetzt werden könnte. Maximal zehn Jahre gibt Chevallier dem Baum noch. Dann wird der Pilz ihn von innen heraus so zerstört haben, dass er nicht mehr stehen kann. Deffner rechnet vorsichtshalber mit fünf Jahren. Er überlegt, einen Baumfonds anzulegen, damit in ein paar Jahren ausreichend Geld da ist, um einen halbwegs angemessenen Nachfolger zu pflanzen. Kein allzu zartes Pflänzchen. "Dass hier wieder ein so großer Baum steht, das werden wir ohnehin nicht mehr erleben", sagt er. Aber ein bisschen etwas hermachen muss der Nachfolger schon.

Eine neue Linde wird Deffner nicht pflanzen, denn sie könnte sich über ihr Wurzelwerk sofort wieder mit dem Pilz infizieren. Der Architekt möchte einen schnell wachsenden Laubbaum. Vielleicht eine Platane? Krankheiten kann jeder Baum bekommen. Nur können sie diese unterschiedlich gut verkraften. So können Buchen bestimmten Pilzen mehr Widerstand leisten. Deffner könnte über den Nachfolger nachdenken, während er zusieht, wie sich die Blätter der Linde langsam gelb färben. Und das werden sie auch noch im nächsten, im übernächsten und im überübernächsten Herbst tun.

© SZ vom 24.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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