Dachau:Der Kümmerer

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"In der aufsuchenden Jugendarbeit holst du die Jugendlichen da ab, wo sie gerade stehen", sagt Jürgen Reum - und kommt damit gut an. (Foto: Toni Heigl)

Streetworker Jürgen Reum hilft Jugendlichen durch schwierige Lebensphasen: begleitend, beratend und deeskalierend

Von Andreas Förster, Dachau

Wenn Jürgen Reum nachmittags und in den Abendstunden durch die Dachauer Parks radelt, wird er oft erkannt. Manche winken ihm zu, rufen freundlich "Hallo Jürgen!" Gelegentlich bleibt er stehen, plaudert, macht einen Scherz. "Der Jürgen ist ein guter Polizist", sagt einer der Jungs und zwinkert schelmisch. Denn wenn Reum etwas nicht ist, dann Polizist. Der Mittfünfziger ist Sozialpädagoge von Beruf, Streetworker aus Leidenschaft und seit 2008 der aufsuchende Jugendarbeiter der Stadt Dachau. Er greift ein, bevor die Polizei überhaupt ins Spiel kommt. Ein Kümmerer im Dienste der Jugendlichen. Vor allem derjenigen, die in der Tinte sitzen und in einer Phase sind, in der sie zu den eigenen Eltern eher wenig Vertrauen haben.

Wie David. Der 16-Jährige wohnt in der Nähe des Jugendzentrums Ost. Wegen schlechter Noten hat er gerade ziemlich Stress zu Hause und weiß nicht, was er tun soll. Jürgen leiht ihm erst mal sein Ohr. Dann verspricht er: "Ruf mich an, wir lernen morgen zusammen für die Mathe-Prüfung." Reum kennt keine Berührungsängste. "In der aufsuchenden Jugendarbeit holst du die Jugendlichen da ab, wo sie gerade stehen. Wenn sie dich akzeptieren, bist du Teil ihrer Welt." Und dann kann Reum behutsam Einfluss nehmen. Dazu gehört eine Menge Vertrauen.

Das Vertrauen hat er sich erarbeitet. Reum, aufgewachsen in München, fing 2002 als Sozialarbeiter in Dachau an. Da hatte er bereits 18 Jahre Berufserfahrung. Der Diplom-Sozialpädagoge arbeitete sowohl im Jugendzentrum Süd als auch im Juz Ost, kannte dadurch schon viele Jugendliche in Dachau persönlich. Der Wechsel zur Aufsuchenden Jugendarbeit im Jahr 2008 fiel dann leichter als erwartet: "Im Juz hatten manche ein Problem mit der Autorität, sie konnten sich schwer unterordnen. Als ich sie später auf der Straße wieder traf, waren sie plötzlich die Gastgeber - und hatten auf einmal keinen Grund mehr, feindselig zu sein." Da alles auf Freiwilligkeit beruht, fühlt sich auch keiner von ihm unter Druck gesetzt, erläutert Jürgen Reum. "Die aufsuchende Jugendarbeit ist ein sogenanntes niederschwelliges sozialpädagogisches Angebot, eine Art Beratung ohne bindende Wirkung."

Das Alter spielt in seinem Job keine Rolle. Was zählt, ist die Verschwiegenheit. Sie verschafft den guten "Leumund" in der Szene. "Der Jürgen ist keiner, der was rumerzählt", sagt David. Das wissen alle. Deshalb kommen sie auch mit ihren Problemen, wenn sie Ärger mit den Eltern haben, in der Partnerschaft, in der Schule, im Job oder bei der Suche nach einer Lehrstelle. Es sind zumeist Jungs, die er auf der Straße trifft. Mit richtigen Straftätern hat er selten zu tun. "Wenn meine Jungs Probleme haben, dann mit dem Schwarzfahren oder mit unbezahlten Handy-Verträgen oder auch mal Drogenmissbrauch, weil sie beim Kiffen erwischt wurden", berichtet Reum. In der Regel lädt er sie zum Termin in sein Büro. "Das ist für euch der wichtigste Termin in der Woche", schärft er ihnen dann ein. Wer ihn zweimal unentschuldigt verpasst, hat seine Chance erst mal verpasst. "Der muss mir dann schon glaubhaft zeigen, dass er wirklich etwas ändern möchte", sagt Reum. Als Streetworker müsse man beides können: deeskalieren oder, wenn es sein muss, auch mal gezielt provozieren, um einem jungen Mann wieder "in die Spur zu helfen".

Es gibt viele Stellen, an denen sich die Jugendlichen in Dachau treffen: in den Parks, im Freibad, am Stadtwald, auf öffentlichen Bolz- und Basketballplätzen, am Eisstadion. Reum kennt sie alle. Einer seiner Lieblingsplätze ist die Skateranlage an der Kufsteiner Straße. Hier halten sich im Sommer manchmal weit mehr als 50 Jugendliche und junge Erwachsene auf. Zum Skaten, Biken oder einfach nur zum Chillen. Die Anlage hält Reum für besonders geglückt, weil sie eine der wenigen ist, auf der sich sowohl Skater als auch Biker wohlfühlen und miteinander klarkommen: "Das hat man schon bei der Planung berücksichtigt, manche Rails wurden bewusst etwas höher gemacht, damit auch die BMX-Fahrer sie benutzen können."

Den jährlichen Skate- und Bike-Contest, der an diesem Samstag, 11. Juli, von 14 Uhr an stattfindet, organisiert Reum zusammen mit dem Team vom Jugendzentrum Süd. Ein Highlight für den Streetworker, genau wie das Volksfest. Da trifft man ihn am Autoscooter, wahrscheinlich im Gespräch mit einem Jugendlichen. Wenn er da ist, kann man sicher sein, dass der Stress draußen bleibt.

Alle wichtigen Informationen zum Thema "Jugend in Dachau" findet man unter www.dachau.de/bildung-soziales/jugend-in-dachau.html.

© SZ vom 11.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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