Unschöner Vorfall im Bus:Beengte Verhältnisse

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Eine junge Mutter soll mit ihrem Sohn im Kinderwagen aus einem Linienbus verwiesen worden sein. Der Fall zeigt, dass bestimmte Fahrgäste im öffentlichen Nahverkehr eklatant benachteiligt sind

Von Gregor Schiegl, Dachau

Ein Dachauer Busfahrer soll eine junge Mutter mit ihrem Kind aus dem Bus verwiesen haben. Es sei nicht genügend Platz im Fahrzeug. Der Vorfall lässt den Busfahrer besonders hartherzig erscheinen. Die Verkehrsbetriebe geben ihm in der Sache aber recht. Allerdings räumte der Leiter der Verkehrsbetriebe Reinhard Dippold im Gespräch mit der SZ ein, dass der Platz für Kinderwagen und Rollstühle in Bussen tatsächlich sehr begrenzt ist. Üblicherweise findet sich im kleineren Citybus nur Platz für jeweils einen davon. In den normalen Gelenkbus passen zwei.

Die Münchner Abendzeitung, die den Fall publik gemacht hatte, schildert den Hergang so: Am Vormittag sei die 20-jährige Mutter mit dem Kinderwagen in den Bus der Linie 719 gestiegen. Ihr Sohn musste zum Kinderarzt nach München. "Im Bus war viel Platz", gibt die Zeitung die Dachauerin wieder, "nur drei oder vier Passagiere waren an Bord." Darunter eine Frau mit einem etwa vier Jahre alten Kind im Buggy.

"Sie müssen aussteigen", solle der Busfahrer "nicht unbedingt freundlich" gesagt haben. Die junge Frau war irritiert. "Wieso, da ist doch jede Menge Platz." "Sie müssen aussteigen", wiederholte der Fahrer. "Ich steig' aber nicht aus", protestierte sie. Der Busfahrer ging zum vertraulichen "Du" über: "Entweder du steigst jetzt aus, oder ich fahre keinen Meter weiter." Es sei nur Platz für einen Kinderwagen im Bus, mehr dürfe er nicht mitnehmen. Ob sich der Vorfall tatsächlich so zugetragen hat, weiß man nicht. So ist im AZ-Bericht zu lesen, die junge Frau habe 20 Minuten auf den nächsten Bus warten müssen, obwohl der 719er im 10-Minuten-Takt verkehrt - auch am besagten Tag. Dennoch: "Ein Fehlverhalten des Busfahrers kann ich nicht generell ausschließen", sagt Reinhard Dippold. Dieses Fehlverhalten beträfe dann allerdings nur den Ton, in dem der Busfahrer mit der jungen Frau sprach. In der Sache habe sich der Fahrer absolut korrekt verhalten. "Unsere oberste Prämisse ist es, unsere Fahrgäste sicher zu transportieren." Nachdem kein Platz mehr im Bus vorhanden gewesen sei, an dem man mit Kinderwagen sicher stehen kann, habe der Fahrer die junge Mutter zu Recht abgewiesen. Sie ist nicht die Erste, die diese Erfahrung machen muss. "So etwas haben wir hier jede Woche", sagt Dippold.

Platz für viele Fahrgäste, aber nur für einen im Rollstuhl und einen im Kinderwagen: ein Dachauer Citybus. (Foto: Niels P. Joergensen)

Ganz offensichtlich gibt es Fahrgäste, die in Bussen eklatant benachteiligt sind. Dazu gehören neben Eltern mit Kinderwagen auch Rollstuhlfahrer. "Nach Möglichkeit soll das Betriebspersonal dafür sorgen, dass Fahrgäste mit Kind im Kinderwagen und Rollstuhlfahrer nicht zurückgewiesen werden", heißt es in den Beförderungs- und Tarifbestimmungen des MVV. Es heißt aber auch: "Die Entscheidung über die Mitnahme liegt beim Betriebspersonal." Zwar haben die Stadtwerke eine Haftpflichtversicherung, die Schäden übernimmt, aber sie haftet nicht in jedem Fall. "Der Fahrer trägt die Verantwortung für seine Fahrgäste", sagt Dippold.

Vor zwei Jahren habe ein Rollstuhlfahrer einmal seine sichere Nische im Bus verlassen, erzählt er. Es gab eine Vollbremsung, der Rollstuhlfahrer schoss durch den Mittelgang. Als der Busfahrer dies bemerkte, versuchte er ihn noch festzuhalten. Dabei wurde er am Arm schwer verletzt. Mehr als neun Wochen war er krankgeschrieben. "Man sollte nicht unterschätzen, was da alles passieren kann."

"ÖPNV und behindertengerecht, das ist immer schwierig", sagt Wolfgang Rettinger, Behindertenbeauftragter des Landkreises. Und eine Frau mit Kinderwagen sei ja auch " temporär behindert". Den Ärger der jungen Mutter könne er zwar verstehen, er hält aber die Argumentation der Verkehrsbetriebe für zwingend: "Sicherheit geht vor." Deswegen ist Rettinger auch damit einverstanden, dass die Elektromobile 2016 aus dem ÖPNV verbannt werden sollen, weil sie sich als nicht kippsicher herausgestellt haben. "Die Hersteller und Händler ignorieren das Problem", klagt Rettinger. Er rät ÖPNV-Nutzern lieber einen Elektrorollstuhl zu kaufen, der ist erlaubt - wenn sich der Platz im Bus findet.

Reinhard Dippold, Leiter der Dachauer Verkehrsbetriebe, gibt dem Busfahrer in der Sache recht. (Foto: Niels P. Joergensen)

Soll man es dennoch hinnehmen, dass Rollstuhlfahrer und Mütter immer wieder mit Kinderwagen auf der Straße stehen bleiben? Müsste man die Busse nicht entsprechend umrüsten? Eine Diskussion über den Zuschnitt der Dachauer Busse hält Dippold zumindest mittelfristig für sinnvoll. "Man muss sich ja auch auf den demografischen Wandel einstellen." Noch sieht er aber keinen akuten Handlungsbedarf: Täglich transportierten Dachaus Busse etwa 10 000 Menschen, darunter seien nur fünf oder sechs Rollstuhlfahrer. Um einen zusätzlichen sicheren Standplatz zu schaffen, müsste man zwei Platzreihen herausnehmen. Aber das würde ein anderes Problem verschärfen: "Fahren Sie mal morgens um halb acht mit dem Bus. Egal auf welche Linie, alle sind total überfüllt." Im Jahr sind die Dachauer 3,2 Millionen mal im Linienbus unterwegs.

© SZ vom 11.03.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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