Dachau:Beeindruckende Lebensgeschichte

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An seinem 96. Geburtstag überreichte Jugendgästehaus-Leiterin Nina Ritz Max Mannheimer die fertige Übersetzung. (Foto: oh)

Max Mannheimers "Spätes Tagebuch", seine Erinnerungen an den Holocaust, liegt jetzt in einer russischen Übersetzung vor

Von Anna-Sophia Lang, Dachau

Es war eine Überraschung für Max Mannheimer. Eine, über die sich der Holocaust-Überlebende und Vorsitzende der Lagergemeinschaft Dachau sehr gefreut hat, wie er sagt. Am 6. Februar, seinem 96. Geburtstag, überreichte ihm Jugendgästehaus-Leiterin Nina Ritz ein Buch. Vorne ein Bild von ihm, Mannheimer, darüber der Titel in kyrillischer Schrift: Die russische Übersetzung von "Spätes Tagebuch". Es sind Mannheimers Erinnerungen an ein Leben voll unsäglichem Schmerz, an das Leid, das er in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten erlebte, an viele Familienangehörige, die er an der Rampe von Auschwitz-Birkenau zum letzten Mal sah.

Eigentlich waren seine Erinnerungen nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen. Mannheimer schrieb sie 1964 für seine Tochter auf, nach dem Tod seiner Frau, der ihn in eine schwere Lebenskrise stürzte. Mehr als zwei Jahrzehnte später wurde der Text als Buch veröffentlicht. Genau wie Mannheimers zweites Buch, "Drei Leben", wurde es in viele Sprachen übersetzt: Englisch, Tschechisch, sogar Japanisch. Auf Russisch gab es aber bisher noch keines der beiden. "Jede Übersetzung hat ihre eigene Geschichte", sagt Nina Ritz. Die englische hat ihren Ursprung in den Dachauer Heften, den Kontakt in seine tschechische Heimat stellte Mannheimer selbst her, die japanische Version entstand im Zusammenhang mit dem Dokumentarfilm "Der weiße Rabe", der Manneimers Leben nachzeichnet und den Regisseurin Carolin Otto später auch in japanischen Schulen und Universitäten zeigte.

Die Geschichte der russischen Übersetzung beginnt mit dem Besuch einer Lehrerin aus Uljanowsk. Es ist einige Jahre her, da kam Elena Albucova ins Jugendgästehaus nach Dachau. Bei einem Zeitzeugengespräch lernte sie Max Mannheimer kennen. Es war eine Begegnung, die sie nicht mehr losließ. "Sie war von seiner Lebensgeschichte beeindruckt und fand, dass sie auch für russische Leser wichtig ist", sagt Nina Ritz. Albucova beschloss, Mannheimers Tagebuch zu übersetzen. Gemeinsam mit einem Kollegen und Übersetzer machte sie sich an die Arbeit.

Vor etwas mehr als einem Jahr, kurz bevor er 95 wurde, übergab Mannheimer das fertige Manuskript an das Jugendgästehaus zur Überarbeitung. "Mit sehr viel Herzblut", wie Nina Ritz sagt, lektorierte Jugendgästehaus-Mitarbeiterin Verena Brunel den Text. Sie ist Dolmetscherin für Russisch und arbeitet regelmäßig für das Münchner Institut für Zeitgeschichte. Pünktlich zu Mannheimers 96. Geburtstag sollte das Manuskript fertig übersetzt, das Buch gestaltet und gedruckt sein. "Es wurde ein spannender Wettlauf mit der Zeit", sagt Ritz, "am Ende war es ein großer Erfolg für alle Beteiligten." Einen Tag vor der Geburtstagsfeier, am 5. Februar, kamen die fertigen Exemplare an. 150 Stück hat das Jugendgästehaus zunächst drucken lassen. Einige will Ritz an jüdische Gemeinden und Kulturzentren für deren Bibliotheken schicken. Andere sollen im Jugendgästehaus bleiben. So können Gruppen aus Russland bei den Seminaren und der Internationalen Jugendbegegnung, die jedes Jahr im Sommer stattfindet, damit arbeiten. Bei Einzelinteresse kann sich Ritz auch vorstellen, Exemplare gegen Spenden für das Jugendgästehaus heraus zu geben. Außerdem hat Ritz vom Piper-Verlag, bei dem Mannheimers "Spätes Tagebuch" auf Deutsch erschienen ist, zwei Kontakte zu russischen Verlagen in Sankt Petersburg und Moskau bekommen. "Es wäre interessant, Kontakte nach Russland zu knüpfen." Ob daraus etwas wird und sein Buch tatsächlich in Russland erscheint, bezweifelt Max Mannheimer. Froh, dass es jetzt eine russische Übersetzung gibt, ist er trotzdem. Ein paar Brocken Russisch spricht er sogar selbst. "Aber nur, um anzugeben."

© SZ vom 11.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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