Dachau:Aus der Geschichte lernen

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Historiker Helmut Beilner bei seinem Vortrag im Thoma-Haus. (Foto: Toni Heigl)

Der Verein "Zum Beispiel Dachau" erinnert mit einem Vortrag an den Beginn des Zweiten Weltkriegs

Von Julian Erbersdobler, Dachau

Viele Menschen mag das Gewitter nach der langen Hitze und Dürre erleichtert haben. Karl Hönle gehört an diesem ersten September nicht dazu. Der Vorsitzende des Geschichtsvereins "Zum Beispiel Dachau" zeigt sich sichtlich genervt - denn der Erchana-Saal im Ludwig-Thoma-Haus ist schlecht besucht. Höchstens 20 Geschichtsinteressierte haben den Wetterverhältnissen getrotzt, um sich Helmut Beilners Vortrag über den Weg zu jenem ersten September im Jahr 1939 anzuhören, an dem der Zweite Weltkrieg begann.

Auf den Referenten ist der spärliche Besuch sicherlich nicht zurückzuführen. Der Historiker, Jahrgang 1940, hinterlässt beim Publikum einen durchweg positiven Eindruck. Nach seinem Vortrag sagt eine Frau zu ihm: "Ich hätte Ihnen gerne noch länger zugehört." Immer wieder unterstreichen Bilder, Karikaturen und Grafiken Beilners Aussagen. Er würzt seinen Vortrag mit Originalzitaten, kommentiert, lässt der Geschichte aber auch ihren Raum. Der Historiker verzichtet auf Spekulationen und Was-wäre-wenn-Analysen. Stellung bezieht er besonders in den ersten Minuten seines Vortrags, als es darum geht, ob "Kriege ausbrechen" können, wie es oft in Dokumentationen und Filmen heißt. "Kriege brechen nicht einfach so aus", sagt er mit Nachdruck. Sein Appell: "Das müssen wir unseren Kindern klar machen!"

Helmut Beilner stammt aus dem Sudetenland. Nach seiner Zeit als Lehrer war er lange Jahre Universitätsprofessor in Bayreuth und Passau, zuletzt auch in Regensburg. Beilners Lehrstuhl: Didaktik der Geschichte. Mit verschiedenen Vorträgen hat er sich im Landkreis einen Namen gemacht. Beilner lebt in Schwabhausen.

Während des Vortrags lässt der Historiker auch persönliche Einblicke in seine eigene Geschichte zu. Er berichtet vom großen Hass seiner Verwandtschaft auf Tschechien. Von einem Rezept, das eine Zuzana unterschrieben hat - für seine Tante ein Grund, auf die Medizin zu verzichten. Woher kam die Wut? Die Antwort sei ganz trivial, sagt Beilner. Sein Großvater verlor den Job, die Stelle ging schließlich an einen Tschechen. Später erzählt er, wie sehr sich seine älteren Cousins danach gesehnt hätten, endlich Soldat in der Wehrmacht zu werden. Im nächsten Satz überträgt der Referent seine Erfahrungen auf das große Ganze: "Es ist nicht so einfach, wie heute viele sagen: Im Ersten Weltkrieg war die Begeisterung im Volk ungehemmt, im Zweiten total verhalten." Beilner legt großen Wert auf Differenzierung, das wird an vielen Stellen deutlich. Zur besseren Illustration zeigt er auch einige Karikaturen. Das Hauptmotiv: Adolf Hitler. Eine französische Abbildung zeigt ihn als "Mann mit zwei Gesichtern", dessen Identität sich in der Mitte aufspaltet. Links hält er ganz in Schwarz gekleidet eine Friedenstaube in der Hand. Rechts wird Hitler in kampfbereiter Montur, Gewehr und Hakenkreuz auf der Armbinde dargestellt.

Passend zum Thema zitiert Beilner einen Auszug aus Hitlers erster Rede vor dem Reichstag am 17. Mai 1933: "Indem wir in grenzenlose Liebe und Treue an unserem eigenen Volkstum hängen, respektieren wir andere Völker aus dieser selben Gesinnung heraus und möchten aus tiefinnerstem Herzen mit ihnen in Frieden und Freundschaft leben." Nicht nur in diesem Zusammenhang bezeichnet der Historiker Adolf Hitler als "Schachspieler". In einer Grafik wird deutlich, in welch irrwitzigem Tempo er die eigenen Spielfiguren, die deutsche Wehrmacht, innerhalb weniger Jahre für den Krieg rüstete. Während der schwarze Balken mit den Investitionskosten für das Jahr 1935 bei etwa fünf Milliarden Reichsmark endet, steigen die Ausgaben im Jahr 1938 auf mehr als das Dreifache. Die übrigen angeführten Posten fallen kaum ins Gewicht.

Zum Ende seines Vortrags nimmt sich Helmut Beilner ein weiteres Zitat zur Brust. Diesmal stammt es allerdings von Immanuel Kant. Entgegen der Meinung des Philosophen sei er davon überzeugt, sagt Beilner, dass man aus der Geschichte lernen könne. Das Echo des Saals: lautstarker Applaus.

Karl Hönle vom Verein "Zum Beispiel Dachau" kann von diesem Abend auch einiges mitnehmen, erzählt er nach dem Vortrag. "Im kommenden Jahr werden wir die Vorbereitungen etwas anders gestalten." Den Termin zum ersten September könne man aber nicht einfach verschieben, so Hönle weiter. "An diesem Tag haben wir nun mal Polen angegriffen", sagt er. Seit 2014 erinnert der Verein mit einer Veranstaltung an den Beginn des Zweiten Weltkriegs.

© SZ vom 04.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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