Dachau:Angst vor dem Sohn

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25-Jähriger geht immer wieder auf seine Mutter los und wird zu sieben Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt

Von Benjamin Emonts, Dachau

Peter F. (Name geändert) kann seiner Mutter nicht mehr richtig in die Augen schauen. Sie sitzt keine zwei Meter gegenüber von ihm, im Zeugenstand des Dachauer Amtsgerichts. F. blickt immer wieder für den Bruchteil einer Sekunde zu ihr hinüber, ganz kurz. Er würde sie vermutlich gerne länger ansehen und vielleicht auch in den Arm nehmen. Doch er kann es nicht. Dafür ist einfach zu viel passiert zwischen ihm und seiner Mutter.

Zuletzt, Ende März dieses Jahres, endete einer von unzähligen Streits in einem tätlichen Angriff des 25-Jährigen auf seine Mutter. Deshalb und wegen Sachbeschädigung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte musste sich F. am Montag nun vor dem Dachauer Amtsgericht verantworten.

Nach außen hin wirkt Peter F. unsicher, fast schon verstört. Dem Gericht seine persönlichen Verhältnisse zu schildern, ist ihm offensichtlich unangenehm. Wie sollte es auch anders sein? Peter F. hat die Hauptschule und eine Ausbildung vorzeitig abgebrochen. Er ist seit Jahren arbeitslos, hat keinen Abschluss, keine Freundin oder sonst irgendetwas, worauf er stolz sein könnte. Sein Vater nahm sich das Leben, als F. in die achte Klasse ging. Seine Mutter, so sagt er dem Gericht, "wollte mich nie haben". Seine Zwillingsschwester, die später die Aussage verweigern wird, sei immer bevorzugt worden. Über das Verhältnis zu Schwester und Mutter sagt er: "Eigentlich hassen wir uns. Wir sind nie miteinander klar gekommen, haben uns bei jeder Kleinigkeit angeschrien." Und doch lebte F. bis vor wenigen Monaten noch zu Hause.

Im November 2015 trat er dort die Haustüre ein, weil seine Mutter eine Freundin nicht reinlassen wollte. Sachbeschädigung. Wenige Monate später kam es zu einem heftigen Streit, weil F. mitten in der Nacht die Musik laut aufdrehte. Den zu Hilfe gerufenen Polizeibeamten widersetzte er sich mit aller Kraft. Sie mussten den jungen Mann auf den Boden drücken und mit Handschellen fixieren. Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte. Im März wieder das gleiche Spiel. Der 25-Jährige kam nachts mit zwei Promille nach Hause und machte laute Musik. Seine Mutter drehte die Sicherung raus. F. ging darauf hin in ihr Schlafzimmer und schubste eine neben dem Bett stehende, 1,60 Meter große Kommode auf sie. Die 59-Jährige erlitt dabei eine stark blutende Platzwunde am Kopf. Gefährliche Körperverletzung. "Meine Wohnung sah danach aus wie ein Schlachtfeld. Wenn meine Tochter nicht den Rettungsdienst gerufen hätte, wäre ich verblutet", ist die Mutter noch heute schockiert.

Vor Gericht sieht sie ihren Sohn zum ersten Mal wieder seit dem Vorfall. Das Dachauer Familiengericht hat F. bis Oktober jeglichen Kontakt zu seiner Familie untersagt. Er lebt seither bei Freunden oder übernachtet draußen auf irgendwelchen Bänken, so sagt er.

Seine Mutter, das beteuert sie zumindest, wollte immer verhindern, dass es so weit kommt. Doch anders als mit einer Anzeige habe sie sich nicht mehr zu helfen gewusst. Die Aggressionen ihres Sohnes seien von Jahr zu Jahr schlimmer geworden. Nach dem Selbstmord des Vaters sei es schulisch steil bergab gegangen. F., der fast immer arbeitslos war, habe angefangen zu trinken. Besoffen soll er dann regelmäßig ausgerastet sein zu Hause. Die Mutter berichtet von blauen Flecken, Platzwunden und unzähligen Sachbeschädigungen. "Ich hatte panische Angst, wenn er getrunken hatte", sagt sie. Ihre Wohnung habe sie inzwischen verkauft. "Wenn er weiß, wo ich wohne, habe ich Angst, dass er wieder vor der Tür steht. Nächstes mal überlebe ich vielleicht nicht."

Nach dem jüngsten Vorfall rief sie erneut die Polizei und erstattete Anzeige. "Ich habe darin die letzte Möglichkeit gesehen, dass meinem Sohn noch geholfen wird", sagt sie. "Er kann ja nichts dafür. Er bräuchte therapeutische Behandlung." Amtsrichter Lukas Neubeck verurteilt den 25-Jährigen zu sieben Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung und 80 Sozialstunden. Seine Mutter und Schwester verfolgen die Urteilsverkündung mit Tränen in den Augen. Als Peter F. das Gerichtsgebäude verlässt, nimmt er seine Schwester in den Arm und redet mit ihr. Seine Mutter wartet vorsichtshalber in 20 Metern Entfernung.

© SZ vom 21.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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