Dachau:Altersheime statt Kindergärten

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Dachaus Bevölkerung wächst. Doch auf lange Sicht nimmt nicht die junge Bevölkerung zu, sondern die ältere. Der Verfasser des Demografieberichts mahnt die Stadträte, frühzeitig Vorsorge zu treffen

Von Viktoria Großmann, Dachau

Die Stadt Dachau wird sich auf eine steigende Nachfrage nach Kinderbetreuung einstellen müssen. Jedoch nicht, weil die Bevölkerungszahl wächst, sondern weil es kaum noch Eltern geben wird, die ihre Kinder zu Hause betreuen: Sinneswandel also statt Baby-Boom. So lautet jedenfalls die Prognose von Christian Rindsfüßer. Der Statistiker hat gemeinsam mit der Stadtplanerin Carola Seis den Demografiebericht für die Stadt Dachau fortgeschrieben. Demnach wuchs die Bevölkerung in den vergangenen Jahren immer schneller. Eine erste Prognose hatte die Stadt im Jahr 2010 erstellen lassen. Der neue Bericht soll Grundlage aller weiteren Planungen zur Stadtentwicklung sein, das hat der Stadtrat in der jüngsten Sitzung einstimmig beschlossen.

Zuvor hatten die beiden Wissenschaftler ihre Daten vorgestellt. Die 46 000-Einwohner-Grenze hat Dachau demnach längst überschritten. Zum 31. Dezember 2014 zählte das statistische Landesamt 45 958 Menschen in der Stadt. Groß ist nicht nur die Zuwanderung, groß ist auch die Abwanderung. Auch wenn die sogenannten Wanderungsgewinne ständig wachsen - vor allem die Fluktuation der Bewohner ist groß. Zwischen 2012 und 2014 zogen zwar etwa 3700 Menschen nach Dachau - etwa 3000 zogen aber auch weg. Es bleibt ein Zuwachs von etwa 700 Menschen. Bis 2032 könnten etwas mehr als 50 000 Menschen in Dachau leben.

Die Neubürger sind Dachaus Jungbrunnen. Was überall in der Republik beschworen wird: Nur Zuzügler können die Überalterung der Gesellschaft aufhalten, das ist in Dachau evident. Statistiker Rindsfüßer rechnet vor, was aus Dachau werden würde, gäbe es überhaupt keinen Zuzug. Dann würde Dachau innerhalb der nächsten 17 Jahre vier Prozent seiner Bevölkerung verlieren. Wie überall in Deutschland ist nämlich die Geburtenrate niedrig. Derzeit liegt sie in Dachau bei 1,44 Kindern pro Frau, das entspricht dem bundesdeutschen Durchschnitt. Besser ausgedrückt: Die meisten Paare bekommen nur ein Kind. Wenn relativ viele Menschen dieses Kind jedoch in Dachau bekommen, auch wenn sie später wieder wegziehen, dann bleibt die Zahl der Geburten in Dachau weiterhin vergleichsweise hoch. Zwischen 400 und 430 Kinder werden in Dachau jedes Jahr geboren. Bis 2032 wird sich diese Zahl konstant leicht verkleinern, obwohl die Bevölkerung weiter wachsen soll. So die Berechnung des Statistikers.

Trotz Zuzug und seiner Lage in der prosperierenden Metropolregion München nämlich wird auch Dachau dem Schicksal der Alterung nicht ganz entgehen. Die Gruppe der Menschen, die mehr als 60 Jahre alt sind, wird bis 2032 am stärksten wachsen. Sind heute knapp 11 000 Dachauer 60 Jahre und älter, sollen es in 17 Jahren knapp 16 000 sein. "Denken Sie über Ihre Infrastruktur nach!", sagte Rindsfüßer. Aufgeregtes Geraune und Gemurmel ging durch die Reihen der Stadträte, als der Statistiker darauf hinwies, dass die Stadt breite Gehwege, ambulante Pflegedienste und Altersheime brauchen werde.

Wer über Geburtenraten redet, muss auch über Sterbefälle sprechen. In 17 Jahren soll es schon jährlich 13 Prozent mehr Sterbefälle geben als heute. Im Stadtgebiet Nordwest sind es 30 Prozent mehr und im Stadtgebiet Südost sogar 90 Prozent. "Da werden Wohnungen frei", sagt der Fachmann. Klingt hart, ist aber eine bedeutende Komponente in der Planung von Siedlungsentwicklung.

Die Fachleute taten sich schwer, die Entwicklung des MD-Geländes in ihre Prognosen einzubeziehen. Wie Bauamtsleiter Michael Simon sagte, werde sich die Stadt an den zwei Modellen, die Seis und Rindsfüßer entwickelt haben, orientieren. Darin nehmen sie zum einen ein moderates, zum anderen ein stärkeres Wachstum an. Das kann zu einer Einwohnerzahl von etwa 50 000 oder auch bis zu mehr als 52 000 im Jahr 2032 führen. Die Zahlen klingen vergleichsweise gering angesichts des großen Flächenpotenzials, das die Stadt Dachau noch hat. Das MD-Gelände mit seinen 16,2 Hektar ist noch der geringste Teil davon. Insgesamt, so hat Stadtplanerin Seis errechnet, verfügt Dachau noch über 134 Hektar potenzielle Baufläche. Mehr als die Hälfte davon, 62 Hektar, sind Baulücken und wenig bebaute Flächen. Der Rest sind Planungsgebiete, wie das MD-Gelände. Besonders die Stadtgebiete im Süden und im Nordwesten könnten noch eine große Verdichtung erleben. Wenn Dachau diese Möglichkeiten auch nur zu 70 Prozent in den nächsten 17 Jahren ausschöpft, sind die Wanderungsgewinne deutlich höher, als Rindsfüßer sie aufgrund der jetzigen Wohnsituation annimmt. Würden bis 2032 nämlich 4100 Wohnungen gebaut, könnte die Stadt 8150 Neubürger begrüßen.

Auffallend in allen Szenarien ist die besonders starke Wanderungsbewegung bei den 20- bis 40-Jährigen, davon noch stärker bei den bis 30-Jährigen. Wie man die jungen Leute halten könne, fragte SPD-Stadtrat Sören Schneider. Rindsfüßer riet dazu, den Heranwachsenden Angebote zu machen, damit die Stadt für sie attraktiv bleibt. Dazu gehöre nicht nur, aber auch entsprechender Wohnraum, seien es Studentenwohnheime oder WG-geeignete Appartements. Den über 30-Jährigen solle hingegen die Rückkehr ermöglicht werden. Fläche gibt es genug. Die Stadt muss entscheiden, was sie darauf anfängt.

© SZ vom 18.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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