Dachau:598 Katholiken verlassen die Kirche

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Mehr Gläubige im Landkreis als jemals zuvor sind im vergangenen Jahr ausgetreten. Stadtpfarrer und Dekan Wolfgang Borm sieht die Affäre um den Bischof Tebartz-van Elst und die Missbrauchsfälle als Ursache an

Von Verena Jugel, Dachau

Pfarrer Wolfgang Borm treiben die aktuellen Zahlen der Kirchenaustritte um, die die Deutsche Bischofskonferenz in Bonn kürzlich veröffentlicht hat. Die Statistik, die der Dachauer Dekan auf den Tisch in der Pfarrei Sankt Jakob legt, ist besorgniserregend. Sie zeigt: Insgesamt 598 Katholiken sind im Landkreis Dachau im vergangenen Jahr aus der Kirche ausgetreten. Das entspricht einem Anstieg von rund 48 Prozent im Vergleich zum Vorjahr - 2012 waren es noch 405 Austritte. "Diese Zahlen muss man ernst nehmen", sagt Borm bedrückt. Die Gründe für den "merklichen Anstieg" weiß er aber: "Sicherlich haben die schlechten Nachrichten um den Limburger Bischof Tebartz-van Elst und auch die Missbrauchsfälle daran mitgewirkt", sagt Borm. Das Image der Kirche habe darunter gelitten.

Darüber hinaus meint der Dekan eine generelle Entwicklung in der Gesellschaft festzustellen, in der die Bedeutung der Kirche für das persönliche Leben der Menschen abgenommen habe. "Die innere Bindung zur Kirche ist nicht mehr so da, wie sie einmal war", hält Borm fest. "Da müssen wir uns fragen, was das für die Gesellschaft heißt, wenn die Stimme der Kirche nicht mehr so gehört wird", sagt er.

Tatsächlich liegt der Landkreis Dachau mit der schrumpfenden Zahl an Kirchenmitgliedern im bundesweiten Trend, wie die aktuelle Kirchenstatistik der Deutschen Bischofskonferenz belegt. Insgesamt 178 805 Menschen in Deutschland sind im Jahr 2013 aus der katholischen Kirche ausgetreten - fast so viele wie im Jahr 2010, als der Missbrauchsskandal bekannt wurde. Im Vergleich zum Jahr 2012 bedeutet dies einen Anstieg von mehr als 50 Prozent. Und auch in den anderen Landkreisen der Erzdiözese München und Freising sprechen die Zahlen eine ähnliche Sprache: In Fürstenfeldbruck etwa hat sich die Zahl der Kirchenaustritte in einem Jahr von 627 auf 903 erhöht, in der Landeshauptstadt München von 5488 auf 7382 und in der gesamten Erzdiözese von 11 517 Austritten im Jahr 2012 auf 16 033 im vergangenen Jahr.

Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, bezeichnete diese Zahlen in einer Erklärung als "schmerzlich". Das zweite Halbjahr 2013 habe offenbar zu einem Vertrauens- und Glaubwürdigkeitsverlust für die Kirche geführt, wie der Erzbischof von München und Freising einräumt. "Der hohen Austrittszahl müssen wir begegnen, indem wir immer wieder versuchen, auf allen Ebenen Vertrauen zu schaffen", betonte Marx.

Dem Dachauer Christian Weisner von der bundesweit aktiven Kirchenvolksbewegung "Wir sind Kirche" ist das nicht genug.

Wolfgang Borm, Pfarrer von St. Jakob, ist seit 2007 auch Pfarradministrator von Mariä Himmelfahrt. Die Seelsorger wählten ihn zum Dekan für die Stadt und 2008 für den Landkreis. (Foto: Jörgensen)

Seit Jahren fordert er grundlegende Reformen der katholischen Kirche und sieht die aktuelle Austrittswelle als "dramatisches Warnsignal": "Die Kirchengemeinden sollten sich mehr auf die Arbeit mit den Menschen konzentrieren", sagt Weisner. Ihm schwebt eine Mitmachkirche vor, in der auch Laien Aufgaben in der Gemeinde verantwortlich übernehmen sollen. "So könnte langfristig wieder Vertrauen aufgebaut werden", erklärt der engagierte Katholik der Süddeutschen Zeitung. Um Glaubwürdigkeit aufzubauen, " gibt es leider kein einfaches Rezept", sagt Dekan Borm. Er plädiert dafür, dass sich die Kirche künftig weniger um sich selbst drehen, sondern sich wieder mehr auf ihre eigentliche Aufgabe konzentrieren sollte: "Die Menschen zu sensibilisieren für ein Leben, in dem jeder die Chance hat, in seiner ihm von Gott zugesprochenen Würde zu leben."

Auch die weiteren Zahlen der Kirchenstatistik für den Landkreis Dachau belegen, dass viele Katholiken ihrer Kirche den Rücken kehren: Nahmen 2012 noch durchschnittlich 10,8 Prozent der rund 75 800 Katholiken in Dachau am Gottesdienst teil, waren es 2013 nur noch 9,5 Prozent. Die Anzahl der Erstkommunionen ging ebenfalls von 775 im Jahr 2012 auf 699 im Jahr 2013 zurück. Getauft wurden im Jahr 2013 in Dachau 574 Personen, im Vorjahr noch 587. Der Grund für diesen Rückgang sei wahrscheinlich der demografische Wandel, sagt Borm. "Da muss man zunächst einmal schauen, wie viele junge Leute hier heute überhaupt leben, um etwas sinnvoll vergleichen zu können", stellt der Dekan fest.

© SZ vom 07.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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