Coronavirus im Landkreis Dachau:Einsam im Kreißsaal

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Wegen der Coronakrise wächst bei Schwangeren, Hebammen und Frauen, die über eine Abtreibung nachdenken, die Verunsicherung. Viele fühlen sich mit ihren Fragen allein gelassen. Die Geburtshelfer beklagen einen Mangel an Schutzausrüstung

Von Jacqueline Lang

Die Liste der Menschen, die von den Folgen der Corona-Pandemie betroffen sind, wird von Tag zu Tag länger - auch wenn sich in manchen Fällen zum jetzigen Zeitpunkt noch gar nicht genau sagen lässt, wie diese Betroffenheit im einzelnen aussehen wird. Genau das führt aber gerade bei Hebammen, Schwangeren, aber auch Frauen, die über eine Abtreibung nachdenken, zu großer Verunsicherung. Vor allem nachdem das gesamte Helios Amper-Klinikum kurzzeitig geschlossen werden musste, tauchten auch in den Sozialen Medien zahlreiche Fragen auf. Eine Petershausenerin, deren Geburtstermin kurz bevor steht, etwa schreibt: "Wo soll man denn jetzt sein Baby bekommen?" Die Geburtshilfe des Klinikums hat ihre Arbeit zwischenzeitlich zwar wieder regulär aufgenommen und wurde vom restlichen Krankenhausbetrieb getrennt - doch die Verunsicherung bei vielen bleibt.

Florian Ebner kann das nachvollziehen. Er ist Chefarzt der Gynäkologie und Geburtshilfe am Helios Amper-Klinikum Dachau und bei ihm haben sich der Wiedereröffnung schon viele werdende Eltern nach der aktuellen Situation erkundigt. In der Regel seien diese aber von den getroffenen Vorsichtsmaßnahmen "sehr angetan", so zumindest sein Eindruck. Auch dass die Frauen zu den Untersuchungsterminen nur noch alleine kommen könnten, sei auf Verständnis gestoßen. "Zumal wir anbieten, den Partner per Videokonferenz hinzuzuschalten. Damit sind die Begleiter nicht ausgeschlossen, sie sind nur nicht physisch anwesend", so Ebner. Und im entscheidenden Moment, also während der Geburt darf in Dachau - anders als in anderen Kliniken in Deutschland - auch nach wie vor der Partner oder eine andere Begleitperson dabei sein. Eine Entscheidung die der Deutsche Hebammenverband begrüßt: "Gerade während der Corona-Pandemie erfüllen begleitende Vertrauenspersonen wichtige Funktionen, nicht zuletzt geben sie mentale Unterstützung", heißt es in einer Pressemitteilung des Verbands.

Florian Ebner ist Chefarzt der Gynäkologie. (Foto: Helios-Amper-Klinikum)

"Die Geburt ist etwas sehr Persönliches, auf das sich die Eltern seit Monaten vorbereiten", meint auch Ebner. Unter der Vorgabe, dass sich die Begleitperson und das Geburtshilfe-Team professionell selbst schützen, sei eine Begleitperson im Kreißsaal daher erlaubt - sofern es die Gesamtsituation zulasse. "Zeigt der Partner oder die Gebärende Symptome oder wurde einer von ihnen positiv getestet, wird neu entschieden", schränkt der Chefarzt dieses Zugeständnis ein. Aus diesem Grund würden circa fünf Tage vor der Entbindung ein Covid-19-Test durchgeführt. "Wir wollen kurz vor dem Entbindungstermin Sicherheit haben, um bei einer positiven Testung gegebenenfalls entsprechende Konsequenzen ziehen zu können", so Ebner.

Wenn eine schwangere Frau positiv auf das Coronavirus getestet wird, kann man die Entbindung aber natürlich trotzdem nicht verschieben. Der von Ebner und seinem Team erarbeitete Plan sieht daher vor, dass die Geburt in einem Kreißsaal mit einer Hebamme, ohne Verbindungen zum restlichen Personal und den anderen Kreißsälen stattfindet. Wenn es sich um einen Notfall handelt, kommt eine Hebamme im Bereitschaftsdienst dazu, die das Team zusätzlich unterstützen kann. Das Personal wechselt regelmäßig die Schutzkleidung beim Betreten und Verlassen des Kreißsaals. Bei einer Verlegung der Patientin werden die Kontakte zu anderen Personen auf ein Minimum reduziert. Auf der Wochenstation wird eine positiv getestete Patientin wie im restlichen Haus auch entsprechend isoliert behandelt.

Mechthild Hofner ist die Vorsitzende des Bayerischen Hebammenverbands. (Foto: Toni Heigl)

Nicht nur die Schwangeren, auch die betreuenden Hebammen stellt die Coronakrise aber vor große Herausforderungen. Der Beruf ist einer von jenen, die in diesem Zeiten als systemrelevant gelten. Trotzdem, so kritisiert Mechthild Hofner, die Vorsitzende des Bayerischen Hebammenverbands, seien viele Hebammen derzeit damit beschäftigt, sich um Schutzbekleidung zu kümmern. Weil Hebammen trotz der Relevanz ihres Berufs im Vergleich zu anderen Fachrichtungen im nachrangigen Bedarf stünden, sei viel Eigeninitiative gefragt. "Die Versorgung ist nicht zufriedenstellend", kritisiert Hofner. Nachvollziehen kann sie die vermeintlichen Engpässe vor allem deshalb nicht, weil ihr selbst ständig Angebote von verschiedenen Firmen angezeigt werden. Ob diese in allen Fällen seriös seien, gelte es zu prüfen, aber bei einigen Firmen handele es sich, so Hofner, auch um langjährige Partner Deutschlands aus China. Warum diese nun neu überprüft werden müssen versteht die Karlsfelder Hebamme nicht. Im Landkreis Dachau seien die bislang ausbleibenden Engpässe vor allem Maximilian Lernbecher zu verdanken, sagt Hofner. Der Dachauer Apotheker versorge die Hebammen regelmäßig mit Atemschutzmasken. Das bestätigt auch Katharina Zausinger. "Auch ich habe mich über Herrn Lernbecher eingedeckt", sagt die Dachauerin, die die Hebammenpraxis, die direkt neben der Klinik gelegen ist, leitet. An ihre Patientinnen verteile sie selbst genähte Masken, sagt Zausinger - um die Schwangeren, aber auch sich selbst zu schützen.

Katharina Zausinger ist Hebamme in Dachau. (Foto: Niels P. Joergensen)

Nicht nur die verstärkten Schutzmaßnahmen sind aber ein Thema, mit dem sich Hebammen neuerdings neben ihrer eigentlichen Arbeit verstärkt auseinandersetzen müssen. Die Versorgung mittels digitaler Hilfsmittel wie Videotelefonie innerhalb kürzester Zeit auf die Beine zu stellen, sei ebenfalls ein "enormer Kraftakt", sagt Hofner - und biete doch keinen vollständigen Ersatz eines persönlichen Treffens oder Vorbereitungskurses. Diese Erfahrung macht auch Zausinger. Natürlich biete auch sie nun Online-Kurse an, schließlich ließen sich die Vorbereitungskurse ja nicht beliebig nach hinten verschieben. "Einen Live-Kurs können die Online-Kurse aber auf keinen Fall ersetzen", so Zausinger. Die Kurse seien "deutlich unpersönlicher und deutlich schneller fertig", so die Hebamme. Die Hemmschwelle Fragen zu stellen, sei durch die räumliche Distanz ungleich höher.

Was aber bedeutet die aktuelle Situation für sie persönlich? "Für die Praxis ist es schon so, dass ich Angst habe, wie es weitergeht", sagt Zausinger. Einen Monat könne sie vielleicht noch durchhalten, danach werde es schwierig. Schon vor der Krise hatten selbst ständige Hebammen wie sie zunehmend mit finanziellen Schwierigkeiten zu kämpfen - nun dürfte sich die Lage weiter zuspitzen.

Das Thema Schwangerschaft hat aber noch einen Aspekt, der häufig jedoch bewusst ausgeklammert wird: den Schwangerschaftsabbruch. Sylvia Pohl von der Schwangerenberatungsstelle Donum Vitae spricht in einem solchen Fall lieber von einem "Schwangerschaftskonflikt". Weil diese Eingriffe genauso systemrelevant sind wie eine Geburt, würden sie selbstverständlich auch in der jetzigen Situation und weiter durchgeführt, erklärt Pohl - auch am Klinikum in Dachau. Um eine Abtreibung durchführen zu können, ist ein Gespräch mit einer Beraterin wie Pohl unerlässlich. Die Leiterin der Beratungsstelle, die für gewöhnlich immer mittwochs auch in Dachau berät, hat solche Gespräche auch schon vor der Krise täglich geführt. Ob es nun mehr werden? Noch sei es zu früh, das zu sagen, aber vorstellbar sei das durchaus "Ich denke, das wird kommen", so Pohl. Immerhin sei einer der vielen Gründe, sich gegen ein Kind zu entscheiden, die finanzielle Situation - und die werde für viele mit der Krise zusehend schwieriger. Schon jetzt sei die Sorge, "in solch unsicheren Zeiten, ein Kind zur Welt zu bringen" ein Thema bei vielen Frauen, die sie betreue - auch wenn nach jetzigem Stand zumindest kein besonderes gesundheitliches Risiko für Frau und Kind durch das Virus besteht.

Ebenso wie Zausinger führt Pohl ihre Beratungsgespräch nur noch am Telefon oder per Videotelefonie. Gerade wenn es um einen Schwangerschaftsabbruch geht, schätzt sie die Möglichkeit, den Frauen oder Paaren ins Gesicht schauen zu können. Doch auch sie ist überzeugt: Ein persönliches Gespräch können selbst die vielen Möglichkeiten, die die Digitalisierung mittlerweile bietet, nicht ersetzen. Für den Augenblick ist es aber die sicherste Möglichkeit, um für die schwangeren Frauen da zu sein - ganz egal, ob es um eine Geburt oder Abtreibung geht.

© SZ vom 22.04.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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